Coronavirus:"Beten schadet nix"

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Der Marienbrunnen in Altötting. Selten ist es drumherum so leer wie gerade. (Foto: Sebastian Beck)

In den Tagen der Krise suchen Menschen wieder Zuflucht bei der Kirche. Ausgerechnet die heilige Corona erlebt eine ungeahnte Renaissance als Schutzpatronin gegen Seuchen.

Von Hans Kratzer

Selten hat man den Kapellplatz in Altötting so verlassen erlebt wie in diesen Tagen. Einer der meistbesuchten Wallfahrtsorte in Deutschland, in dessen Glanzzeiten bis zu eine Million Pilger pro Jahr gezählt wurden, wirkt wie eine Geisterstadt. Am Mittwoch war die Gnadenkapelle, das Herz Altöttings, zum vorerst letzten Mal geöffnet. Die Vorgabe aus dem Rathaus, wonach sich in der Kapelle wegen der Corona-Krise nicht mehr als 15 Menschen aufhalten sollten, seien nicht mehr zu erfüllen gewesen, teilte das Pfarrbüro mit.

Die Menschen drängten trotzdem herein, um gemeinsam den Rosenkranz zu beten. Dabei rückten sie in der engen Kapelle sehr nah zusammen. Auf die Aufforderung, sich auseinanderzusetzen, hätten die Gruppen kaum reagiert. "Wir sind ja genau deswegen gekommen, weil wir ein Anliegen haben", bekamen die Mesner zu hören.

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Man hätte einen Wachdienst gebraucht, um die Vorschriften durchzusetzen, heißt es im Pfarrbüro. Deshalb hat Stadtpfarrer Günther Mandl die Schließung der Kapelle angeordnet, auch wenn ihm diese Entscheidung schwerfiel, wie er selber sagte. Seitdem treibt sich kaum noch jemand auf dem Kapellplatz herum, was auch wieder paradox anmutet. Das gab es, wie sich alte Altöttinger erinnern, nicht einmal bei der Typhus-Seuche von 1948. Ausgerechnet an jenem Ort, der seit Jahrhunderten in Zeiten größter Not aufgesucht wird, ist es nun verboten, um Schutz zu flehen. Geblieben sind nur die Einträge im Gästebuch: "Oh Maria hilf uns bei der Bekämpfung des Virus und schütze uns alle davor!" Eine Seite weiter heißt es: "Liebe Mutter Gottes, bitte hilf uns allen, der Viruserkrankung, die auf uns zukommt, zu entgehen."

Einer der letzten Besucher, die am Mittwoch in der Gnadenkapelle beteten, sorgte unfreiwillig für eine gewisse Ironie in diesen ernsten Zeiten. Die Gnadenkapelle war bereits leer, als plötzlich der Bayerische Defiliermarsch die Stille zerriss. So meldete sich das Handtelefon des einsamen Beters, der seine Corona-Sorgen dann draußen weiterverhandelte: "Äh Hans, wart, i geh schnoi ausse ..."

Die Schwarze Madonna in der Altöttinger Gnadenkapelle wird traditionell in Notzeiten aufgesucht. Darüber hinaus erfährt in diesen Tagen eine weitgehend unbekannte Heilige eine Aufwertung ihres Bekanntheitsgrads. Das Wort Corona benennt nämlich nicht nur das alles lähmende Virus, sondern zudem eine frühchristliche Märtyrerin, die zufällig auch noch als himmlische Helferin gegen Seuchen angerufen wird.

Gut 50 Kilometer nördlich von Altötting erhebt sich auf einer Anhöhe in Altenkirchen bei Frontenhausen (Kreis Dingolfing-Landau) die ehemalige Wallfahrtskirche St. Corona. Die Nebenkirche fristet hier trotz ihrer stattlichen Maße ein bescheidenes Dasein, nur selten verirren sich Besucher hierher. Im Mai legen zumindest die Wallfahrer, die von Regensburg nach Altötting pilgern, eine kurze Rast ein. Die Kirche wirkt einladend und sauber herausgeputzt, auch wenn die Außenmauern vom Saliter drangsaliert werden.

Das Corona-Patronat kommt nur selten vor, und wenn, dann in Österreich und Ostbayern, wo die Kirchen in Staudach bei Massing und in Handlab bei Deggendorf der Corona geweiht sind. Über die Heilige ist nicht viel bekannt. Im 2. Jahrhundert soll die junge Soldatenfrau in Ägypten grausam hingerichtet worden sein. Dazu wurde sie an die heruntergebogenen Spitzen zweier Palmen gebunden. Als die Bäume zurückschnellten, wurde der Körper der Frau in Stücke gerissen.

Nicht nur wegen dieser Dramatik ist das Gotteshaus von Altenkirchen von hohem Interesse. Eine Rarität sind auch die zum Teil 500 Jahre alten Votivgaben, die 2002 im Turm entdeckt wurden. All die tönernen Köpfe, Gliedmaßen, Menschenfiguren und Tierfiguren bezeugen, dass sich die Gläubigen früher bei körperlichen Leiden der heiligen Corona anvertraut haben.

Vermutlich wurden die Votive im Turm versteckt, weil der Kult um das Croafrauerl, wie man die heilige Corona in Niederbayern nannte, in den Stürmen der Aufklärung verboten wurde. Wie reich die Wallfahrtskirche ausgeschmückt war, geht aus den Aufzeichnungen des Christoph Limmer, Bauer zu Bruck, hervor, der 1760 notierte, "dass im Umkreis von drei bis vier Stunden weder eine Pfarr- noch eine Filialkirche ihresgleichen zu sehen war."

"Es kommen nur selten Gläubige vorbei", sagt die Mesnerin. Doch am Donnerstag war alles anders. Fast 50 Menschen seien im Laufe des Vormittags gekommen, sagt sie, und viele hätten Kerzen aufgesteckt. Wohl in der Hoffnung, dass dies in der Corona-Krise nicht verkehrt sei: "Corona, hilf uns gegen das Coronavirus!" Die Mesnerin bleibt gelassen. Man merkt ihr an, dass ihr das Leben Gleichmut gelehrt hat. "Man kann eh nix machen und 's Beten schadet nix", so lautet ihr schicksalsergebener Rat.

Wer südlich von München zu Fuß oder per Fahrrad unterwegs ist, stößt mitten im Wald nahe der Ortschaft Arget bei Sauerlach auf eine Kapelle, die ebenfalls der heiligen Corona gewidmet ist. Das Innere schmückt ein einfacher Holzaltar mit Abbildungen der Heiligen. Bei aller Schlichtheit ist die Corona-Verehrung laut dem Bericht eines Pfarrers aber gerade hier gelegentlich ausgeufert: "Die Jungen trinken, tanzen und springen, raufen und schlagen." 1807 hatte er davon genug und ließ die Kapelle abbrechen, einige Jahre später wurde sie aber wieder aufgebaut.

Apostolos Malamoussis, Erzpriester der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland, ist darüber sehr froh. Er sagt, er sei mit der Corona-Kapelle in Arget emotional eng verbunden. Corona wird auch in der orthodoxen Kirche als Heilige verehrt. Anlässlich der Corona-Pandemie haben Malamoussis und sein Kollege Georgios Vletsis kürzlich ein orthodoxes Bittgebet in der Kapelle in Arget gesprochen.

Sollte am 14. Mai, dem Gedenktag der heiligen Corona, das Abhalten von Gottesdiensten wieder erlaubt sein, will Malamoussis gemeinsam mit dem katholischen Ortspfarrer Josef Steinberger in Arget ein ökumenisches Bittgebet an die Heilige richten.

Überdies hat Malamoussis einen Ikonenmaler beauftragt, eine heilige Corona nach orthodoxem Ritus zu malen. "Die möchte ich dann an die St. Corona-Kapelle in Arget schenken." Auch auf diese Weise erfährt die heilige Corona in Zeiten der Corona-Krise eine neue, ungeahnte Zuwendung.

© SZ vom 21.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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