CDU kritisiert Betreuungsgeld:Eine Revolte bringt die CSU in Rage

Lesezeit: 4 min

Die Debatte um das Betreuungsgeld hat die CSU kalt erwischt. Seit der Partei reihenweise die Kernthemen abhandengekommen sind, sucht sie händeringend nach Möglichkeiten, um sich zu profilieren - besonders bei ihren traditionellen Wählern. Doch Parteichef Seehofer ist im Kloster und schweigt.

Frank Müller

Wenn Horst Seehofer über die Feiertage seine Kreise im oberpfälzischen Kloster Waldsassen zieht und dabei auch durch die Bibliothek der Zisterzienserinnen streift, dann werden ihm dort zehn lebensgroße Holzfiguren auffallen. Es sind die zehn Spielarten des Hochmuts, den die dreihundert Jahre alten Schnitzereien darstellen sollen. Auf ihrer Website listen die Klosterfrauen sie detailliert auf.

CSU-Chef Horst Seehofer mit seiner Ehefrau Karin beim Trachtenumzug zum Münchner Oktoberfest: Nachdem der Partei ihre Kernthemen abhanden gekommen sind, bleibt nur noch, die Tradition hochzuhalten. (Foto: Stephan Rumpf)

Es könnte sein, dass einige davon den CSU-Chef dem Stadium der Reinigung entreißen und ihn zum Thema Betreuungsgeld und anderen Fragen des Tagesgeschäfts zurückführen: Die Eigenbrötelei stellt eine Figur dar. Die Eitelkeit eine andere. Es gibt den Zorn, auch die Dummheit, Heuchelei und Prahlerei - all das also, was man in der erbitterten Debatte vom jeweiligen Gegner denkt. Vertreten ist zudem die Spottlust. In der erkennt sich Seehofer vermutlich selbst am besten wieder.

Die Frage ist nur, ob nicht selbst Seehofer inzwischen die Lust am Spott vergangen ist. Denn in der CSU ist die Verärgerung darüber massiv, dass das Betreuungsgeld wieder ins Koalitionsgezerre gerät. Obwohl das Thema doch schon geklärt schien mit dem Beschluss des Koalitionsgipfels vom vergangenen Herbst. Dass dies nun von CDU-Seite mit dem von 23 Parlamentariern unterschriebenen Brief offen in Frage gestellt wurde, bringt die CSU in Rage.

Als Zwergenaufstand, zu dem es nicht hätte kommen dürfen, gilt die Revolte in CSU-Führungskreisen. Offenbar habe in der Schwesterpartei das Frühwarnsystem versagt, das müsse der CDU zu denken geben, heißt es. Wäre er nicht im Kloster, dann hätte dies wohl auch Horst Seehofer selbst so gesagt. Doch Seehofer macht in diesen Ostertagen etwas für ihn Untypisches: Seehofer schweigt. Gerade mal mit einem kantigen Eintrag bei Facebook meldete er sich: "Freue mich auf ein paar ruhige Tage mit meiner Frau im Kloster. Möbel im Kopf aufräumen, geistige Kraft schöpfen - das sind wunderschöne Perspektiven."

Seehofer zeigt sich neuerdings von den Piraten inspiriert

Dabei ist die Lust der CSU, das unaufgeräumte Koalitionsmobiliar zur Grundsatzfrage zu stilisieren, gar nicht so gering. Denn in Bayern will die CSU nicht nur den Bargeldzuschuss, sie will auch, dass ganz klar wird, wer ihn erfunden und gegebenenfalls durchgesetzt hat. Nach dem Übergang aus der Ära Edmund Stoiber und dem unglücklichen Intermezzo mit dem Führungstandem Günther Beckstein/Erwin Huber bis zur jetzigen Seehofer-Zeit ist der CSU nämlich ein Kernthema nach dem anderen abhanden gekommen: Im Eiltempo trennten sich die Bayern von CSU-Markenprodukten wie der Kernkraft oder der Wehrpflicht, dazu kamen Dammbrüche in der Parteikultur, die Seehofer der CSU verordnete: Er ließ die Frauenquote einführen, er führte die CSU in Bayern in eine noch immer ungeliebte Koalitionsregierung mit der FDP.

Neuerdings denkt Seehofer über Volksentscheide und Transparenz auf allen Ebenen nach und zeigt sich dabei von den Piraten inspiriert. Dabei bemüht er sogar Willy Brandt: "Jetzt können wir auch ein Stück Demokratie 2.0 wagen", sagt Seehofer in Anlehnung an das berühmte Zitat des früheren SPD-Kanzlers. Er meint damit eine "Kultur der unmittelbaren Bürgerbeteiligung" bei Großprojekten und bei europäischen Grundsatzentscheidungen und will dafür auch das Grundgesetz ändern.

Im Sinn hat Seehofer bei alledem einen großen Plan. Ihm geht es um nichts Geringeres als um die Neuerfindung der CSU. Doch nicht jeder ist dabei so schnell und wandlungsfähig wie der Parteichef. Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass Bayerns Innenminister Joachim Herrmann in dieser Woche die Piraten so scharf attackierte wie noch keiner in der Union. Man kann daraus auch einen Warnschuss für Seehofer herauslesen, es mit den modernen Ideen nicht zu übertreiben.

Auch der Parteichef muss deshalb bei so viel Veränderung dafür sorgen, dass die eigene CSU-Basis ihre Partei gelegentlich noch wiedererkennt. Da hilft das Betreuungsgeld, mit dem die Partei sich durchaus auch selbst betreut. Zwar ärgert sie sich, wenn dieses als "Herdprämie" verunglimpft wird. Um ein bisschen Herdprämie 2.0 ist sie aber ganz froh. Denn damit kann sie zeigen, dass es neben der für viele in der Partei immer noch neuen Welt der organisierten Kinderbetreuung, der Alleinerziehenden und der gebrochenen Lebensläufe auch noch Kontinuität gibt: die Kinder zu Hause, Papa in der Arbeit, zur Belohnung Geld vom Staat. Damit das nicht zu altmodisch daher kommt, gibt sich die Partei alle Mühe, die Barzahlungen möglichst fortschrittlich erscheinen zu lassen. Schließlich gehe es ja nicht um ein Verbot an die Eltern, nebenher zu arbeiten. Mit dem Geld könnten auch sehr wohl andere Formen der Betreuung, etwa bei den Großeltern oder einer Tagesmutter, finanziert werden.

Doch wichtig ist das Betreuungsgeld für Seehofer auch aus einem anderen Grund: Es ist ein bayerisches Thema und damit auf seiner Prioritätenliste von Haus aus ganz oben. In Bayern, darauf verweist man in der CSU, würden zwei Drittel aller Kinder nicht in Krippen geschickt. Das macht das Betreuungsgeld im Süden populär, und das kann Seehofer gebrauchen. Denn nach dem Absturz bei der Landtagswahl 2008 und dem darauf folgenden Zwang zur schwarz-gelben Koalition muss die CSU bei der Wahl 2013 Phase zwei des Machtverlusts fürchten: den Gang in die Opposition.

Die SPD im Freistaat ist wieder etwas ernster zu nehmen, seitdem sie mit dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude über einen populären Spitzenkandidaten verfügt. Sollte es dieser SPD in einem Dreierbündnis mit Grünen und Freien Wählern gelingen, die CSU zu überflügeln, dann wäre das nicht nur das endgültige Aus für den Mythos CSU. Es wäre auch Seehofers politisches Ende.

Seitdem dieser Blick in den Abgrund zur realen Perspektive wurde, setzt Seehofer alles auf die Bayernkarte. Auf der Welt kann alles geschehen, aber in München darf nichts passieren, das ist Seehofers Credo. Es zeigt sich auf vielerlei Weise: Den Freistaat will er zum ersten schuldenfreien Bundesland machen, als "Land der unbegrenzten Chancen" soll Bayern traditionelle Werte und globalen Aufbruch vereinen. Auf ihrem jüngsten Parteitag prangte hinter dem Rednerpult groß das Motto "Auf Bayern kommt es an". Das sagt die CSU nicht nur der Republik. Sondern vor allem sich selbst.

© SZ vom 07.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: