Blattmacher-Wettbewerb:Heimat im Herzen: Erfahrungen einer Geflüchteten

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Sieger der beruflichen Schulen ist W.I.R., das Magazin junger Flüchtlinge. Mit dabei sind Ralf Nemetschek und Silke Zimmermann (hinten) von der Nemetschek Stiftung. (Foto: David-Pierce Brill)

Zahraa Al Tawil nennt Syrien "mein Land", gewohnt hat sie dort nie. In der Schülerzeitung "W.I.R - Weil international rockt" schreibt sie über ein Leben als Fremde, die Angst und die Flucht.

Von Zahraa Al Tawil

Es ist für jeden sehr schwierig, seine Heimat zu verlieren. Dieses Gefühl bekommt vor allem aus der Distanz einen bitteren Geschmack. Ich wünschte, ich könnte meinen Patriotismus spüren. Leider fühle ich ihn nicht...

Jeder Mensch hat eine Heimat. Ich aber habe kein Land, zu dem ich gehöre. Deutschland hat mich offen aufgenommen. Das gibt mir Hoffnung. Ich werde nostalgisch, wenn ich an die Länder denke, in denen ich gelebt habe. Niemand hat mir mein Land weggenommen, aber eine diktatorische Regierung unter der Familie Al-Assad hat mein Land und die Macht gewaltsam übernommen. Frei darf dort niemand über seine Ansichten und Gefühle sprechen.

Ich spreche nicht nur über mich selbst oder über meinen Schmerz. Ich spreche über den Schmerz einer verfolgten Nation, die in Frieden leben möchte. Ich spreche über die Millionen, die getötet wurden. Über Menschen, die vertrieben und in viele Länder verstreut wurden. Ich war nie in Syrien, trotzdem ist es mein Land.

1970 übernahm Hafez Al-Assad die Macht in Syrien. Sein Sohn Baschar herrscht bis heute. 1982 kam es in der Stadt Hama zu einem Aufstand. Die Armee schlug ihn nieder, viele Menschen starben. Mein Großvater war gegen das Regime von Hafez Al-Assad. Als die Regierung davon erfuhr, wurde er zum Tode verurteilt. Die Familie musste fliehen.

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Ich wurde in Jordanien geboren, lebte dort die ersten zwei Jahre und reiste dann mit meiner Familie nach Kirgistan, das ich mein Kindheitsland nenne. Dort verbrachte ich eine schöne Zeit, aber ich war eine Fremde und die Leute wollten keine Fremden in ihrem Land haben. Ich habe immer versucht, die Beste zu sein, aber es gelang mir nicht, weil ich in Kirgistan ausgegrenzt wurde.

Die Lehrerin in der Schule warnte die Schüler, nicht mit fremden Schülern zu sprechen, und die Eltern verboten ihren Kindern mit fremden Kindern zu spielen. Aber meine Eltern und Geschwister standen an meiner Seite und stärkten mich.

Ich habe immer ungeduldig auf die Zukunft gewartet, in der ich nach Syrien zurückkehren würde. Aber die Zukunft hat entschieden, mir stattdessen Libyen zu zeigen. Wieder mussten wir von vorne anfangen. Der Beginn in Libyen war sehr stressig, weil ich die achte Klasse abgeschlossen habe und Arabisch weder lesen noch schreiben konnte. Ich konnte Russisch, die Amtssprache in Kirgistan. Aber trotzdem war ich in der Schule erfolgreich und sehr glücklich.

Libyen war unsicher, weil das Land eine Revolution erlebte. Die Situation war instabil, trotzdem haben wir uns entschieden, dort zu leben. Bis eines Tages mein Vater nach Hause kam und voller Angst sagte: "Jemand hat mich mit einer Waffe bedroht." Am zweiten Tag stoppte ihn die Polizei nach der Arbeit und sagte, er solle Libyen verlassen. Sie drohten, ihn zu töten.

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Wir hatten keine andere Wahl, als nach Deutschland zu gehen. Wir fuhren mit dem Schiff nach Tripolis und von dort zur libyschen Seegrenze, wo uns ein italienisches Schiff aufnahm. Unsere Reise dauerte 18 Stunden mit dem libyschen und drei Tage mit dem italienischen Schiff. Es war sehr kalt in der Nacht und wir hatten immer nasse Kleidung. Zweimal drohte das Schiff auf dem offenen Meer zu kentern.

Meine Eltern wiederholten mit Angst in der Stimme: "Keine Angst, wir werden diese schwierige Zeit durchstehen." Ich hatte solche Angst auf diesem Schiff. Die Wahrscheinlichkeit zu sterben war größer als die, zu leben. Wenn ich mich an alles erinnere, was ich in meinem Leben schon erlebt habe, bin ich froh, jetzt in Deutschland zu sein. In Deutschland fand ich so viel Hilfe, die all die Angst wegwischte.

Wegen Krieg und täglicher Angst Asyl zu suchen ist schlimmer als der Verlust von Land und Besitz. Wenige können das Leiden eines Heimatlosen nachvollziehen. Es ist schwierig, immer gedemütigt zu werden. Wenn wir versuchen, das zu kommunizieren, hört uns selten jemand zu.

Nicht nur die Angst hat uns nach Deutschland getrieben. Es geht nicht um Geld, Essen oder Trinken. Wir wollen Sicherheit. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gibt mir das Gefühl der Sicherheit, der Zufriedenheit und der Gerechtigkeit, weil alle Menschen in Deutschland vor dem Gesetz gleich sind. Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

Wir sind ein Volk, das nicht töten will. Wir hassen Zerstörung und wir haben Angst davor. Wir lieben einander. Aber das Schweigen der Welt über die ungerechten Herrscher in Syrien war ein Verbrechen an den Menschen, die vor Kälte auf dem Weg nach Deutschland oder in andere Länder Europas und der Welt sterben. Dieses Verbrechen kann nie vergeben werden.

Jeder syrische Flüchtling muss wissen, dass dieser Krieg eines Tages aufhören wird und unser Heimatland sich erholen wird. Als Flüchtling weiß ich nicht, wo ich sterben werde. Ich hoffe, dass in meiner Heimat wieder Sicherheit einkehrt und ich zurückkehren kann. Ich möchte mich bei allen Ländern bedanken, in denen ich gelebt habe. Ich habe zwar viel Rassismus erlebt, aber habe auch Freunde gefunden, die immer an mich denken und in meinem Herzen sind.

Dieser Text erschien in der Ausgabe W.I.R - Weil international rockt, einem Heft der Berufsintegrationsklassen des Beruflichen Schulzentrums Oskar-von-Miller Schwandorf.

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