Mythos "Stade Zeit":Die Adventszeit war auch in Bayern eine Zeit der Tumulte

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Den großen Heiligen der Adventszeit stehen jeweils finstere, unheimliche Figuren zur Seite, die sich in der Moderne wie eh und je behaupten können. (Foto: Sebastian Beck)

In bayerischen Chroniken sind über Jahrhunderte hinweg Übergriffe und Schlägereien festgehalten. Am intensivsten verdichten sich die Fliehkräfte der Adventszeit in der Figur des Bischofs Nikolaus.

Von Hans Kratzer

Die Kommerzialisierung hat der Advents- und Weihnachtszeit zugesetzt, aber einige Traditionen und Bräuche werden auch heute noch gepflegt. Damit sie nicht verloren gehen, präsentieren wir in der staden Zeit Texte wie diesen aus unserem Archiv noch einmal.

In der Zeitschrift Bayernspiegel war einmal eine Betrachtung über das Weihnachtsfest zu lesen, die eine treffende Beobachtung enthielt. Sie zielt dahin, dass einerseits das religiöse Wissen um das Fest in den vergangenen Jahren eklatant geschrumpft ist, dass aber andererseits die Bedeutung von Weihnachten immer größer wird. Dies belegt zum Beispiel der Umstand, dass sich der Advents- und Weihnachtskreis immer weiter ausdehnt, und zwar in den Herbst hinein. Überspitzt ausgedrückt beginnt bereits kurz nach Beendigung der Sommerferien eine Art Vor-Advent. Dies äußert sich unter anderem darin, dass im September weihnachtliche Lebkuchen und im Oktober bedenkenlos Schoko-Nikolause in die Regale der Verbrauchermärkte gestellt werden.

Eine weitere merkwürdige Veränderung des weihnachtlichen Festkreises betrifft Christbäume und adventliche Illuminationen, die als Folge einer kollektiven Geschmacksverirrung den Totenmonat November grell erhellen. Es ist eine fast absurde Verdrehung alter Bräuche im Gange. Wurde der Christbaum bislang meist an Weihnachten aufgestellt, um im äußersten Fall bis Mariä Lichtmess (2. Februar) stehen zu bleiben, erhellt er heute Gärten und Kaufhausecken bereits nach Allerheiligen (1. November), um einen Tag nach Weihnachten entsorgt zu werden. Am Christbaum wird deutlich, wie volatil das weihnachtliche Brauchtum geworden ist. Es ändert sich umso schneller, je heftiger es von Kommerz und Zeitgeist bedrängt wird.

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Es ist aber nicht so, dass der Christbaum ein uraltes Brauchtum wäre. In Bayern ist er erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts heimisch geworden. Der Adventskranz setzte sich hierzulande sogar erst in den Dreißigerjahren durch, wie den Münchner Neuesten Nachrichten zu entnehmen ist. Das Blatt erwähnt 1933 "nun immer mehr gebräuchliche, kerzenbesteckte Adventskränzlein". 1937 tauchen die ersten Reklametafeln auf, etwa von der Firma Hettlage, auf denen Adventskränze auf das nahende Fest verweisen. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Adventskranz als häuslicher Brauch in Bayern durch.

Die katholische Kirche tat sich mit solchen, der Natur entnommenen Symbolen lange Zeit schwer, galten sie doch als heidnisch. Die Historikerin Cornelia Oelwein fand heraus, dass sich der Weihnachtsbaum in München erst durchsetzte, nachdem um 1800 herum in der Münchner Residenz geschmückte Bäumchen Einzug gehalten hatten.

Außerhalb Münchens dauerte es noch bis zum Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, in dem viele Soldaten im Schützengraben Weihnachten feiern mussten. Die Heimkehrer brachten den Christbaumbrauch mit nach Hause aufs Land, wo diese Sitte noch gänzlich fremd oder der "besseren Gesellschaft" vorbehalten war. Die katholische Kirche machte sich den Christbaum verstärkt in der NS-Zeit zu eigen, indem sie versuchte, mit seiner Hilfe einen Kontrapunkt zu Phänomenen wie der neuheidnischen Lichtfeier der Nazis zu setzen.

Das Spannungsfeld zwischen Gut und Böse prägt die Zeit vor und nach Weihnachten seit jeher

Das Spannungsfeld zwischen Gut und Böse, zwischen Hell und Dunkel prägt die Zeit vor und nach Weihnachten seit jeher, gerade in Bayern, wo sich Traditionen in langen Zeiträumen entwickeln konnten, quasi von den Kelten bis zur Ära der CSU. Auffällig ist, dass den großen Heiligen der Adventszeit - Nikolaus, Lucia, Thomas - jeweils finstere, unheimliche Figuren zur Seite stehen, die sich in der Moderne wie eh und je behaupten können. Sie heißen Knecht Ruprecht, Krampus, schiache Luz und blutiger Dammerl und verkörpern das Böse und Finstere. Die amerikanische Filmindustrie huldigte dem Krampus 2015 sogar mit einem eigenen Kinostreifen.

Am intensivsten verdichten sich die Fliehkräfte der Adventszeit in der Figur des Bischofs Nikolaus. Lange Zeit war der Nikolaus die große Gestalt der Weihnachtszeit, nicht das Christkind und erst recht nicht der Weihnachtsmann. Der Nikolausbrauch dürfte sich im 14. und 15. Jahrhundert herausgebildet haben. Damals sind diesem Heiligen in Bayern viele Kirchen und Kapellen geweiht worden, und auch Nikolausmärkte gab es zuhauf. Eines der ältesten Zeugnisse für die Nikolaus-Bescherung ist ein Kindergebet in einer Handschrift des Klosters Tegernsee aus dem 15. Jahrhundert: "Heiliger Bischoff sanct Nicolas, In meiner Nott mich nit verlas . . ."

Als die Reformatoren im 16. Jahrhundert danach trachteten, den beliebten Gabenbringer durch das Christkind abzulösen, gelang ihnen das nur mit Mühe. In Altbayern schwächte erst die Aufklärung im 18. Jahrhundert das Ansehen des Nikolaus. Beseitigen ließ er sich dennoch nicht. Wenn im Berchtesgadener Land und am Samerberg heute noch Buttenmandln den Nikolaus begleiten, dann strahlt diese Szenerie die Aura einer großen Vergangenheit aus. Die Butten tragen Tiermasken, ihre Körper sind mit Stroh umwickelt, und mit ihren Kuhglocken schlagen sie einen Heidenlärm. Diese dunkle Seite des Advents bot natürlich Raum für Missstände jeder Art. Anno 1601 vermerkte der Landrichter von Berchtesgaden "ain merckliche große Unzucht mit dem Perchtlauffen".

Über Jahrhunderte hinweg sind in bayerischen Chroniken während der Adventszeit Übergriffe und Schlägereien festgehalten. In ihrem Buch "Weihnachten im alten München" hat Cornelia Oelwein viele Fälle aufgelistet, in denen es auch Tote und Verletzte gab. Angesichts von Tumulten und Ausschreitungen sah sich die Obrigkeit oft genötigt, Adventsbräuche zu verbieten, um Frieden und Ordnung zu sichern.

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Nikolaus oder Weihnachtsmann - wer verdrängt hier wen?

Lange Zeit war Weihnachten kein Fest der Geschenke. Der Umschwung kam erst durch das Vordringen des Protestantismus. Erst in der Biedermeierzeit entwickelte sich der Heilige Abend zu einem innigen Familienfest. In München war man solchen Feiern gegenüber besonders aufgeschlossen, wie der Arzt Martell Frank um 1862 notierte: "Die gemüthlichen Religionsfeste im Öffentlichen wie im Häuslichen, die Fronleichnams- und anderen Processionen, wie die Christbescheerungen und mehr bekunden des Münchners gemüthlichen Sinn."

In den vergangenen Jahren war der Konflikt zwischen Weihnachtsmann, Nikolaus und Christkind das große Reizthema des bayerischen Advents. Die Frage, wer hier wen verdrängt, wird mit Leidenschaft erörtert. Zu den Großlobbyisten des Nikolaus zählt das katholische Bonifatiuswerk, das vor einigen Jahren die bundesweite Aktion "Weihnachtsmannfreie Zone" ins Leben rief. Diese soll helfen, den Nikolaus, den einstigen Bischof von Myra, deutlich vom Weihnachtsmann abzugrenzen, der laut Bonifatiuswerk lediglich eine am Konsum orientierte Kunstfigur darstellt.

Alte Quellen belegen indessen, dass die Verdrängung des Nikolaus durch den Weihnachtsmann schon im 19. Jahrhundert ein Thema war. In manchen Münchner Familien wurden damals Nikolaus und Weihnachtsmann gemeinsam bemüht. Das Neue Münchner Tagblatt befürchtete schon anno 1900 die "Entchristlichung des Weihnachtsfests". Der Brauchtumsexperte Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege sagte, der Weihnachtsmann habe durchaus seine Berechtigung und Tradition. "Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen Nikolaus, Weihnachtsmann und Christkind, der religiöse Hintergrund ist immer schwerer zu erkennen."

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Zweifellos hat auch der Weihnachtsmann eine bemerkenswerte Vergangenheit. Der Maler Moritz von Schwind hat ihn 1847 in der Münchner Wochenzeitschrift Fliegende Blätter erstmals illustriert. Der US-Weihnachtsmann in Gestalt des Santa Claus taucht erstmals 1862 in der Zeitschrift Harper's Weekly auf. Gezeichnet hatte ihn der aus der Pfalz stammende Grafiker Thomas Nast. In Amerika tobte damals der Bürgerkrieg, und der Alte im Pelzrock sollte die Propaganda befeuern. Im Jahre 1931 vereinnahmte der Coca-Cola-Konzern die Figur des Santa Claus und verpasste ihr das gängige Erscheinungsbild mit Rauschebart und rotem Gewand.

Als Werbefigur passt er ideal in den vom Kommerz durchgetakteten Advent, der in der Rückschau nur selten still, sondern meist laut und kriegerisch war. Laut und schrill ist er geblieben, mit seinen Lichterketten, Weihnachtsmärkten und Glühweinständen, mit den Weihnachtsfeiern, die mit dem christlichen Ursprung des Weihnachtsfestes nur wenig zu tun haben. Unangefochten steht über allem als vielleicht letzte gemeinsame Klammer der Weihnachtszeit ein Lied, das vor 200 Jahren, am 24. Dezember 1818 erstmals in Oberndorf bei Salzburg aufgeführt wurde und heute weltweit gesungen wird: "Stille Nacht, Heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht..."

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