Auf einer eigens aufgestellten Stellwand rauscht der Zug der Zukunft schon heute durchs Alpenvorland. So könnte es aussehen, wenn 2023 die erste Lok mit Brennstoffzellenantrieb auf Bayerns Gleisen fährt, von Füssen nach Augsburg. Von einem "Leuchtturmprojekt" für den "Innovationsstandort Bayern" spricht Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU). Dafür investiert sie rund vier Millionen Euro, zusammen mit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW), der nicht nur der Umwelt einen Gefallen tun will, "sondern auch den Arbeitsplätzen". Die Wasserstoffwirtschaft "als Zukunftsoption" - und der neue Zug aus dem Freistaat am besten mittendrin.
Drunter geht es nicht an diesem Montag im Verkehrszentrum des Deutschen Museums in München. Tatsächlich wäre für Bayern ein Wasserstoffzug ja ein großer Schritt. Züge mit Brennstoffzelle gelten als klimafreundliche Alternative zu den Dieselloks, die auf vielen Strecken qualmen. Rund 1,2 Tonnen CO₂, rechnet Siemens Mobility-Chef Karl Blaim vor, soll der Zug von Augsburg nach Füssen und zurück jedes Mal einsparen. Die Strecke wird von der Bayerischen Regiobahn (BRB) betrieben, die zum Transdev-Konzern gehört.
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Inwiefern Wasserstoffzüge auch die Mobilität im Freistaat voranbringen, ist hingegen eine Streitfrage, die mit den neuesten Plänen an Fahrt gewinnen könnte. Das liegt auch daran, dass am Montag die Beteiligten aus Staatsregierung und Wirtschaft ihren Willen in einer Absichtserklärung festhalten und manches trotzdem vorerst offen lassen. Ein paar Fragezeichen spricht Arnulf Schuchmann, technischer Geschäftsführer der BRB, gleich selber an, etwa: Welche Schulungen werden seine Mitarbeiter in der Augsburger Werkstatt benötigen, um den Zug zu warten? Und woher kommt der nötige Wasserstoff? Grün soll der bestenfalls sein, also mit erneuerbaren Energien erzeugt. Im Raum Augsburg kämen hierfür mehrere Elektrolyse-Anlagen in Frage, sagt Aiwanger nur: welche, sei "noch nicht geklärt". Den Zug, quasi eine Einzelanfertigung, entwickelt Siemens Mobility auf Basis seiner Mireo Plus H-Plattform. Die Reichweite soll bei 800 Kilometer liegen, die Auslieferung 2022 stattfinden. Der Pilotbetrieb ist zunächst auf 30 Monate angelegt.
Gerade in Schwaben wird der Einsatz von Wasserstoffzügen seit Jahren diskutiert. Als das Thema mit dem Abschluss der Elektrifizierung der Strecke München - Lindau im Dezember wieder einmal aufkam, reagierten Kommunalvertreter gewohnt skeptisch. Im Allgäu sei es hügelig, gab ein Bürgermeister gegenüber der SZ zu bedenken: Da reiche entweder die Batterie nicht oder der Antrieb vom Wasserstoffzug sei zu schwach. Auch eine Testfahrt mit einem Wasserstoff-Bus über den Riedbergpass hinterließ gemischte Gefühle. Für eine Strecke mit 16 Prozent Steigung und Gefälle sei die Kapazität der Pufferbatterie zu gering, zitierte die Allgäuer Zeitung den Busfahrer. Das Gefährt war allerdings auch schon sechs Jahre alt. Seitdem hat die Technik Fortschritte erzielt.
Die Mobilitätswende brauche die Energiewende und umgekehrt
Auch Markus Büchler, Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag für Mobilität, hat hinsichtlich Technik und Topografie wenig Bedenken. Er begrüßt das Pilotprojekt: Es sei gut, dass der Freistaat nun "endlich nachzieht". Zum Beispiel starten Hessen und Niedersachsen längst mit Wasserstoffzügen in den Regelbetrieb. Und unelektrifizierte Nebenstrecken gibt es in Bayern genug. Der Einsatz von Wasserstoffzügen könnte dort unter bestimmten Bedingungen sinnvoll sein: Für einen einzigen Kilometer Oberleitung können schon mal bis zu zwei Millionen Euro anfallen, rechnete mal eine Studie des Elektrotechnikverbands VDE vor. Für oberleitungsfreie Strecken von bis zu 80 Kilometern böten sich daher Batterietriebwagen an. Bei mehr als 80 Kilometer sei dann die Brennstoffzelle die bessere Wahl - vorausgesetzt, dass es ein Wasserstofftankstellennetz gebe und auch genügend Wasserstoff produziert werde.
Genau hier sieht Büchler "das Hauptproblem": in der Verfügbarkeit von Wasserstoff. "Noch haben wir den gar nicht", sagt er. Dabei brauche die Mobilitätswende die Energiewende und umgekehrt. Auch Branchenverbände mahnen regelmäßig an, dass für die Produktion von grünem Wasserstoff mehr in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert werden müsse. Doch im vergangenen Jahr wurden in Bayern nur drei neue Windräder genehmigt, unter anderem wegen strikter Abstandsregeln. Auch für viele Ökonomen ist die Sache klar: Soll sich Wasserstoff durchsetzen - ob auf der Schiene oder anderswo -, müssen die Kosten für seine Produktion sinken und die Rahmenbedingungen für Investoren attraktiver werden.
Das alles kann freilich das neue Pilotprojekt allein nicht bewirken. Es geht nun vor allem darum, Erfahrungen zu sammeln und gegenüber den anderen Bundesländern aufzuholen. 2024 soll außerdem in Mühldorf ein Probebetrieb mit Brennstoffzellenfahrzeugen starten. Wer dort fahren wird, steht noch nicht fest.
In ein paar Jahren wolle man mit "Bayern an der Spitze sein", gibt Aiwanger am Montag als Motto aus. Der Zeitplan für das neue Pilotprojekt ist jedenfalls ambitioniert, wie auch Schreyer einräumt: "Wir sind schon sehr zackig unterwegs." Blaim sagt, er "glaube nicht, dass derjenige, der als erster losläuft, als erster durchs Ziel geht". Bei der Entwicklung des neuen Zugs gehe es um Effizienz, Reichweite, Lebensdauer, Tankzeiten - wichtige Parameter also für den Betrieb und damit später für den Verkauf. Zumindest in Klein lässt sich der Wasserstoffzug schon mal bewundern: Zum Abschied hat Blaim für Ministerin und Minister Modelle mitgebracht.