Bamberger Uni-Präsident:"Austausch, Vielfalt. Das fehlt."

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Die Uni Bamberg wächst und prägt die Stadt auch baulich: Im Neubau an der Markusstraße ist die Humanwissenschaft untergebracht. (Foto: Universität Bamberg)

Godehard Ruppert geht als dienstältester Uni-Präsident in den Ruhestand. Seinem Nachfolger an der Uni Bamberg rät er, sich für Erstsemester etwas einfallen zu lassen: Die bräuchten auch in Corona-Zeiten Präsenzangebote.

Interview von Anna Günther, Bamberg

40 Jahre im Universitätsbetrieb, 20 Jahre Chef der Universität Bamberg - der Erziehungswissenschaftler und Theologe Godehard Ruppert hat Reformideen verglimmen sehen und kennt die hochschulpolitischen Hinterzimmer. Nun hat sich Deutschlands dienstältester Uni-Präsident in den Ruhestand verabschiedet. Ein Gespräch über Studieren in Coronazeiten, Künstliche Intelligenz und die Larmoyanz mancher Geisteswissenschaft.

SZ: Herr Ruppert, wie viel Oberfranken steckt nach 29 Jahren Bamberg in Ihnen?

Godehard Ruppert: Schon einiges. Ich sage "basst scho", aber kann nicht fränkeln wie meine Töchter, die hier geboren sind. Ich mag dieses Ambiente, dass die Oberfranken auf den Bierkeller gehen, da sitzen und es interessiert die Leute nicht, wer man ist. Das fehlt mir im Norden.

Sind Sie froh, dass sich nun ihr Nachfolger mit Corona herumschlagen muss?

Nein. Ich hätte mir mein letztes Semester anders vorstellen können, aber es war gut, dass Kai Fischbach nicht so starten musste. Ich kenne das Haus seit mehr als 20 Jahren, für mich war es einfacher, mit Corona umzugehen. Wohler wäre mir, wenn wir fürs Semester mehr Sicherheit hätten.

Der gebürtige Rheinländer Godehard Ruppert, 66, lebt seit 29 Jahren in Oberfranken. Während zwei seiner drei Kinder fränkeln, hört man bei ihm noch das dat und wat aus der Bochumer Jugendzeit aufblitzen. (Foto: Universität Bamberg)

Laut Wissenschaftsminister Bernd Sibler ist alles vorbereitet.

Unter anderem ist nun erlaubt, dass 200 Leute in einen Hörsaal dürfen. Aber wie groß muss der Hörsaal sein, wenn bei fester Bestuhlung in jeder Reihe nur zwei sitzen dürfen? Selbst wenn der Saal 20 Meter breit ist, sind das nur zwei. Wir haben fast überall feste Bestuhlung, um Platz zu sparen, den wir jetzt nicht nutzen können.

Was machen Sie nun?

Mit kleinen Räumen arbeiten oder online Seminare anbieten. Dass alles vorbereitet ist, hört sich gut an, aber nicht jede Vorgabe ist vor Ort so umsetzbar. Wir brauchen keine Überregulierung, sondern Eigenverantwortung. Hier würde ich mir vom Ministerium wünschen, dass es den Universitäten mehr Handlungsspielraum lässt.

Ist die Uni gerüstet für digitalen Betrieb?

Dass man besser gerüstet sein könnte, ist klar. Aber ich hab mit einigen Präsidentinnen und Präsidenten gesprochen: Alle sagen, dass wir erstaunlich gut durchs Sommersemester gekommen sind. Wir haben einen Riesenaufwand betrieben. Probleme gab es dort, wo auch die Präsenzlehre nicht optimal läuft. Wer wirklich engagiert ist, hat die Situation angenommen und was draus gemacht. Ich fand das grandios. Ein Kollege aus der Informatik hat auf sein Forschungssemester verzichtet und unterrichtet, ein anderer sein Budget für ein Videostudio eingesetzt, das andere buchen konnten. Lehrende, die auch in der Virtuellen Hochschule Bayern aktiv sind, haben Tipps gegeben.

Wo sehen Sie die Herausforderungen des kommenden Semesters?

Im Sozialen. Austausch, Vielfalt. Das fehlt. Die Möglichkeit für Studierende, aus dem Hörsaal rauszugehen und die anderen zu fragen, ob sie das verstanden haben.

Die können doch chatten.

Das können sie eben nicht genau so. Die müssen sich kennen, müssen wissen, dass sie die anderen anquatschen können, müssen wissen, dass es die anderen gibt und wie sie sie erreichen. Das ist für Erstsemester ein Problem, mein Nachfolger muss sich was einfallen lassen. Wir brauchen für Erstsemester Präsenzangebote unter Corona-Bedingungen.

Virologen, Mediziner und Statistiken bestimmen die Nachrichten. Bamberg steht für Geisteswissenschaften. Wurden die durch Corona endgültig aufs Abstellgleis geschoben?

Ich glaube nicht.

Es fragt doch niemand, was Philosophen zum Virus sagen?

Doch, es hat etwas gedauert, aber Soziologen, Politikwissenschaftler kommen jetzt. Unsere Personalpsychologen sind gefragt, Emotionspsychologie spielt eine Rolle. Nehmen Sie die sozialen Auswirkungen, die Pädagogen im Bereich Schule untersuchen. Nicht bevorzugt wurden Archäologen oder Sprachwissenschaftler. Aber das ist nicht so dramatisch, solange das längerfristig keine Auswirkungen auf die Vergabe von Drittmitteln und Fördergelder hat.

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Edmund Stoiber warfen Sie 2004 vor, ein "persönliches Problem" zu haben, weil er sich auf "rentable" Wirtschafts- und Naturwissenschaften fokussierte. Ist das bei Ministerpräsident Markus Söder anders?

So wie zu Stoibers Zeiten ist es nicht.

Mit der Hightech-Agenda fließen Milliarden in Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI).

Ja, aber Gott sei Dank nicht nur in Naturwissenschaften, sondern auch in anwendungsbezogene Geistes- und Sozialwissenschaften. Ob das Herrn Söders Verdienst ist oder der anderer Beteiligter? Also, da bin ich mir nicht so sicher. Es gibt auch Hardcore-Naturwissenschaftler, die den Wert der Geisteswissenschaften erkannt haben. Dem früheren TUM-Chef Wolfgang Herrmann war zum Beispiel klar, dass es nicht ohne sie geht. Naturwissenschaft pur ist wissenschaftspolitisch gesehen Quatsch. Wir brauchen auch Sozial- und Geisteswissenschaften.

Gerade wurde Bamberg als Absahner gefeiert, ausgerechnet bei KI-Professuren.

Das sind Schnittstellen! Diese Informatikprofessuren sind fast immer an Schnittstellen mit Geistes- und Sozialwissenschaften angesiedelt. Wir haben zum Beispiel angewandte Informatik für Geschichts- und Geowissenschaften und eine digitale Geschichtswissenschaft, die bei den Historikern angesiedelt ist. Ich bin 2000 auch mit dem Vorhaben als Präsident angetreten, die Geisteswissenschaften zu informatisieren. Heute würde man das Digitalisierung nennen. So wollten wir Geisteswissenschaften stärken und das ist gelungen. Wenn sie aus Förderprogrammen rutschen, dann auch, weil sie sich zuweilen pikiert zurückziehen statt sich neuen technischen Ansätzen zu öffnen.

Eine Art Larmoyanz?

Genau, und es gibt nicht immer Grund dazu. Das hat mit Selbstwahrnehmung zu tun. Die Fördermittel der Deutschen Forschungsgesellschaft richten sich auch nach der Zahl der Anträge im Vorjahr. Wenn Geisteswissenschaften keine Anträge stellen, werden sie im Folgejahr mit weniger Geld vorgesehen. Diese Larmoyanz, mit der sich manche Disziplin lähmt, ist tödlich, aber nicht die Struktur eines geisteswissenschaftlichen Faches an sich. Ich sehe eine Riesenchance, gerade bei KI, für Sprachwissenschaften zum Beispiel. Nur muss man diese Chance auch ergreifen.

Trotzdem geht der Großteil der Fördergelder in Naturwissenschaften.

Ja, deshalb ist diese Schnittstellenarbeit ja eine Riesenchance für uns. Sie müssen die Relationen sehen: Die LMU ist vier Mal so groß wie wir. Dass wir sieben KI-Professuren gekriegt haben, dass wir in 20 Jahren eine Drittmittelsteigerung von 2,5 auf 13,6 Millionen Euro geschafft und ein Leibniz-Institut bekommen haben. Das hat es im laufenden Betrieb in Deutschland noch nirgends gegeben.

Dafür hatten Sie 20 Jahre Zeit. Was ist mit den Studenten? Haben die noch Zeit für Seminare, die spannend, aber nicht unbedingt "rentabel" sind? Oder wurde das mit der Umstellung aufs Bachelor-System abgeschafft?

Ja und nein, da wurde viel übertrieben anfangs und viel zurückgeschraubt. Als wir die Bachelor- und Masterstudiengänge einführten, wollten wir das Beste des Magisters retten: Die Kombinationsmöglichkeiten. Unsere Studierenden können auch Zwei- und Drei-Fach-Bachelor machen. Die können wählen, Iranistik etwa mit Islam- und Politikwissenschaft kombinieren. Das stärkt kleine Fächer, von denen wir in der Relation mehr haben als die LMU oder die Berliner Unis. Kleine Fächer bekommen weniger Drittmittel, aber wir haben sie dennoch gezielt gepflegt.

Nehmen Studenten sich diese Zeit auch?

Das ist heute durchaus möglich, kostet gegebenenfalls ein, zwei Semester.

Und wie viele machen das?

Das kommt auf die Einstellung an. Überspitzt gesagt: Es gibt genug, die genau wissen, dass sie Taxifahren verhindern, wenn sie mehr machen. Und es gibt einige, die sagen, dass es ja nicht darauf ankommt, ob sie zwei Semester früher oder später Taxi fahren.

© SZ vom 05.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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