Landespolitik:Versprochen wird die Rettung der Bayern-SPD

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Der Wahlkampf um den SPD-Landesvorsitz bleibt in Pandemie-Zeiten eine sterile Angelegenheit. Die Kontrahenten wollen Schwung. An der Basis hält sich die Euphorie in Grenzen und es gibt eines, was sie nicht will: Streit.

Von Johann Osel

Auf dem Podium in normalen Zeiten stünden sie sich jetzt direkt gegenüber, Angesicht zu Angesicht; die Zuschauer könnten sehen, wenn einer hippelig wippt oder der Nervositätsschweiß kommt. Reaktionen im Saal gäbe es, Applaus, Raunen, mal ein Buh. So aber ist der interne Wahlkampf um den SPD-Vorsitz in Bayern eine recht sterile Angelegenheit, beim ersten digitalen Talk in dieser Woche.

Drei Fenster auf dem Bildschirm: Generalsekretär und Bundestagsabgeordneter Uli Grötsch, zugeschaltet aus der Oberpfalz, Kopfhörer links im Ohr. Das Kontrahenten-Duo - der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn und Mitstreiterin Ronja Endres - in zwei Fenstern. Brunn vor weißer Bürowand, Endres daheim. Hinten steht ein Ficus, der auf den raschen Blick aussieht wie ein Marihuanabaum. Aus diesen Kulissen heraus soll in den folgenden anderthalb Stunden die sozialdemokratische Seele gestreichelt, sollen die Herzen erwärmt werden.

Münchner SPD
:"Ich habe mich ein bisschen gewundert"

Sebastian Roloff versteht den Wirbel nach der Aufstellung der Liste für den Bundestagswahlkampf nicht. Wer ist der Mann, der es geschafft hat, gegen alle Gesetze der SPD den amtierenden Abgeordneten Post auszustechen?

Von Heiner Effern

Auf dass die Delegierten beim digitalen Parteitag im April Grötsch oder Brunn/Endres an die Spitze der bayerischen Genossen wählen. Auf dass es mit ihnen, wie alle versprechen, "wieder aufwärts" geht. Mutmaßlich bezieht sich "wieder" auf Renate Schmidt in den Neunzigern oder Wilhelm Hoegner nach dem Krieg. Sicher nicht auf die jüngere Vergangenheit: das historisch schlechte Ergebnis von 9,7 Prozent bei der Landtagswahl 2018, mit der scheidenden Parteichefin Natascha Kohnen als Spitzenkandidatin. Umfragen sind noch mieser. "Verlieren-Image", sagen selbst Genossen.

In der Landtagsfraktion gibt es einige versierte Köpfe, manche kluge Idee in der Pandemie. Doch nichts verfängt, nichts zahlt ein. Rückenwind aus dem Bund fehlt, die Bayern-SPD steht zudem als Streithanseltruppe da: Bei der Aufstellung der Oberbayernliste für den Bundestag stürzte Sebastian Roloff den Abgeordneten Florian Post von Platz eins, brüskierte die Münchner Parteispitze.

Von "Heckenschützen" ist die Rede. Post kämpft nun allein, unterstützt von Alt-OB Christian Ude, 2013 Spitzenkandidat. Ude zeterte prompt über die "Kohnen-Grötsch-SPD", erinnerte an den "Absturz in der Wählergunst". Wächst sich die Lust am Zerfleischen bayernweit aus? Einen Stimmungstest erhält Grötsch diesen Samstag - die Bayernliste für den Bundestag wird gewählt, er will sie anführen.

In dieser Gemengelage versprechen die Kandidaten: die Rettung der Bayern-SPD. Nach dem Verzicht von Kohnen meldete sich erst Grötsch als Nachfolger, mit Ramona Greiner als Generalsekretärin. Dann bewarb sich das Duo Brunn/Endres als Doppelspitze, Arif Taşdelen soll ihr General werden. Die Bewerbungsfrist ist abgelaufen. "Können wir loslegen", fragt der Moderator. Drei Daumen gehen hoch.

Die 34-jährige Endres - seit 2008 SPD-Mitglied, Gewerkschafterin - beginnt. Die Lage sei "schlecht, das ist Fakt". Sie habe "keine Lust auf schlechte Laune" und wolle eine Trendwende - "Kopf hoch, Ärmel hochkrempeln". Inhaltlich etwa: "Es interessiert die Klimakrise nicht, ob wir Menschen sie bewältigen, und wer am Ende ohne Arbeit dasteht." Die Grünen interessiere das übrigens auch nicht. Alle Kandidaten verteilen Seitenhiebe Richtung Grün. In der Parteiarbeit will Endres mit Verbänden wieder "gut gepflegten Kontakt" und mit den Gewerkschaften "Seit an Seit" stehen. "Florian, hau rein", übergibt sie und nippt an einer milchkannengroßen Teetasse.

Auch Brunn verspricht die Versöhnung von Arbeit und Klima, das könne die SPD am besten. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger produziere zwar viel Wind, der sei aber energiepolitisch ungeeignet. Grötsch verheißt als Parteichef "ständige Präsenz in der Fläche" und "Sichtbarkeit", digitale Parteiarbeit für Mitglieder auf dem Smartphone. Auch die Presse darf in Vorfreude sein, er plant viele Redaktionsbesuche. "Die SPD muss immer zuerst die Partei der Arbeit und der sozialen Gerechtigkeit sein", gibt er inhaltlich vor, immer dann sei sie "ganz bei sich". Zudem biete er als Kreisrat den kommunalen Hintergrund, mit Greiner werde er Ballungsräume und ländlichen Raum "zueinander führen".

Grötsch fordert ein 30-Milliarden-Euro-Programm für die Post-Corona-Jahre in Bayern: ÖPNV-Rettungsschirm, "Klima-Investitionsbooster", "Kultur-Milliarde". Die Schuldenbremse solle weg. Schon am Montag präsentierte er seinen "Marshallplan". Angelehnt an den US-Außenminister George C. Marshall. Nicht an Schlagersänger Tony Marshall ("Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit? Ho-ja, ho-ja-hoo"). Den Gag hat sich Florian von Brunn ausgedacht, in der Debatte mahnt er, nicht "den ganzen Tony Marshall" zu referieren. Kann freilich ein Versprecher sein, Zufall.

Auch Brunn und Endres haben bereits programmatisch geliefert: ihre "Zukunftsvision Bayern". Dazu gehören ebenfalls etwa der sozial-ökologische Umbau oder Hilfen für Kommunen. "Das brave Schweigen und die Leisetreterei, das Ausweichen vor Sachdebatten und Entscheidungen muss ein Ende haben." Reiche und Betriebserben sollen blechen.

Medial im Fokus steht Brunn auch bei den Maskendeals der CSU, im "Emix"-Fall erstattete er Anzeige, forciert Aufklärung. Neuigkeiten dazu spielte er just in jener Stunde an die Medien, als Grötsch den Marshallplan vorstellte. Auch das kann Zufall sein. Endres treibt derweil um, dass bei Online-Passwörtern oft "Wie lautet der Mädchenname Ihrer Mutter?" als Sicherheitsfrage gestellt wird. Das sei "sexistisch", schrieb sie auf Twitter. "Nicht Priorität eins, die Mischung macht uns aus", sagt sie auf SZ-Nachfrage. In der Bundes-SPD wird ja wild gestritten, was "linke Identität" ist - ob progressive Details das sozialdemokratische Ganze verwässern.

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Und was will die Basis wissen an diesem Abend? Vieles und das sehr genau, etwa zu Inklusion oder Photovoltaik. Was sie nicht will: Streit. Spricht man Kohnen auf den Münchner Konflikt und Ude an, spricht sie vom verstorbenen Alt-OB Hans-Jochen Vogel. Bei dem sei stets "extrem guter Rat" einzuholen gewesen, er habe gezeigt, wie man der SPD im Ruhestand "konstruktiv und vertrauenswürdig" diene. Züge, die sie bei Ude wohl vermisst. Um Kohnen in der Vorsitzfrage zu verorten, braucht es keine hellseherische Kraft. Mit Grötsch arbeitet sie im Vorstand, mit Brunn gab es oft Knatsch. Doch sie sieht sich in neutraler Rolle - und freut sich, dass die Debatte sachlich ablief: "Genau so soll es sein."

Ob's dabei bleibt? Das Rennen ist offen. Hört man sich an der Basis um, kommen Einwände gegen alle. Dass der Generalsekretär Grötsch nicht Aufbruch verkörpere. Dass - andere Ecke - ein Duo zwar reizvoll sei, aber kein Garant für den Aufwärtstrend, siehe SPD im Bund. Dass Endres unerfahren sei und Brunn nicht als Teamplayer bekannt. Inhaltlich ist vieles deckungsgleich. Es wird wohl eine Personenwahl.

Ein Mini-Unterschied: Grötsch will das "konkrete Angebot" der SPD betonen und dann aufzeigen, "was andere verbockt haben". Endres und Brunn wollen "über den Kampf ins Spiel kommen". Abteilung Attacke. Ob das alles reicht, um "cool" zu werden als SPD? Fragt einer von der Basis. Endres meint: "Ich bin schon ziemlich cool."

© SZ vom 13.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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