Psychische Erkrankungen nehmen seit Jahren zu - der Krankenkasse Barmer zufolge erhielt zuletzt ein Drittel aller Erwerbstätigen in Bayern binnen Jahresfrist eine entsprechende Diagnose. Sechs Prozent wurden krankgeschrieben. Nach den jüngsten verfügbaren Abrechnungsdaten der Kasse aus dem Jahr 2021 waren somit hochgerechnet auf die 7,8 Million Erwerbstätigen im Freistaat rund 470 000 Menschen mindestens einmal wegen psychischer Leiden arbeitsunfähig. Umso wichtiger sei es, Risikofaktoren zu erkennen und vorzubeugen, sagte Barmer-Landesgeschäftsführer Alfred Kindshofer am Donnerstag in München.
"Risikofaktoren sind das Geschlecht, es ist das Alter, und es sind die Berufe", sagte Kindshofer. Frauen würden mit Ausnahme von Suchterkrankungen häufiger psychisch erkranken als Männer (39 versus 28 Prozent). Beschäftigte in medizinischen und sozialen Berufen hätten deutlich mehr psychisch bedingte Fehltage als Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen in Akademikerberufen. Und ältere Beschäftigte seien öfter betroffen als jüngere - wobei es bei den 15- bis 29-Jährigen einen besonders starken Anstieg gebe.
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Doch es gebe noch mehr Risikofaktoren, schilderte Kindshofer: Wer häufig den Arbeitgeber wechsele oder in kurzer Zeit öfter umziehe, habe den Daten zufolge ein erhöhtes Risiko. So bekamen fast elf Prozent aller Erwerbspersonen, die binnen drei Jahren vier oder mehr Arbeitgeber hatten, eine psychische Erkrankung diagnostiziert - im Vergleich zu 7,6 Prozent der Menschen mit konstantem beruflichen Umfeld. Unterschiede zeigten sich auch zwischen Beschäftigten, die eine reguläre Anstellung hatten im Vergleich zu Kollegen in der Zeitarbeit. Minimal größer falle zudem der Unterschied zwischen befristet und unbefristet Angestellten aus, erklärte Kindshofer. Noch gravierender sei der Unterschied zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten, von denen immerhin 9,9 Prozent betroffen waren (7,4 Prozent bei Vollzeit).
Die Barmer bezieht sich bei ihrer Analyse auf die Daten ihrer 530 000 erwerbstätigen Versicherten in Bayern, was aufgrund der breiten Grundlage als repräsentativ gilt. "Natürlich sind wir längst noch nicht dort, dass jeder über eine psychische Erkrankung so frei redet wie über eine physische Erkrankung", schilderte Anja Buschner aus dem Unternehmensalltag des international tätigen fränkischen Automobilzulieferers Schaeffler. "Aber die Menschen verstecken sich vermehrt seltener hinter Erkrankungen wie Tinnitus, Magenschmerzen oder Rückenschmerzen."
Neben Aufklärung, Hilfsangeboten, Trainings zur mentalen Gesundheit und der Vorbildfunktion der Führungskräfte müssten Unternehmen auch die durch Corona veränderten Arbeitswelten in den Blick nehmen, schilderte die Spezialistin für betriebliches Gesundheitsmanagement. So sei man früher zu einem Meeting gelaufen, habe sich dabei zumindest etwas bewegt und Zeit zum Nachdenken gehabt. Das sei nicht nur im Homeoffice jetzt anders. "Heute beenden wir ein Meeting, indem wir auf das Knöpfchen drücken, und drücken eine Sekunde später aufs nächste Knöpfchen, um das nächste Online-Meeting zu starten." Nötig seien daher auch digitale Spielregeln, etwa zur erwarteten Erreichbarkeit.