Polizeiaufgabengesetz in Bayern:Polizei soll "in erheblichem Umfang" Bürger durchleuchten

Kommission legt Abschlussbericht zum umstrittenen Polizeigesetz v

In Bayern haben vor drei Jahren viele Menschen - wie hier in München - gegen das Polizeiaufgabengesetz demonstriert.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die bayerische Staatsregierung plant eine Änderung des Polizeiaufgabengesetzes, damit bei Großveranstaltungen Besucher genauer überprüft werden können. Kritiker sprechen von einem "Schritt in Richtung Überwachungsstaat".

Von Ronen Steinke

Die bayerische Staatsregierung plant überraschend eine neue Änderung des Polizeiaufgabengesetzes. Bei Großveranstaltungen im Freistaat soll die Polizei künftig das Recht bekommen, Besucherinnen und Besucher einer sogenannten Zuverlässigkeitsüberprüfung zu unterziehen. Das heißt, dass persönliche Daten der Menschen "bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen" abgefragt und bei der Polizei zusammengeführt werden können. Einen entsprechenden neuen Artikel 60a hat der Innenausschuss des Landtags am Mittwoch bereits mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern angenommen.

Gegen den Gesetzentwurf regt sich heftige Kritik. Der Jurist Markus Löffelmann, der jahrelang Richter am Landgericht München und zuletzt Richter in einem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht München war, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Ich denke, das kann ein Einfallstor sein für etwas, das unter dem Stichwort Social Crediting bekannt ist. Wenn man an gesellschaftlichem Leben teilhaben möchte, dann wird man das nur noch können, indem man seine Zustimmung zu einer polizeilichen Durchleuchtung abgibt." Er denke etwa an Fußballspiele in der Allianz-Arena oder auch an Konzerte.

Löffelmann, der aktuell als Professor für Sicherheitsrecht an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin lehrt, nennt die geplante Gesetzesänderung "sehr gravierend". Sie habe eine "riesige Streubreite". Im Gesetzestext ist die Rede von "Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen", bei denen Zuverlässigkeitsüberprüfungen stattfinden könnten, laut der Begründung zum Gesetzentwurf von CSU und Freien Wählern könne dieses Screening bei Großveranstaltungen einen "erheblichen Umfang" erreichen.

Der entscheidende Passus des Gesetzentwurfs lautet: "Bei Anlässen, die mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden sind, kann die Polizei personenbezogene Daten einer Person mit deren schriftlicher oder elektronischer Zustimmung bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen erheben, übermitteln und anderweitig verarbeiten, soweit dies im Hinblick auf den Anlass und die Tätigkeit der betroffenen Person erforderlich und angemessen ist."

Diese Formulierung lasse "völlig offen, welcher Personenkreis betroffen ist", kritisiert Löffelmann. Auch werde "gar nicht festgelegt, welche Daten herangezogen werden. Das können jegliche Daten sein". In anderen Bundesländern hat die Polizei heute schon das Recht, vorbeugend die Daten von Personen abzufragen, um eine Zuverlässigkeitsüberprüfung durchzuführen. In Rheinland-Pfalz und Hessen zum Beispiel enthält das Polizeigesetz entsprechende Regeln. Allerdings geht es dort eingeschränkt nur um Berufsgruppen, die mit besonderen Sicherheitsrisiken zu tun haben. Auch müssen sich zum Beispiel bundesweit Mitarbeiter an Flughäfen durchleuchten lassen, die Details sind im Luftsicherheitsgesetz geregelt. "Das wird jetzt ausgeweitet", meint der Jurist Löffelmann - "auf alle Bürger in Bayern."

Ähnlich sieht es der Juraprofessor Mark Zöller, Geschäftsführer des Instituts für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er spricht gar von einem "Schritt in Richtung Überwachungsstaat". Dies sei "eine ganz neue Dimension der Überwachung und Kontrolle", ein "Wunschtraum chinesischer Verhältnisse". Im Innenministerium, aus dem der neue Gesetzentwurf stamme, säßen Spitzenjuristen, die nicht dazu neigten, aus Versehen etwas zu vergessen. Die Tatsache, dass Bayern sich bei der Durchleuchtung nicht auf bestimmte Berufsgruppen beschränken wolle, sei ebenso auffällig, wie die fehlende Einbindung des Datenschutzbeauftragten.

"Was mich besonders misstrauisch macht, ist die Art, wie diese Regelung eingeführt wurde", sagt Markus Löffelmann. "Um 19 Uhr am Dienstag wurde der Antrag im Landtag eingebracht, am nächsten Morgen sollte abgestimmt werden." Eine Anhörung von Sachverständigen habe es nicht gegeben.

Die zweite und dritte Lesung ist für Mitte Juli angesetzt. Die Opposition im Landtag kritisiert die Pläne. Die neue Regelung könne zur Folge haben, dass in Zukunft nur noch Personen ein Bundesligaspiel in der Allianz Arena besuchen dürfen, die vorher ihre Zustimmung zu einer "Zuverlässigkeitsüberprüfung" erteilt haben, sagte Horst Arnold, der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. "Wenn das Gesetz hier von Zustimmung spricht und damit eine Freiwilligkeit suggeriert, was für eine Freiwilligkeit soll dies sein?" Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Katharina Schulze, sagte: "Erneut schränkt die Regierung Bürgerrechte ein und missachtet den Datenschutz, obwohl wir im sichersten Bundesland leben." Die Einführung der Zuverlässigkeitsprüfung sei einschneidend und alarmierend, die neue Regelung sei "sehr vage gehalten und ohne Einbeziehung von Experten und dem Datenschutzbeauftragten schnell von den Regierungsfraktionen abgestimmt worden - dieses Vorgehen kommt den Überwachungsfantasien der Söder-Regierung natürlich sehr gelegen". Der innenpolitische Sprecher der CSU, Manfred Ländner, widersprach: Sehr wohl sei der Datenschutzbeauftragte bei den Beratungen einbezogen worden. "Das ist keineswegs der Weg in einen Überwachungsstaat", sagte Ländner. Erstens sei zu beachten, dass jede Überprüfung nur mit Einverständnis der betroffenen Person stattfinden dürfe. Zweitens solle die Regelung nur für Menschen mit besonderer Zugangsberechtigung gelten. "Das heißt, nicht der normale Konzert-Besucher, sondern zum Beispiel nur die Menschen im Backstage-Bereich und Dienstleister bei diesen Veranstaltungen."

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