Bayern:Polizeiaufgabengesetz soll geändert werden

Kommission legt Abschlussbericht zum umstrittenen Polizeigesetz v

In Bayern demonstrierten vor einem Jahr die Menschen - wie hier in München - gegen das Polizeiaufgabengesetz. Als Konsequenz setzte die Staatsregierung eine Kommission zur Begutachtung ein.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)
  • Am Freitag hat die Expertenkommission, die das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) überprüfte, ihre Ergebnisse vorgestellt.
  • Sie kommt zu dem Schluss, "dass das PAG an einigen Stellen nachgebessert werden sollte".
  • Unter anderem legt die Kommission nahe, bei der Präventivhaft die Höchstdauer auf deutlich unter drei Monaten zu begrenzen.
  • Die Staatsregierung will bis November nachbessern. Die PAG-Gegner kündigen an, dass sie an ihren Verfassungsklagen festhalten.

Von Wolfgang Wittl

Es ist der Mai 2018, in dem Markus Söder zu ahnen beginnt, dass sein Wahlkampf ungemütlicher werden könnte, als er sich das jemals ausmalte. Söder ist noch keine zehn Wochen als Ministerpräsident im Amt. Das erste Gewitter, der Kreuzerlass, hat sich gerade verzogen. Doch was sich jetzt zusammenbraut, fegt durch die Reihen der CSU mit der Wucht eines Tornados.

Söder, der sonst immer frei spricht, steht in der Parteizentrale und liest von einem weißen Notizzettel ab. Es habe ihn bewegt, dass so viele Menschen "eine große Unsicherheit und eine große Angst" vor dem neuen Polizeiaufgabengesetz (PAG) hätten. Daher werde er eine Kommission einsetzen, um "das Ganze zu evaluieren und weiterzuentwickeln". Im Klartext heißt das: Die CSU ist zu einer Gesetzesänderung bereit, spielt aber auf Zeit. Zu groß ist die Sorge, die AfD könnte bei der Landtagswahl profitieren, falls das PAG schon jetzt entschärft würde. Nun, 15 Monate später, ist die Zeit dafür offenbar reif.

Am Freitag steht Karl Huber im zweiten Stock des Innenministeriums. Zusammen mit seinen fünf Kollegen stellt der frühere Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs die Ergebnisse der Expertenkommission zum PAG vor. Von einer Watschn will Huber nicht sprechen, gleichwohl ist der Abschlussbericht weitaus mehr als nur ein zartes Tätscheln der Staatsregierung. Acht Kritikpunkte führt Huber aus, darunter auch "gravierende", wie er sagt. Die Kommission habe zwar nicht feststellen können, dass die Einführung des Begriffs der "drohenden Gefahr" die Arbeit der Polizei grundlegend verändert habe. Trotzdem komme sie zu dem Schluss, "dass das PAG an einigen Stellen nachgebessert werden sollte".

Kritikpunkt Nummer eins: Schon im August 2017 führte die Staatsregierung eine neue Regelung zur Präventivhaft ein. Bis zu drei Monate statt 14 Tage können Verdächtige künftig in Gewahrsam genommen werden. Danach muss ein Richter entscheiden, ob die Spanne verlängert wird. Kritiker sprechen von "Unendlichkeitshaft". Die Kommission legt nun eine "deutliche Begrenzung der Höchstdauer auf unter drei Monaten" nahe. Bei einem Gewahrsam von 24 Stunden sei zudem verpflichtend ein Rechtsbeistand hinzuzuziehen. Und sollte der Gewahrsam verlängert werden, müsse dies durch ein "höherrangiges" Gericht geschehen.

Auch zur besonders umstrittenen "drohenden Gefahr" äußern sich die Experten im Detail. Vorher musste die Polizei eine "konkrete Gefahr" begründen, ehe sie jemanden überwachte. Durch die "drohende Gefahr" wurde der Spielraum deutlich erweitert. Die Kommission empfiehlt, Eingriffe wegen "drohender Gefahr" auf den Schutz "von überragend wichtigen Rechtsgütern" zu beschränken. Zudem sollte ins Gesetz wieder eine Definition der "konkreten Gefahr" eingefügt werden, um leichter unterscheiden zu können. "Kritisch hinterfragt" werden sollte, ob "molekulargenetische Identifizierungsmuster" bei der Polizeiarbeit verwendet werden dürfen. Falls ja, dann nur durch gerichtliche Anordnung. Auch beim Einsatz sogenannter Body-Cams empfiehlt die Kommission, Aufzeichnungen in Wohnungen unter richterliche Hoheit zu stellen.

Bayern: Der frühere Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs: Karl Huber.

Der frühere Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs: Karl Huber.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Insgesamt 127 Seiten beträgt der Abschlussbericht, die Experten listen erstaunlich viele Anmerkungen auf. Selten hat ein Gesetz die Menschen in Bayern so aufgewühlt wie das PAG. Rund 30 000 Demonstranten zogen durch die Münchner Innenstadt, unterstützt von einem Bündnis von mehr als 80 Verbänden und Parteien. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dankt am Freitag der Kommission für ihre Arbeit. Das PAG könne nun "sinnvoll nachjustiert" werden. Bis zum November wolle das Innenministerium eine Novellierung des Gesetzes vorlegen.

Drei mögliche Punkte nennt Herrmann bereits am Freitag: Die Richtervorbehalte wolle man künftig klarer fassen; den Anwendungsbereich der "drohenden Gefahr" prüfen. Auch die Vorschläge, den dreimonatigen Gewahrsam zu befristen und den Betroffenen verpflichtend einen Rechtsbeistand an die Seite zu stellen, "scheinen mir sinnvoll". Laut Herrmann gab es bislang 19 Fälle (etwa 80 Prozent Ausländer), die über die früher zulässigen 14 Tage in Gewahrsam hinausgingen - einer davon mit 90 Tagen. Ob ihn die Fülle der Ratschläge überrascht habe? Er sei von den Ergebnissen "beeindruckt", sagt Herrmann. Der Bericht könne zur Befriedung beitragen. Denn er lege berechtigte Kritik am PAG offen und entschärfe gleichermaßen überzogene Vorwürfe.

Die PAG-Gegner fühlen sich durch den Bericht bestätigt, und doch geht ihnen die Kritik darin nicht weit genug. Den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken sei "nicht Rechnung getragen worden", bedauert Laura Pöhler, Sprecherin des "noPAG"-Bündnisses. Wie Ates Gürpinar, der Landessprecher der Linken, sieht Pöhler aber eine "Demontage" der Staatsregierung. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze sagt, der Abschlussbericht zeige deutlich, "wie berechtigt die Kritik von uns und den Zehntausenden demonstrierenden Menschen in Bayern war und ist". SPD-Fraktionschef Horst Arnold hätte sich von der Kommission mehr Mut gewünscht: "Der Begriff der drohenden Gefahr muss komplett aus dem PAG gestrichen werden." Huber sagte, die verfassungsrechtliche Bewertung obliege den Verfassungsgerichten, daher habe die Kommission darauf verzichtet. Genau dazu wird es bald kommen: Alle PAG-Gegner kündigen am Freitag an, dass sie an ihren Verfassungsklagen festhalten.

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