Natur in Bayern:Wo es summt und brummt

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Artenreiche naturnahe Blumenwiesen wie diese sind selten geworden in Bayern. Die Initiative "Natürlich Bayern" will das unbedingt ändern. (Foto: Deutscher Verband für Landschaftspflege)

Konrad Schinkinger liebt artenreiche Blumenwiesen. Deshalb engagiert sich der Landwirt aus dem Landkreis Rosenheim für "Natürlich Bayern". Die Initiative kämpft seit fünf Jahren gegen das Insektensterben.

Von Christian Sebald, Rimsting

Konrad Schinkinger liebt Blumenwiesen. Und zwar nicht nur, weil sie so vielfarbig sind und den ganzen Sommer immer neu blühen. "Das Bild von solchen Blumenwiesen ist so unaufdringlich, so harmonisch in sich, da ist nix schrill", sagt er in einem kurzen Film über sich und seine Leidenschaft. "Die sind einfach da und haben einen Stand. Und das ist was Schönes." Schinkinger ist Landwirt in Pfraundorf im Landkreis Rosenheim, ein kleiner, "der ein Sachl mit vier Hektar Grund geerbt hat, das er naturnah bewirtschaftet", wie er sagt. Und er hat es immer schon bedauert, dass die Blumenwiesen in seiner Region immer seltener werden.

Dann hat Schinkinger erfahren, dass der Landschaftspflegeverband Rosenheim das Projekt "I bin a Hummel, und da bin i dahoam" startet. In seinem Rahmen sollten neue Blumenwiesen begründet werden. Zwar nur auf sechs Hektar Fläche insgesamt und verteilt auf vier Gemeinden in der Region, aber immerhin. "Das hat mich sofort angesprochen", sagt Schinkinger. Seither erntet er mit einer Spezialmaschine das Saatgut für die Blumenwiesen - denn es werden nur regionale Blumensamen verwendet -, trocknet es und packt es ab. Dann gibt er es weiter an die Kollegen, die die Aussaat übernehmen.

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Den Erfolg kann man auf der Ratzinger Höhe bewundern, von der aus man einen prächtigen Ausblick nicht nur auf den Chiemsee, sondern außerdem auf die Kampenwand hat, das Wahrzeichen des Chiemgaus. Bis vor wenigen Jahren war die Wiese, die der Landschaftspflegeverband dort betreut, ein Grasacker, auf der im Frühjahr womöglich der Löwenzahn blühte, aber sonst kaum eine Blume. Heute gedeihen dort die zart-violette Wiesen-Flockenblume, Rotklee und Gelber Hornklee, aber auch der Scharfe Hahnenfuß, im Volksmund als Butterblume geläufig, das Wiesenlabkraut, der Spitzwegerich und viele weitere Wiesenblumen und Kräuter. Ein wahres Paradies für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten also.

"I bin a Hummel und do bin i dahoam!" ist eines von 30 Projekten, mit denen Landschaftspflegeverbände in ganz Bayern mehr Vielfalt in die heimischen Wiesenlandschaften bringen und damit etwas für die hiesige Insektenwelt tun wollen. Sie alle stehen unter dem Motto "Natürlich Bayern" und sind auf den Schock hin entstanden, den die sogenannte Krefeld-Studie von 2017 in der Bevölkerung und bei Politikern ausgelöst hatte. Die Studie war die erste ihrer Art, die für Deutschland in den Jahren 1889 bis 2016 quer durch alle Insektenarten Verluste von 75 Prozent und mehr belegt hat. Als Hauptgrund für das Insektensterben gilt die intensive Landwirtschaft mit ihrem massiven Einsatz von Kunstdünger und chemischen Pflanzenschutzmitteln.

Der Landwirt Konrad Schinkinger mit seiner Erntemaschine für Wiesenblumen-Samen. (Foto: Deutscher Verband für Landschaftspflege)

Gleich ob im schwäbischen Aichach-Friedberg oder im niederbayerischen Dingolfing-Landau, im mittelfränkischen Ansbach oder in Amberg-Sulzbach in der Oberpfalz, in Bamberg oder eben im Landkreis Rosenheim: Dank "Natürlich Bayern" sind seit 2018 überall artenreiche Blumenwiesen angelegt worden. Aber nicht nur das. Außerdem sind Säume, Hecken und Wegränder aufgewertet worden, damit Insekten Korridore von einem Lebensraum zum anderen bekommen. Im Landkreis Altötting haben sie sogar den Damm des Alzkanals in ein Insekten-Biotop verwandelt, das jetzt in großen Teilen von einer Ziegenherde statt von Mähmaschinen gepflegt wird. Und im Landkreis Günzburg wurden die Ufer von Wassergräben auf 25 Kilometern Länge zu Libellen-Pfaden, auf denen jetzt Mädesüß und Blutweiderich blühen. Außerdem gab es Schulungen für Landwirte, Bauhof-Mitarbeiter und andere Interessenten.

Die Landschaftspflegeverbände, die sich an "Natürlich Bayern" beteiligt haben, sind wie gemacht für solche Projekte. In ihnen arbeiten nämlich Naturschützer, Landwirte und Kommunen eng zusammen, statt - wie sonst oft üblich - einander argwöhnisch zu beäugen. Und sie sind bei der Staatsregierung hoch angesehen, was sich auch darin ausdrückt, dass sie ihre Arbeit finanziell stark unterstützt. "Natürlich Bayern" etwa wurde vom Umweltministerium mit drei Millionen Euro gefördert. Erfinder der Landschaftspflegeverbände und des Deutschen Verbands für Landschaftspflege (DVL) war der CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel. Seit dessen Tod vor eineinhalb Jahren steht die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl an der Spitze des DVL.

"Das Insektensterben geht weiter", sagt der Forscher

Alles in allem sind durch "Natürlich Bayern" 670 Hektar neue Blühwiesen und -streifen geschaffen worden, wie Noichl stolz sagt. Auch wenn das immerhin etwa tausend Fußballplätzen entspricht, wird man damit das Insektensterben in Bayern nicht beenden können, nicht einmal im Ansatz. Dafür müsste die Staatsregierung sehr viel mehr "an den wirklich entscheidenden Stellschrauben drehen", sagt der Schmetterlingsforscher an der Zoologischen Staatssammlung in München, Andreas Segerer, der einen guten Überblick über die Lage der Insekten in Bayern hat. "Also den Einsatz von Agrarchemie massiv einschränken und den Ausbau der Bio-Landwirtschaft fördern."

Das aber tut die Staatsregierung nicht, jedenfalls nicht in dem Maße, wie das Naturschützer und Fachleute fordern. Im Gegenteil. Im Zukunftsvertrag für die Landwirtschaft etwa, den Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit dem Bayerischen Bauernverband jüngst unterzeichnet hat, kommt die Bio-Landwirtschaft überhaupt nicht vor - obwohl sich die Staatsregierung gesetzlich verpflichtet hat, ihren Anteil bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen. "Wenn die Bio-Landwirtschaft aber nicht deutlich vorankommt, wird das Insektensterben weitergehen", sagt Segerer. "Selbst wenn es inzwischen nicht mehr täglich in den Schlagzeilen ist."

Zugleich gesteht Segerer zu, dass Initiativen wie "Natürlich Bayern" die dramatische Lage im Kleinen ein wenig abmildern können. Das sehen sie auch bei den Landschaftspflegeverbänden so. "Alle 30 Projekte waren ein großer Erfolg", sagt DVL-Chefin Noichl. "Deshalb wollen wir sie unbedingt fortsetzen." Aus dem Umweltministerium gibt es denn auch Signale für eine weitere Förderung. Einer der in jedem Fall weitermachen wird, ist der Rosenheimer Landwirt und Blumenwiesen-Liebhaber Schinkinger. "Wir haben hier bei uns im Landkreis Rosenheim vielleicht noch 20, 30 richtig große, tolle Blumenwiesen", sagt er. "Das sind zu wenige."

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