Vor Jahren hatte eine Frau aus Berlin nach einer Lesung der Schriftstellerin Margret Hölle verkündet: "Wissen Sie, verstanden hab ich keen Wort, aber jefühlt ne Menge." Nicht immer hat das Publikum in Gänze verstanden, was Margret Hölle vortrug. Viele ihrer Gedichte hat die 1927 in Neumarkt geborene Lyrikerin nämlich in der alten Sprache der Oberpfalz verfasst. Gleichwohl besaßen ihre Texte eine starke poetische Kraft. Überdies verstand es Margret Hölle, menschliche Wärme, Bescheidenheit und Intellektualität unnachahmlich zu verknüpfen und damit ihren Mitmenschen große Momente des Glücks zu schenken.
Als Autorin erlag sie nie den Versuchungen der Heimattümelei. Wer ihr beim Vortrag lauschte, dem mochte es vorkommen, als brächen archaische Urlaute über ihn herein. Wer aber genauer hinhörte, der vernahm eine faszinierende Klangfarbe, was auch für ihre hochdeutschen Texte gilt:
Wipfelknarrendes Wälderland
Finsteres /
Rauhes Hügelland buckliges /
Windgefegtes Steinfeldland /
Burgenland sagenwisperndes ...
Margret Hölle hat sich einen Ehrenplatz im Olymp der deutschen Mundartliteratur erworben. Dass sich der Erfolg nur zögernd einstellte, lag eben auch daran, dass sie ihre Erfahrungen sie aus einem bäuerlichen Armeleuteland mit archaischen Sprachbildern und rauen Idiomen schöpfte.
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Als Jugendliche entfloh sie der Heimat und dieser Sprache, um Jahrzehnte später zu schreiben: "Die Kindheit blieb mir auf den Fersen." Die alte Sprach- und Erlebniswelt holte sie ein, als sie längst in der weiten Welt unterwegs war:
Mir is mei Kindaschbrouch nouchglofa, nouchglofa wöi a Hund, sie hod se niad vodreim loun ...
Verheiratet mit dem Kinderbuch-Illustrator Erich Hölle (1925-1993), veröffentlichte sie Mitte der 1950er-Jahre ihre ersten Gedichte. Deren "harte und kantige Sprache war der Ausdruck eines geschundenen, benachteiligten Landstrichs und Menschenschlags. Ich musste ans Licht bringen, was lange abgeschottet war".
Meisterhaft hob sie fortan eine verlorene Sprache mit aktuellen Inhalten wieder in die Gegenwart. In dem Band "Bloiht a Dornbusch" (Lichtung Verlag, 1997) schrieb sie dazu unvergessliche Zeilen:
Mei Sprouch /
is mei Haus /
mache Tir aaf /
wern d Finga woam /
schmeichlt a Gschmooch /
vu Salwei Öpfö und Nüss /
blöiht a Dornbusch am Herd ...
"In diesem Band erblühte das Oberpfälzisch zu einer wunderbaren, kräftigen Lyrik", sagt ihr damaliger Verleger Hubert Ettl vom Lichtung Verlag, in dem zuletzt Hölles hochdeutsche Gedichte ("Distelsamen", 1999) und nochmals welche im Idiom der Oberpfalz ("Zeit aaffanga", 2005) erschienen sind.
Margret Hölle erhielt unter anderem den Friedrich-Bauer-Preis für Literatur der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, den Kulturpreis der Stadt Neumarkt und den Bayerischen Verdienstorden. Am Montag ist sie in München gestorben. Sie wurde 96 Jahre alt. Über das Leben schrieb diese große bayerische Dichterin:
"O Leem /
Angst- und Juwlschroa /
fir jen unta da Sunn /
min Vastand niad zan deidn."