Kirchweih:Rehragout und Bluthochdruck

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Die Speisenauswahl an Kirchweih ist vielfältig - zu den süßen Sachen gehören Kirchweihnudeln. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Selbst bei armen Bauernfamilien, die das Jahr über nichts als Arbeit und karge Mahlzeiten kannten, wurden an Kirchweih gemästete Gänse und Schweine unter lautem Schmatzen verzehrt. Über die Stränge zu schlagen, geht auch heute noch.

Von Hans Kratzer

Lieber vom Saufen einen Bauch als vom Arbeiten einen Buckel. Diese Weisheit kennen wir von einem alten Spruch, der aber nur einem Wunschdenken entsprang. Wie drastisch Schwerarbeit einst den Alltag durchdrang, ist in der hohen Literatur bestens dokumentiert, beispielsweise im Werk des Oskar Maria Graf (1894-1967), der über eine ihm bekannte Bauernfamilie schrieb: "Der Heimrath, die Bäuerin, die Dienstboten und die Kinder - wenn sie einmal acht oder neun Jahre alt waren - standen täglich um 2 Uhr in der Früh auf. Gebetet wurde, dann die Mehlsuppe gegessen, und die einen gingen in den Stall oder aufs Feld zum Mähen. Außer den üblichen sehr einfachen Mahlzeiten gab es kein Rasten mehr bis tief in die Dunkelheit hinein. Das war im Sommer und im Winter so ..."

Nur während des Kirchweihfests war die Fron der Arbeit außer Kraft gesetzt. Seit 1866 wird die Kirchweih in Südbayern stets am dritten Sonntag im Oktober gefeiert, während die Gemeinden oberhalb der Donau ihre Kärwa jeweils am Tag des Kirchenpatrons begehen. Was den Nach- oder auch den Vorteil hat, dass sich quasi jedes Wochenende irgendwo eine Kirchweihgaudi zuträgt.

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In den Zeitungen spiegeln die Kirchweih-Annoncen der Wirtshäuser die Herrlichkeit des Festes nach wie vor wider. Überdies nähren sie die Hoffnung, dass sich bei Sau und Enten, Rehragout und Hauberlingen sowie Tauben und Ochsenbraten die Krisen dieser Welt kommod verdrängen lassen. Zumindest bis zum Finale des Schmausens, bei dem der Magen noch mit ein paar Kirchweihnudeln verrenkt wird. Dass auch hohe Cholesterinspiegel, Bluthochdruck und Adipositas von der Kirchweih gut leben, liegt auf der Hand.

Selbst auf Höfen, wo es arm herging, wurden einst Gänse und Schweine herangemästet, und wenn feige Diebe sie nicht vorher stahlen, dann wurden sie zur Kirchweih unter lautem Schmatzen und Rülpsen verspeist. "In zweimal 24 Stunden wurde verzehrt, was auf ein Vierteljahr zur guten Subsistenz einer Familie hingereicht hätte", heißt es in einer alten Chronik.

Am Kirchweihfest schlugen eben alle über die Stränge. Als einmal ein weiser Doktor einen Wirt ermahnte: "Die Dicken leben ned so lang!", erwiderte dieser: "Aber dafür könnens mehra essen." Nicht einmal der alte Goethe war gegen die Fresslust gefeit. Der Dichter Jean Paul hatte ihn einmal beobachtet und notiert: "Er frisset entsetzlich."

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