Urteil in München:Integrationsgesetz der CSU zum Teil verfassungswidrig

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Der von Ministerpräsident Söder und der CSU forcierte Begriff der "Leitkultur" im Integrationsgesetz ist von Dutzenden Verbänden, von Kirchen und Gewerkschaften aufs Schärfste kritisiert worden. (Foto: dpa)
  • Nach dem deutlichen Urteil des bayerischen Verfassungsgerichtshofs will die bayerische Regierung das umstrittene Integrationsgesetz prüfen.
  • Die CSU hatte es 2016 im Alleingang beschlossen - trotz breiter Kritik auch von Kirchen und Dutzenden Verbänden.
  • Die Münchner Richter urteilten, das Gesetz stehe im Widerspruch zur Rundfunkfreiheit, zur Meinungsfreiheit und teils auch zum Bundesrecht.
  • Die SPD forderte, CSU und Freie Wähler, die inzwischen gemeinsam regieren, sollten das Gesetz "gleich ganz begraben".

Von Dietrich Mittler

Das bayerische Integrationsgesetz verstößt in Teilen gegen die Verfassung. Diese Entscheidung gab der Bayerische Verfassungsgerichtshof am Dienstag in München bekannt. Das Gesetz stehe im Widerspruch zur Rundfunkfreiheit, zur Meinungsfreiheit und teils auch zum Bundesrecht. Die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen hatten gegen das Gesetz geklagt.

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte an, das Gesetz zu überprüfen. Die Entscheidung der Münchner Richter werde nun detailliert ausgewertet, sagte er am Dienstag. Verfassungswidrig ist dem Gericht zufolge unter anderem eine zentrale Norm: eine Verpflichtung für Migranten, an einem "Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" teilzunehmen, wenn jemand die Ablehnung bestimmter Regeln, Prinzipien und Werte zum Ausdruck bringt. Dies verstößt laut Gericht gegen den Grundsatz der Meinungsfreiheit. Ebenfalls verfassungswidrig ist eine Bestimmung, wonach Rundfunkanstalten "einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten" sollen - das verletzt nach Ansicht der obersten Richter unter anderem die Rundfunkfreiheit.

Bayerisches Integrationsgesetz
:Eine deftige juristische Watschn

Der Verfassungsgerichtshof erklärt das Integrationsgesetz in Teilen für verfassungswidrig - ein Erfolg für die Kläger von Grünen und SPD. Doch das Gericht teilt in entscheidenden Punkten auch die Auffassung der CSU.

Von Dietrich Mittler und Wolfgang Wittl

Die CSU hatte das hochumstrittene Gesetz 2016 im Landtag durchgesetzt, damals noch mit ihrer absoluten Mehrheit. Das Integrationsgesetz war im Dezember 2016 nach einer stundenlangen Marathonsitzung bis in die frühen Morgenstunden im Landtag beschlossen worden. Damals überstimmte die CSU mit ihrer absoluten Mehrheit auch die Freien Wähler, die seit der vergangenen Landtagswahl mit den Christsozialen eine Regierung bilden. Das Gesetz trat daraufhin im Januar 2017 in Kraft. Wenige Monate später reichten SPD und Grüne ihre Klagen ein.

Seit Mai 2017 prüften die Richter des Verfassungsgerichtshofs das Integrationsgesetz auf Verfassungskonformität. Schon während seiner Entstehung hatte das Gesetz Gegner und Befürworter in unversöhnliche Lager gespalten. Besonders den umstrittenen Begriff der "Leitkultur" hatten die beiden Oppositionsfraktionen vor Gericht gerügt. CSU und Staatsregierung sprachen in dem Kontext dagegen von einem "Orientierungsrahmen" für Zuwanderer und Behörden. Laut der Präambel des Gesetzes handelt es sich dabei um einen "identitätsbildenden Grundkonsens", der "täglich in unserem Land gelebt" werde und der "die kulturelle Grundordnung der Gesellschaft" bilde.

"Wir fordern Respekt vor unserer Kultur"

SPD und der Grüne befanden, dass der Freistaat von den Migranten die Aufgabe der eigenen Kultur fordere. Dabei würden eindeutig verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte verletzt, etwa die Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht oder das Recht der Eltern, ihre Kinder nach eigenen Vorstellungen zu erziehen. Kritik kam auch von Dutzenden Verbänden, Kirchen und Gewerkschaften. Die Gegner des Gesetzes warnten außerdem, dieses öffne durch seine Unbestimmtheit der Willkür Tür und Tor. Die Grünen-Abgeordnete Gülseren Demirel hatte noch am Montag die Hoffnung geäußert, der Verwaltungsgerichtshof werde zumindest "in einzelnen Punkten" Änderungen im Gesetzestext einfordern. Am Dienstag nun sprach Demirel von einem "Teilerfolg", obwohl man das Gesetz als Ganzes nicht habe verhindern können: "Das Gericht hat gesagt: Leitkultur und diese ganzen Integrationsdefinitionen sind grundsätzlich gar nicht richtig überprüfbar."

Die CSU verteidigte das Integrationsgesetz dagegen bis zuletzt. Tobias Reiß, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion, sagte, wenn behauptet werde, das bayerische Integrationsgesetz zwinge Migranten zur Aufgabe der eigenen Kultur, so sei das Unfug. "Wir fordern Respekt vor unserer Kultur und sind auf Basis unserer Werte auch zu respektvollem Miteinander bereit", sagte Reiß. Der Freistaat setze sich hierbei auch nicht über die Gesetzgebungskompetenz des Bundes hinweg. Nach dem Urteil sagte Reiß, der Verfassungsgerichtshof habe in wesentlichen Teilen "unsere Haltung und das Integrationsgesetz bestätigt".

Die SPD-Landtagsfraktion hingegen forderte die Staatsregierung auf, das Integrationsgesetz zu überarbeiten. "Oder besser noch: Sie sollte es gleich ganz begraben", sagte Fraktionschef Horst Arnold. Das Gesetz schüre Ressentiments gegen Migranten anstatt gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Die damals allein regierende CSU habe mit dem Gesetz "das gesellschaftliche Miteinander leichtfertig aufs Spiel" gesetzt. Der praktische Nutzen des Gesetzes ist laut Arnold "gleich Null", der gesellschaftliche Schaden allerdings enorm.

Mit Material der Nachrichtenagenturen.

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