Naturschutz:Einheimische Exotin

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Die immergrüne Stechpalme, der Baum des Jahres, kommt auch in Bayern vor. Doch die streng geschützte Pflanze ist rar

Von Christian Sebald, München

In den Wäldern am oberbayerischen Teisenberg stehen einige schöne Exemplare. Auch am Tegernsee und im Ammertal wachsen heimische Stechpalmen. Abgesehen von einem schmalen Streifen im Alpenvorland ist die Baumart, die unter strengem Schutz steht, aber sehr selten im Freistaat, auch wenn er grundsätzlich zu ihrem Verbreitungsgebiet zählt. Die meisten kennen Stechpalmen denn auch als attraktiven Gartenstrauch. Jetzt hat die Stiftung Silvius Wodarz die Europäische Stechpalme (Ilex aquifolium) zum Baum des Jahres 2021 gekürt. "Sie ist ein Paradebeispiel für gelebten Artenschutz", sagt Stefan Meier, der Präsident der Stiftung Baum das Jahres, als Begründung. Dank seiner hätten sich die Bestände hierzulande in den letzten 100 Jahren deutlich erholt.

Die Stechpalme, die man gut an ihrem dunkelgrünen, glänzenden Laub und den kräftig roten Früchten erkennt, ist die einzige immergrüne heimische Laubbaumart. Sie behält ihre Blätter sommers wie winters, ein jedes mindestens drei Jahre. Allein deshalb ist sie ein Exot. "Aber das ist es nicht alleine", sagt der Forstwissenschaftler Olaf Schmidt, der einer der besten Kenner heimischer Baumarten ist. "Ihre Blattformen sind so unterschiedlich wie bei kaum einer anderen Art." Im unteren Bereich sind die Blätter ledrig, derb, gewellt und sehr stachlig - daher ihr Name. Nach oben werden sie feiner und weniger stachelig, bis sie ganz flach und stachellos sind. "Das untere stachelige Laubwerk ist ein natürlicher Schutz vor Verbiss durch Wild", sagt Schmidt. "Die Stechpalme hat ihn im Lauf der Evolution ausgebildet."

Die Pflanze entwickelt sich oft zum dichten Strauch. (Foto: Imago)

In der Regel werden Stechpalmen nur sechs bis acht Meter hoch und etwa 20 Zentimeter dick. Es gibt aber auch 15 Meter hohe Exemplare mit 60 Zentimeter Durchmesser. Oft entwickeln sich Stechpalmen wie ein dichter Strauch. Sie haben dann eine Reihe starker Seitenäste, ausgetriebene Wurzelsprossen und gehen richtig in die Breite. Verbreitet ist die Art vor allem in West- und Mitteleuropa. Auch in Südeuropa und im westlichen Nordafrika ist sie häufig. "Nach Osten verläuft die Grenze durch Deutschland", sagt Schmidt. "Denn Stechpalmen brauchen atlantisches Klima, sie vertragen keine harten Fröste und keine heißen Trockenperioden." Da harte Winterfröste aber wegen der Klimakrise immer seltener werden, rechnet Schmidt damit, dass sich die Stechpalme künftig etwas ausbreiten könnte in Bayern.

Dennoch wird die Stechpalme, deren Blätter und Beeren giftig sind, immer ein Exot bleiben in Freistaat. "Aus gesamtökologischer Sicht ist sie ziemlich beziehungslos", sagt Schmidt. "Das kann man schon daran sehen, dass nur die Amsel und elf weitere Vogelarten ihre Beeren fressen." Zum Vergleich: 28 Vogelarten sind auf Eicheln aus, Vogelkirschen werden von 48 und Vogelbeeren sogar von 63 Vogelarten gefressen. "Auch bei Insekten ist die Stechpalme denkbar unbeliebt", sagt Schmidt. "Es gibt nur drei Arten, die speziell an ihr vorkommen." Die bekannteste ist die Ilex-Minierfliege, deren Larven sich nur von Stechpalmen-Blättern ernähren.

Bleibt die Frage, woher die Stechpalme ihren Namen hat. Denn sie sieht ja gar nicht wie eine Palme aus. Ihr Name hat mit der christlichen Tradition zu tun. Jahrhundertelang waren am Sonntag vor Ostern, dem Palmsonntag, Prozessionen weit verbreitet, auf denen an den Einzug von Jesus in Jerusalem erinnert wurde. Dabei führten die Gläubigen sogenannte Palmbuschen aus Zweigen von immergrünen Gehölzen mit - als Erinnerung daran, dass Jesus von der Jerusalemer Bevölkerung mit Palmwedeln begrüßt wurde. Die Stechpalme war ein Hauptbestandteil dieser Palmbuschen, von ihnen hat sie ihren Namen.

Auch im Alltag war die Stechpalme lange sehr präsent. Bis zur Euro-Einführung 2002 war auf dem 20-D-Mark-Schein die norddeutsche Dichterin Annette von Droste-Hülshoff mit einer Buche und einem Stechpalmen-Zweig abgebildet. Die Buche war ein Verweis auf ihre bekannteste Novelle "Die Judenbuche", der Stechpalmen-Zweig wies auf ihren Namen hin. Denn in Norddeutschland wird die Stechpalme auch "Hülse" genannt, der Name Hülshoff geht direkt darauf zurück.

© SZ vom 06.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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