Dialektforschung:Kaffts Radi!

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Der Herbst - hier ein aktuelles Bild vom Starnberger See - heißt in Bayern Hiagst und Hiascht. (Foto: IMAGO/Ulrich Wagner/IMAGO/Ulrich Wagner)

Neue Bücher beleuchten die bis in die Antike zurückreichende Geschichte der in Bayern verbreiteten Sprachvarietäten. Deren Wortschatz und das raffinierte Regelwerk sind stark europäisch geprägt. Den rasanten Sprachwandel verhindert das alles aber nicht.

Von Hans Kratzer

Vor einigen Wochen ist auf einem Münchner Friedhof Elsa Huber zu Grabe getragen worden. Sie wurde fast 100 Jahre alt und zählte zur letzten Garde jener Stadtfrauen, die sich bei ihren Gesprächen einer Sprache bedienen, die als das feine alte Münchnerisch bezeichnet wird. Dieses Idiom klingt ein bisserl vornehm und leger, in der Artikulation schwingen das Italienische und Französische mit und nicht zuletzt lautmalerische Reste der Beamtensprache aus der Zeit der Monarchie sowie aus einer längst verflossenen bäuerlichen Kultur.

In einem Gespräch schilderte Elsa Huber zuletzt das Schnurren ihrer Katze: "Da hat d'Katz zum roglern angfangt." Dieses Beispiel ist ein Mosaikstein aus dem Kosmos jener verschwindenden Stadtsprache, die allein beim Zuhören schon Freude bereitet. In Kaffeehäusern ist dieses Idiom gelegentlich noch zu vernehmen, man muss nur gut die Ohren spitzen, wenn sich ältere Damen unterhalten, die sich mit Vornamen, aber gleichwohl mit Sie anreden.

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Wie rasant sich die Alltagssprache verändert, kommt in satirischer Überzeichnung in der Komödie "A scheene Leich" von Gerhard Polt und den Well-Brüdern zum Ausdruck. In dem Stück tritt eine Alleinerbin in Erscheinung, deren überspannte Ausdrucksweise prall gefüllt ist mit Angeber-Anglizismen, welche die hemmungslos zur Schau gestellte Egozentrik schrill untermalen.

Durch eine schnell wachsende Stadt wie München hallen im Alltag mittlerweile Dutzende Sprachen. Trotzdem müsse sich eine Sprache herausbilden, auf deren Grundlage eine allgemeine Verständigung möglich ist, sagt der Wissenschaftler Alfred Bammesberger. Diese neue Stadtsprache hat aber mit dem früher in München gesprochenen Bairisch kaum noch etwas gemeinsam. Den 85-jährigen Bammesberger veranlasste dieser Wandel, ein Buch zu schreiben, das man als wehmütigen Rückblick auf die Münchner Mundart verstehen kann ("Münchnerisch. Für die, die's wirklich können wollen", Volk Verlag).

Der Radi taucht in fast jedem Dialektbuch auf, weil die Verwandtschaft zum lateinischen Wort radix (Wurzel) unüberhörbar ist. (Foto: Karen Kaspar via www.imago-images.de/imago images/Shotshop)

Für Laien bietet das Buch keine leichte Kost, denn es geht darin um die Kategorien der Grammatik sowie um die Finessen eines strengen Regelwerks. "Dasn da Deife hoi!", so lautet im Altmünchner Konjunktiv der Wunsch, es möge den anderen der Teufel holen. Man stößt aber auch auf sprachliche Relikte wie auf die früher gängige Befehlsform "Kaffts Radi!" (kauft Rettiche), die auf einen Händler zurückgehen soll, der die Kunden zum Kauf von Rettichen aufforderte, aber nur Rüben anbieten konnte.

Das Wort Radi taucht in fast jedem Dialektbuch auf, weil die Verwandtschaft zum Lateinischen (radix, Wurzel) unüberhörbar ist. Damit wird deutlich, aus wie vielen Quellen das Bairische schöpft, einer Sprachregion mit mehr als 13 Millionen Menschen, die sich von Nordbayern bis nach Südtirol erstreckt.

Johann Andreas Schmeller hat dieses Dialektgebiet schon im 19. Jahrhundert als autonomes sprachliches System dargestellt. Sein "Bayerisches Wörterbuch" ist bis heute das Maß aller Dinge. Darüber hinaus aber sind unzählige Fachbücher zum Bairischen erschienen. Aktuell liegen neben dem Werk von Bammesberger weitere Neuerscheinungen von Großmeistern des Fachs auf dem Tisch.

Sommersprossen heißen auf Bairisch Summascheckn. (Foto: imago stock&people/imago/Science Photo Library)

Eine Sprachgeschichte hat Anthony Rowley vorgelegt ("Boarisch-Boirisch-Bairisch", Verlag Friedrich Pustet), der bis 2019 Leiter der Redaktion des Bayerischen Wörterbuchs war. Er begibt sich in seinem Buch, das auf seinen Vorlesungen an der Münchner Universität fußt, auf eine Reise von den Kelten bis in die Gegenwart. Mag auch nicht jede seiner Thesen zur frühmittelalterlichen Genese des Bairischen unumstritten sein, so ergibt sich doch eine erhellende Gesamtschau über die Entwicklung und Veränderung von Sprachen überhaupt. Rowley weist dabei die These zurück, das Bairische sei kurz vor dem Aussterben. Das baldige Verschwinden der Dialekte sei schon in den 1880er-Jahren prognostiziert worden, schreibt er.

Auf die in Niederbayern gesprochene Varietät des Bairischen beschränkt sich die Sprachwissenschaftlerin Elfriede Holzer in ihrem Buch "Hunt samma scho" (Verlag Samples Stecher). Sie erkennt unter anderem Gemeinsamkeiten mit dem Englischen, etwa in den Streckformen mit dem Zeitwort tun. Diese werden als unfeine Redeweise abgetan ("es tut Gott nicht gefallen . . ."), wurden aber sogar von Goethe verwendet. Auch im Englischen ist die to do-Umschreibung üblich.

Johann Andreas Schmeller ist der Begründer der modernen Dialektforschung. Sein "Bayerisches Wörterbuch" ist noch heute das Maß aller Dinge. (Foto: IMAGO/Zoonar.com/H.-D. Falkenstein/IMAGO/Zoonar)

Die oft verwirrende Eigenwilligkeit des Dialekts ("meim Bruadan sein Wei ihra Hund", das ist der Hund der Frau des Bruders) reicht bis hin zu den Einflüssen des Slawischen. Gut sichtbar wird das beim Steinpilz, der im Bayerischen Wald Dobernigl heißt (nigl=kleiner Kerl, dobry=gut).

An diesem Montag (19 Uhr, Staatliche Bibliothek Regensburg) stellt der gerne als Dialektpapst betitelte Ludwig Zehetner den Band 5 seines Großwerks "Basst scho" vor (Edition Vulpes). Laut Zehetner stellt das Bairische ein eigenständiges sprachliches System dar. Und wer wissen will, was es mit Verben wie verdrallamanschieren und verurassen auf sich hat, der wird hier bestens bedient.

Es wird immer wichtiger, sich mit regionaler Sprachgeschichte zu beschäftigen, sagt Rowley. Nicht zuletzt geht es dabei um das Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen. Ein Rätsel bleibt, warum die Verlage ihre Bücher über Sprache und Dialekte oft mit Einbänden versehen, die alte Männer, Lederhosen und Gamsbärte zeigen. Eine Wissenschaft, die so viel Spannendes und Wichtiges zu erzählen hat, wird wie billiges Hollarädullijä präsentiert. Und das ist "ned sehr kommod", wie Elsa Huber dieses Malheur beschrieben hätte.

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