Wirtschaft:"Ich werde Herrn Söder an seinen Taten messen, nicht an seinen Worten"

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Der gebürtige Niederbayer Bernhard Stiedl ist neuer Chef des DGB Bayern. (Foto: Wiedemann/DGB)

Als neuer Chef des DGB Bayern ist Bernhard Stiedl quasi oberster Genosse im Freistaat - und die erste Gelegenheit zum Streit mit der Staatsregierung bietet sich auch schon.

Von Maximilian Gerl, Ingolstadt

Ach, sagt Bernhard Stiedl am Telefon, "was heißt Traumjob". Vor gut einer Woche wurde der gebürtige Niederbayer befördert, wenn man so will: zum Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Bayern - und damit zum obersten Genossen im Freistaat. Der Dachverband vertritt acht Gewerkschaften und knapp 800 000 Mitglieder. "Ich war ja auch vorher Gewerkschafter", sagt Stiedl, aber die neue Aufgabe reize ihn natürlich, "es gibt ja viel mehr Themen".

Herausforderungen warten auf Stiedl im neuen alten Traumjob genug: einerseits die drei riesigen namens Digitalisierung, Klimawandel, Pandemie; anderseits viele große, die Situation in der Pflege etwa oder die Folgen des demographischen Wandels. Stiedl folgt dem im Sommer verstorbenen Matthias Jena nach. Vorausgegangen war eine Kampfabstimmung auf der Bezirkskonferenz in Würzburg. Auf der einen Seite trat der IG Metall-Mann Stiedl an, auf der anderen Verdi-Vertreter Dominik Schirmer, für den sich der Bezirksvorstand ausgesprochen hatte. Stiedl gewann mit 61 zu 37 Stimmen. Bayerns Chef-Metaller Johann Horn lobte ihn prompt als "leidenschaftlichen Gewerkschafter".

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In diesem Sinne liest sich Stiedls Vita - SPD-Mitglied, gelernter Feinmechaniker, studierter Betriebswirt - als klassische Karriere. Geboren 1970 in Deggendorf, wurde er 1988 Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung beim Elektronikkonzern Rohde & Schwarz und später dort Betriebsrat. 1997 heuerte er als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall-Geschäftsstelle Ingolstadt an, wo er 2018 zum Ersten Bevollmächtigten aufstieg. Bei Audi sitzt er im Aufsichtsrat. Den niederbayerischen Zungenschlag hat er sich trotz der vielen Jahre in Oberbayern bewahrt.

In Ingolstadt fiel Stiedl immer wieder mit den gewerkschaftlichen Grundtugenden Streiten und Streiken auf. So mahnte er an, dass sich Autokonzerne neuen Geschäftsmodellen wie Car-Sharing stärker öffnen müssten. Und als im März 2021 die Audi-Belegschaft in den Warnstreik ging, kündigte er an, "noch eine Schippe" draufzulegen. Dabei stehen die Gewerkschaften ja durchaus selbst unter Druck, die IG Metall etwa beklagte zuletzt schwindende Mitgliederzahlen. Die Arbeitswelt fragmentiert, neue Jobs abseits alter Strukturen entstehen, teils unter prekären Bedingungen. Genau deshalb, sagt Stiedl, seien Gewerkschaften notwendiger denn je: Es müsse künftig um mehr gehen als um Tarif-Fragen. Früher habe man sich von einem Gehalt ein Häuschen leisten können, heute brauche es zwei Verdiener für die Miete. "Wir arbeiten, um zu leben. Ist das wirklich so, wie wir uns das Leben vorstellen?"

Gelegenheit zum Streiten bietet auch der neue Posten. Verdi kündigte vergangene Woche eine Klage gegen die Allgemeinverfügung der Regierungspräsidien an, wonach Angestellte zu längeren Arbeitszeiten verpflichtet werden dürfen, um Personalausfälle durch Omikron zu kompensieren. Schichten von bis zu zwölf Stunden sind demnach in der kritischen Infrastruktur möglich, zum Beispiel in der Abfallentsorgung oder im Gesundheitswesen. Stiedl hält diese Vorgabe der Staatsregierung für falsch: Statt sich eine Strategie gegen den generellen Personalmangel zu überlegen, belaste man Menschen, die von der Pandemie ohnehin besonders betroffen seien. Auch sonst könnte Ministerpräsident Markus Söder mehr leisten, um den Wandel in Gesellschaft und Arbeitswelt zu begleiten. So habe Bayern als einziges Bundesland kein Weiterbildungsgesetz, das Beschäftigten Qualifizierungsmaßnahmen zusichere. "Da werde ich Herrn Söder an seinen Taten messen, nicht an seinen Worten."

Der neue alte Traumjob bringt aber auch ein Problem mit sich: Wer an der Spitze eines Verbands und des Streits steht, muss zusehen, davon nicht am Ende aufgefressen zu werden. Stiedls Lösung lautet: Raus in die Natur, wandern mit der Tochter, picknicken. "Ich hoffe, dass es dort keinen Handyempfang gibt."

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