Traktorunfall im Allgäu:"Eine unfassbare Tragödie"

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Während der Fahrt wurden ein zehnjähriger Bub und ein 13-jähriges Mädchen aus dem Ladekorb des Traktors geschleudert. (Foto: dpa)
  • Im Oberallgäu sterben ein 13-jähriges Mädchen und ein zehnjähriger Junge bei einem Unfall mit einem Traktor. Am Steuer des Fahrzeugs saß ein 13-jähriger Junge.
  • Der 350-Einwohner-Ort Balderschwang steht unter Schock. "Wir können es nicht fassen", sagt der Bürgermeister Konrad Kienle.
  • Die Polizei äußert sich derzeit nicht zu möglichen Unfallursachen.

Von Christian Sebald, München

Es gibt Unfälle, die machen eine ganze Region sprachlos. Am Samstagabend ist so ein Unfall in der Oberallgäuer Ortschaft Balderschwang passiert. Gegen 20.55 Uhr waren an der Lenzenalpe vier Buben und Mädchen im Alter von zehn bis 13 Jahren auf einem Waldweg mit einem Traktor unterwegs. Drei Kinder saßen vorne am Gefährt in einem Ladekorb, ein 13-Jähriger am Lenker. Während der Fahrt wurden plötzlich ein zehnjähriger Bub und ein 13-jähriges Mädchen aus dem Ladekorb geschleudert.

Der junge Fahrer konnte offenbar das Gefährt nicht mehr anhalten. Der Traktor überrollte die beiden. Sie wurden so schwer verletzt, dass sie an der Unfallstelle starben. Die vielen Sanitäter, Bergwachtler und Feuerwehrleute, die sofort herbeigeeilt waren, versuchten vergeblich, ihnen zu helfen. Kriseninterventionsteams betreuten die zwei überlebenden Kinder und die Familien der Opfer, die den Nachmittag auf der Lenzenalpe verbracht hatten. Der 350-Einwohner-Ort Balderschwang steht unter Schock.

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"Wir können es nicht fassen", sagte Bürgermeister Konrad Kienle am Sonntag am Telefon. "Viele im Ort haben die ganze Nacht kein Auge zugetan, das Dorf ist gelähmt." Die Lenzenalpe ist eine der Balderschwanger Alpen, die seit Jahrhunderten von Bauersfamilien aus dem Bregenzerwald jenseits der Grenze nach Österreich bewirtschaftet werden. Sie liegt im Talboden nahe der Bolgenach und ist in nur zehn Minuten Fußmarsch vom Parkplatz der Riedbergerhornlifte aus erreichbar. Im Sommer ist sie ein beliebtes Ziel für Ausflügler und für Feriengäste, aber auch für Einheimische.

Die Wirtsleute bieten deftige Brotzeiten an. Für Kinder gibt es Spielgeräte. Außerdem kann man auf der Lenzenalpe außer Kühen auf der Weide auch Ziegen, Schweine und Hühner beobachten. Denn die Wirtsleute verlegen in den Sommermonaten praktisch ihren gesamten Bauernhof aus dem Bregenzerwald hinauf auf die Lenzenalpe. Erst im Herbst ziehen sie mit ihren Tieren wieder zurück auf ihren eigentlichen Bauernhof im Bregenzerwald.

Am Samstag hatten die Wirtsleute etliche verwandte und befreundete Familien zu Gast. "Die haben miteinander einen gemütlichen Alptag verbracht", sagt Bürgermeister Kienle, "so wie das bei uns üblich ist." Wie es kurz vor 21 Uhr auf dem Waldweg ungefähr 300 Meter von der Lenzenalpe entfernt zu dem tödlichen Unfall gekommen ist, ist bisher völlig unklar. Ersten Spekulationen zufolge könnte der Traktor wegen einer Wurzel oder eines Buckels auf dem Waldweg so stark geschaukelt haben, dass sich die Kinder nicht mehr im Ladekorb halten konnten und aus ihm herausgeschleudert wurden.

Bürgermeister Kienle kann sich das nicht vorstellen. "Der Traktor war auf einer brettlebenen Strecke unterwegs, da gibt es kein Steilstück, keinen Buckel und nichts anderes, warum er einen unvorhersehbaren Holperer machen könnte", sagt Kienle, der am Samstagabend selbst sofort zum Unglücksort geeilt ist. "Außerdem ist der Bursch, der das Gefährt gelenkt hat, geübt und sicher. Wie so viele Jugendliche hier arbeitet er in der elterlichen Landwirtschaft mit, seit er ein Kind ist." Für Kienle ist der Unfall "eine unfassbare Tragödie".

Die Polizei äußert sich derzeit nicht zu möglichen Unfallursachen. Die Staatsanwaltschaft Kempten hat noch am Samstagabend einen Gutachter eingeschaltet. Er soll auch bei der Klärung der Frage helfen, ob und gegebenenfalls welche strafrechtlichen Konsequenzen das Unglück für den jungen Fahrer haben kann. Außerdem beschlagnahmten die Ermittler den Traktor. Der Fahrer und das zwölfjährige Mädchen, das mit den beiden Todesopfern in dem Ladekorb saß, sind derzeit nicht vernehmungsfähig. "Beide sind schwer traumatisiert und werden psychologisch betreut", sagte ein Polizeisprecher. "Wie lange es noch dauern wird, bis wir sie erstmals zu dem Hergang befragen können, kann derzeit niemand sagen."

Die Balderschwanger suchten am Sonntag Trost in ihrer Kirche St. Anton. "Der Gottesdienst war so gut besucht wie selten", sagte Bürgermeister Kienle. "Unser Pfarrer hat das Unglück natürlich angesprochen." Wie Kienle war Pfarrer Richard Kocher am Samstagabend schnell am Unglücksort. "Wie überhaupt die ganze Gemeinde sofort zusammengerückt ist", sagt Kienle. Besonders schlimm sei der Unfall auch für die Balderschwanger Sanitäter und Bergwachtler gewesen, die als erste an dem Waldweg eintrafen. "Denn auch sie kennen ja alle die Wirtsleute der Lenzenalpe und deren Freunde und Verwandte, und zwar oft schon seit Jahrzehnten", sagte Kienle. "Wenn man bei so einer Tragödie nicht zusammensteht und niemand zum Reden hat, wie soll man dann so ein Unglück jemals verarbeiten?"

© SZ vom 15.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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