Ausbildung:"Wir werden die Stellen nie mehr komplett besetzen können"

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Gefragte Fachkraft: ein Gabelstapler inmitten von Holzplatten. (Foto: Imago)

Politik, Wirtschaft und Jobcenter ziehen Bilanz: Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt gilt ihnen als "außerordentlich gut" - für junge Menschen. Für Unternehmen auf Azubi-Suche dagegen haben die Mangelzeiten wohl erst angefangen.

Von Maximilian Gerl

Im Erdgeschoss herrscht Hochbetrieb: Maschinen rattern, dazwischen arbeiten Frauen und Männer mit Holz. Doch ein Stockwerk drüber, zwischen Mustertischen und Musterküchen, wird über Statistiken und Zahlen geredet, über Probleme und Perspektiven. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt sei für junge Menschen "außerordentlich gut", sagt etwa Ralf Holtzwart, Vorsitzender der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. So viele Ausbildungsstellen wie zuletzt habe man noch nie gezählt. Das Problem: Die Zahl derjenigen, die sich auch für eine solche Stelle interessieren, ist einmal mehr gesunken. Für die damit verbundenen Folgen, sagt Holtzwart, "werden wir Lösungen finden müssen".

Wir, das sind an diesem Tag neben Holtzwart und den bayerischen Jobcentern die Wirtschaft und die Politik. Vertreterinnen und Vertreter von Handwerk, Handel, Industrie und Gewerkschaften haben in München in die Schreinerei Würzburger geladen, sozusagen für theoretische wie praktische Anschauung; auch Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) ist gekommen. Das Thema: eine Bilanz des im September zu Ende gegangenen Ausbildungsjahres - und ein Blick voraus auf die nächsten. Denn für die dürfte ebenfalls gelten, was Christof Prechtl von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft formuliert: "Wir werden die Stellen nie mehr komplett besetzen können."

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Das legt auch die Statistik nahe. Rund 103 000 Lehrstellen wurden zuletzt den Jobcentern und Arbeitsagenturen bayernweit gemeldet. Im Ausbildungsjahr 2008/09 waren es noch 83 000. Diese Zahl deckte sich damals ungefähr mit der Zahl derjenigen, die sich bei den Jobcentern auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz gemeldet hatten: 85 000 Bewerber wurden damals notiert. Im vergangenen Ausbildungsjahr waren es nur 60 466.

Nun melden sich bei den Jobcentern weder alle Firmen noch alle Interessenten. Oft finden beide Seiten quasi inoffiziell zusammen, über Jobmessen und Praktika. Trotzdem gilt: Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage klafft aufgrund des demografischen Wandels immer weiter auseinander. Darauf weist auch Hubert Schöffmann hin, bildungspolitischer Sprecher des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags. Jedes zweite Unternehmen habe nicht alle seine Ausbildungsstellen besetzt, sagt er - und habe es auch gar nicht können: Dazu hätten die nötigen jungen Menschen "schon längst geboren werden müssen".

Der Fachkräftemangel dürfte sich damit in den kommenden Jahren noch einmal verschärfen. Es rücken ja nicht nur zu wenige Junge nach, auch die Älteren gehen mehr und mehr in Rente. Von einer "Wachstumsbremse" spricht deshalb Ministerin Scharf, und vom Drehen "verschiedener Stellschrauben". Eine könnte demnach sein, mehr Ausbildung in Teilzeit zu ermöglichen. Das kann jungen Eltern helfen, Berufsschule, Betrieb und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bekommen. Auch bei Langzeitarbeitslosen und Geflüchteten sieht Scharf Potenzial. Dass Letztere zum Beispiel über die Drei-plus-zwei-Regel - drei Jahre Ausbildung, danach zwei Jahre vor einer Abschiebung geschützt - hier lernen und arbeiten könnten, sei "ein wenig in Vergessenheit geraten".

Menschen ohne Ausbildungsstelle müsse man "mehr in den Blick" nehmen

Auch Geschlechterbilder halten sich hartnäckig. So rangieren die Medizinischen Fachangestellten bayernweit auf Platz drei der beliebtesten Ausbildungsberufe, mit 3162 Bewerbern und vor allem Bewerberinnen: 2985 von ihnen waren Frauen. Umgekehrt interessieren sich Männer vergleichsweise häufig fürs Kfz-Handwerk oder die Informatik. Vor allem im Einzelhandel und im Verkauf blieben viele Stellen unbesetzt. Doch auch in der Zahnmedizin, in der Lagerlogistik und im Lebensmittelhandwerk wurden jeweils noch Hunderte Azubis gesucht. Trotzdem meldeten die Jobcenter einen Rekord an unvermittelten Bewerberinnen und Bewerbern. Mal fand sich für die 1169 jungen Menschen kein passender Platz, mal waren die Deutschkenntnisse zu schlecht. Diese Betroffenen machten ihm persönlich aber keine großen Sorgen, sagt Holtzwart: "Wir kennen ihre Namen." Schwieriger sei es, all jene zu erreichen, die man nicht kenne. Hier müsse man stärker aktiv werden, etwa über Social Media.

Auch Anna Gmeiner von der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbunds Bayern mahnt, Menschen ohne Ausbildungsstelle "mehr in den Blick" zu nehmen. Daneben komme sehr viel darauf an, wie sich Arbeitgeber präsentierten. Das kann ein Lehrling der Schreinerei Würzburger bestätigen. Die meiste Zeit steht er am Donnerstag still am Rand, bis er um seine Meinung gefragt wird. Er habe bei seiner Entscheidung besonders darauf geschaut, wie es im Betrieb zugehe, sagt er. "Es muss auch vom Menschlichen passen."

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