AfD in der Corona-Krise:Protest um jeden Preis

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Die AfD gab sich zu Beginn der Corona-Krise staatstragend, doch das kommt an der Basis nicht an. Beim BR-Bayerntrend sackte die Partei ab. Krawall scheint nun wieder gefragt zu sein.

Von Johann Osel, München

Glatt hätte man zu Beginn dieser Corona-Krise glauben können, die AfD in Bayern gehöre jetzt dazu - zu dem, was in der Partei gern "System" oder "Altparteienkartell" genannt wird. Bei der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vor gut vier Wochen im Landtag hielt Fraktionschef Ingo Hahn eine fast staatstragende Rede, es sei jetzt "nicht die Zeit für politische Kämpfe", die AfD biete ihre "vollumfängliche Hilfe an, um die Lage unter Kontrolle zu bringen". Auch bei Beschluss und Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes brachte sich die Fraktion durchaus konstruktiv ein. Derweil kümmerte sich Hahns Co-Vorsitzende Katrin Ebner-Steiner in mütterlichem Stil um ihr Wahlvolk, gab online Tipps für die Krise - und rief sogar dazu auf, positive Dinge auf Facebook zu posten, was für AfD-Verhältnisse einer Sensation gleicht. Von Fachpolitikern der Fraktion kamen zur Krisenbewältigung im Großen und Ganzen Vorschläge, die keineswegs absurd waren, sondern diskutierbar. Ein neuer Kurs der Protestpartei?

Diese Woche im Landtag, bei der neuerlichen Regierungserklärung, ließ das ziemlich unwahrscheinlich werden. Da trat Ebner-Steiner ans Mikro, Lob für die Staatsregierung war in der Rede nicht mal in Spuren enthalten. Die Politik sei nicht vorbereitet gewesen, Söder habe zu spät gehandelt, spiele den "Retter der Nation". Die Maßnahmen "verkommen zum Showwettbewerb um die Kanzlerkandidatur". Danach widmete sie sich erst mal ihrem Lieblingsthema: Für Deutsche würden Grundrechte außer Kraft gesetzt, nicht das Asylrecht, "seit der Flüchtlingskrise 2015 kennt der deutsche Staat zwei Klassen von Menschen".

Ein Schwenk - offensichtlich hat man in der AfD bemerkt, dass ohne Fundamentalopposition die Existenzgrundlage wegzubrechen droht. Man ringt, so scheint es mit Blick auf den ganzen Landesverband, gerade mit sich selbst, sucht den strategischen Kurs, es beginnt zu brodeln. Landeschefin Corinna Miazga hatte in Videos schon seit einigen Wochen eine Dagegen-Haltung eingeleitet, etwa so: Die Corona-Krise komme "bequem als Sündenbock" daher für das vorherige "Regierungsversagen".

Die Wählerklientel verlangt derlei wohl, ein Blick in die sozialen Netzwerke genügt: Dort finden sich allerlei Verschwörungsansätze, wonach die Krise nur ein Vorwand sei, um das Land wahlweise mit Migranten zu "fluten", Europas Schulden zu vergemeinschaften, das Bargeld abzuschaffen, Zwangsimpfungen einzuführen oder einen links-grünen Polizeistaat zu errichten. Keineswegs nur von anonymen Usern oder einfachen Mitgliedern: So wähnt der Bundestagsabgeordnete und bayerische Vize-Parteichef Hansjörg Müller in den Corona-Maßnahmen den zweiten Teil "nach dem Staatsstreich der Kanzlerin 2015". Der niederbayerische Bezirksrat und gewählte Passauer Stadtrat Robert Schregle sieht einen "globalen Betrug", der Mittelstand werde "von "Grün-Kommunisten absichtlich an die Wand gefahren. Mit dem Klima-Notstand war es nichts - da musste ein kreierter Gesundheitsnotstand her". Ein Arzt, aktiv im AfD-Landesfachausschuss Gesundheit, wertet die Krisenpolitik als "Testballon" dafür, "wie weit sich das Volk entrechten und unterdrücken lässt". Und merkt an: "Sollen alle Greise in Deutschland ewig leben?" Ausgewählte Fälle, doch der Tenor einer Mehrheit an der Basis und Appell an die Mandatare dürfte sein: "Macht endlich was!" Das ist vielfach so zu lesen.

Ebner-Steiner bestreitet eine strategische Wende. Opposition bedeute, "konstruktiv die Staatsregierung zu kontrollieren", sagte sie der SZ. Daher habe man die Maßnahmen mitgetragen, "die zwingend und unausweichlich waren". Man diskutiere nun die Zukunft "mit Vernunft und Bedacht". Im Fokus stehe das Wohl der Bürger, nicht ein Umfrageergebnis. Aufgeschreckt haben dürfte die AfD der BR-Bayerntrend im April: sechs Prozent. Der Söder-Krisenmanager-Bonus ist ein Malus für alle, "bei uns sind aber drei, vier Prozent hausgemacht verbockt", sagt ein Parteistratege, der alle Ebenen kennt. Bereits die Kommunalwahl sei, "ehrlich betrachtet", nicht gut gelaufen. Zwar hat sich die AfD in den meisten Kreisen und kreisfreien Städten einige Mandate gesichert, doch selbst in Hochburgen lag man fernab zweistelliger Ergebnisse. Konkret an die Urne brachte man nur den harten Wählerkern.

"Führung und Strategie durch den Landesvorstand fehlt", sagt der AfD-Mann. Die Vorsitzende Miazga erreiche zwar über flott gemachte Videos Aufmerksamkeit, liefere aber keine inhaltlichen Impulse. "Viele Kandidaten wussten bei der Wahl gar nicht wohin, und das geht jetzt so weiter." Miazga war am Mittwoch nicht zu erreichen. "Noch drückt der Schuh nicht", sagt der Insider; das werde sich ändern, wenn es an die Listenaufstellung zur Bundestagswahl 2021 gehe: Sechs Prozent bedeuteten eine Halbierung der bayerischen AfD-Truppe im Bundestag. "Da werden bald viele schnell sehr nervös."

© SZ vom 23.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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