Wanderführer für Bayerischen Wald:Wege zu unbekannten Gipfeln

Lesezeit: 3 min

Das Gipfelkreuz des 1373 Meter hohen Lusen, hier einmal ungewöhnlich fotografiert. (Foto: Benedikt Seidl/Lichtung Verlag)

Ein neues Buch weist Pfade in den Bayerischen Wald, der schon so oft unterschätzt wurde. Selbst von Einheimischen, wie der Herausgeberin Evi Lemberger. Sie revanchiert sich mit einem liebevollen Lesebuch.

Von Hans Kratzer, Viechtach

Natürlich ist der Bayerische Wald schon ausgiebig besungen, gerühmt oder auch mit Klageworten verdammt worden. Es sei hier nur der Dichter Adalbert Stifter zitiert, dessen wuchtige Existenz untrennbar mit der Waldheimat verknüpft war. "Meine ganze Seele hängt an dieser Gegend", schrieb er im März 1865 an seinen Freund Franz Xaver Rosenberger, "wenn ich irgendwo völlig genese, so ist es dort..."

Das städtische Publikum und die Touristen brauchten dagegen lange, bis sie sich dem Bayerischen Wald näherten. Ihr Fernweh trieb sie eher an den Tegernsee und nach Bad Reichenhall, weniger nach Zwiesel und Viechtach. Denn dort hinten grassierte die Armut, die nach dem Krieg noch fortdauerte. Ein Besuch im Freilichtmuseum von Finsterau lässt bis heute erahnen, von welcher Not die Menschen hier einst geplagt waren.

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Überhaupt war der Bayerische Wald meistens eine unterschätzte Gegend. Zwar beutete man schon im Mittelalter seine Holzbestände aus, ansonsten lag in diesem "deutschen Sibirien", wie eine Berliner Zeitung vor hundert Jahren lästerte, vieles im Verborgenen, was hier und dort heute noch gilt. Nicht einmal die Maler haben sich sonderlich für diese Wald- und Gebirgsregion interessiert.

Unterschätzte Landschaft: Sonnenuntergang am Arber. (Foto: Evi Lemberger/Lichtung Verlag)

Diese Erfahrung hat interessanterweise auch die Fotografin Evi Lemberger gemacht, obwohl sie im Lamer Winkel, also mitten im Bayerwald aufgewachsen ist. Von dort aus bereiste sie als Fotografin die halbe Welt. Als sie aber im Sommer 2019 mit Freunden am Falkenstein wanderte und in einer Schutzhütte übernachtete, erst da stellte sie fest, dass sie ihre engere Heimat gar nicht so gut kannte. "Viel gewandert bin ich schon zuvor, aber zumeist in meiner Region am Osser, Arber und Kaitersberg", sagt sie. Und jetzt war sie eigentlich zum ersten Mal woanders im Bayerischen Wald unterwegs - "eigentlich verrückt, oder?" Lemberger fand die mehrtägige Wanderung großartig. "Gleichzeitig war es mir ziemlich peinlich, weil ich meine Heimat völlig unterschätzt hatte."

In diesem Moment reifte in ihr der Entschluss zu einer Hommage an diese großartige Landschaft. Die in der freien Natur gewonnenen Erfahrungen sollten freilich nicht in ein herkömmliches Wanderbuch einfließen, sondern in ein Werk, in dem sich all die Erfahrungen, die diese Gegend weckt, breit widerspiegeln.

Der in Viechtach beheimatete Lichtung Verlag war bereit, diesen Weg mitzugehen. Es fanden sich drei Zweierteams, jeweils ein Autor oder eine Autorin und ein Fotograf respektive Fotografin, die sich auf den Weg zu 15 Gipfeln machten. Wobei der Begriff Gipfel relativ weit gefasst wurde, denn die Wanderer erklommen nicht nur die höchsten Berge des Waldes, sondern ihre Wege führten sie auch an Flüssen entlang und durch abgelegene Ortschaften, und manchmal peilten sie markante Orte wie etwa die Triftsperre bei Passau an.

Die 94-jährige Stilla Moritz ist eine der letzten noch lebenden Bewohnerinnen des aufgelassenen Dorfes Leopoldsreut. (Foto: Evi Lemberger/Lichtung Verlag)

Eine der Autorinnen, die frühere SZ-Journalistin Katharina Schmid, sagt, ihr sei jetzt viel bewusster, wie viele Dörfer mittlerweile von Bäumen zurückerobert seien. Und sie begegnete der 94-jährigen Stilla Moritz, einer der letzten noch lebenden Bewohnerinnen des in den 60 Jahren aufgelassenen Dorfes Leopoldsreut am Haidelkamm, die offenherzig aus ihrem harten, aber letztlich doch schönen Leben in dem 1100 Meter hoch gelegenen Ort erzählte, in dem im Winter der Schnee acht Meter hoch lag. So greift das Buch eben nicht nur die besten Wanderwege auf, sondern mit feinem Gespür auch die Geschichte und die Kultur der Region sowie ihre Menschen, die so viel zu erzählen hatten.

Nicole Roth, eine der ersten Skispringerinnen des Bayerischen Waldes. (Foto: Martina Dobrusky/Lichtung Verlag)

Überdies bietet das Buch 15 Interviews mit besonderen Menschen aus der Gegend, darunter mit Charlie Hess, der einst im Auftrag der USA seinen Dienst am Hohenbogen verrichtete. Das ist der wohl geheimnisvollste Höhenzug des Bayerischen Waldes, auf dem die Aktivitäten des Warschauer Pakts ausspioniert wurden. Auch Nicole Roth, eine der ersten Skispringerinnen, und Martin Zoidl, der Wetterfrosch des Bayerischen Waldes, standen Rede und Antwort. Michael Gruber, einer der Autoren, sagt, ihn habe die wilde und abgelegene Schönheit mancher Orte überrascht, besonders die Tour um die Rißloch- und Hochfälle. Evi Lembergers Geheimtipp ist die Gegend um den Haidel und der Brotjackelriegel. "Beide gehen unter zwischen all den spektakulären Gipfeln und sind doch so bezaubernd", sagt sie.

Gewiss ist das 300 Seiten starke Buch zum Mitnehmen geeignet, aber es ist doch ein Lesebuch, das einem auch daheim schöne Leseerlebnisse beschert. Alle Touren kann man nachgehen, neben Karten- und Wegbeschreibungen helfen QR-Codes bei der Orientierung. Infokasterl weisen auch auf Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten hin. Die Gipfelwanderungen können kombiniert und zu mehrtägigen Touren erweitert werden. Überdies sind drei Ausflüge zum Wandern mit Kindern enthalten.

Geadelt wird das Werk durch die Fotografien von Evi Lemberger, Marina Dobrusky und Benedikt Seidl, die auch den oft brutalen Existentialismus der Gegend nicht ausklammern. Dass es in offener Fadenbindung verkauft wird, passt zur Anmutung und zum Inhalt.

15 Gipfel. Reportagen und Touren zum Wandern im Bayerischen Wald. Herausgegeben von Evi Lemberger. Lichtung Verlag, 304 Seiten, 26 Euro. Am Sonntag, 24. Juli, wird das Buch in München vorgestellt (17 Uhr, Cafébar Mona, Maria-Theresia-Str. 23/Siebertstraße 2, Monacensia).

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