Landesgeschichte:Am Puls des Freistaats

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Beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen des Instituts für Bayerische Geschichte in der Münchner Universität wird deutlich, warum Bayern in der Bundesrepublik nach wie vor eine Sonderstellung genießt.

Von Hans Kratzer, München

Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich bei einer Veranstaltung gleich drei bayerische Ministerpräsidenten unter das Publikum mischen. Beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen des Instituts für Bayerische Geschichte in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München war am Dienstagabend nicht nur der amtierende Amtsinhaber Markus Söder erschienen, sondern auch seine Vorgänger Edmund Stoiber und Günther Beckstein.

Die enge Verbundenheit der Spitzenpolitiker mit diesem Institut hat freilich gute Gründe. Schon vor der Gründung der Einrichtung im Jahr 1947 hatte der damals amtierende Ministerpräsident seine Finger im Spiel, nur war jener Wilhelm Hoegner (1887- 1980) kein Christsozialer, sondern ausnahmsweise ein Sozialdemokrat. Der Historiker Max Spindler (1894 -1986) berichtete später, Hoegner habe 1946 seinem Vorschlag spontan zugestimmt. Am 28. Februar 1947 erfolgte die offizielle Mitteilung über die Errichtung des Instituts für Bayerische Geschichte.

Die Entscheidung, ein solches Institut ins Leben zu rufen, hing seinerzeit mit einem stark ausgeprägten Föderalismusstreben zusammen. Die damalige Bayern-SPD lag diesbezüglich durchaus auf einer Linie mit der CSU und sogar mit der extrem föderalistischen Bayernpartei. Das Institut sollte durch die vertiefte Erforschung der bayerischen Geschichte und durch die Ausbildung von Nachwuchskräften ein geistiges und kulturelles Fundament für den modernen Freistaat schaffen, in dem ein Zivilisationsbruch wie in der NS-Zeit nicht mehr möglich sein sollte.

Tatsächlich entwickelte sich das Institut alsbald zu einer Art Kaderschmiede für den Freistaat. Scharen von Professoren, Lehrern, Generaldirektoren, Ministern und Staatssekretären gingen daraus hervor, dazu Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Archiven, Museen, Bibliotheken sowie in Medien, Wirtschaft und Verwaltung. Diese bunte Mischung spiegelten auch die gut 500 geladenen Gäste aus Staat und Gesellschaft wider.

Der Historiker Ferdinand Kramer, der das Institut seit vielen Jahren zusammen mit Dieter J. Weiß und Margit Ksoll-Marcon leitet, führte nach dem obligatorischen Begrüßungsritual ein Podiumsgespräch mit Ministerpräsident Markus Söder und mit Hildegund Holzheid, der früheren Präsidentin des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, bei dem die Diskutanten die Geschichte des Amtes des Bayerischen Ministerpräsidenten erörterten, wobei sie nicht nur historische, sondern auch juristische und politische Aspekte im Spannungsfeld von Parlamentarismus und Bayerischer Verfassung streiften.

Zum 75. Geburtstag des Instituts für Bayerische Geschichte sind viele Gäste in die Große Aula der Ludwig-Maximilians-Universität gekommen. (Foto: LMU)

Markus Söder war erzählfreudig und ließ das Publikum nebenbei wissen, wie schön und befreiend der erste Tag nach einer gewonnenen Wahl ist und dass sich der zweite Tag, wenn das Kabinett gebildet werden muss, als viel belastender erweist. So sehr er für sein Amt schwärmte, so verschwieg er nicht, dass die wachsenden Anforderungen, welche die Digitalisierung und ein anspruchsvolles Parlament mit sich brächten, das Leben des Ministerpräsidenten doch anstrengender gestalteten, als sich das die meisten vorstellen können.

Hildegund Holzheid strahlte die Souveränität einer Dame aus, die es einst wagen konnte, Edmund Stoiber, der ihr nachdrücklich ein Ministeramt angetragen hatte, einen Korb zu geben. Sie steckte den Rahmen ab, in dem sich ein Verfassungsgericht im Rahmen der Gewaltenteilung bewegen könne, und erklärte, dass ein Werk wie die Bayerische Verfassung in ihrem Wortlaut zum Teil überholt sei und angepasst werden müsse. Was aber bisher nur elfmal geschehen sei, während das Grundgesetz schon viel öfter geändert worden sei. Frau Holzheid kam das löbliche Verdienst zu, im Publikum Heiterkeit erzeugt zu haben, als ihr versehentlich herausrutschte, sie sei "ja fast zehn Jahre Ministerpräs. . ." gewesen.

Lehre und Forschung am Institut mündeten in Aberhunderte Dissertationen und Standardwerke wie dem sechsbändigen Handbuch der bayerischen Geschichte und dem digitalen Historischen Lexikon Bayerns. Dazu kommt der Historische Atlas von Bayern, eine umfassende Landesbeschreibung Bayerns, welche die Besitz-, Herrschafts- und Verwaltungsstruktur des Landes vom Mittelalter bis zur neuesten Zeit statistisch darstellt und die Eckdaten für jedes einzelne Anwesen in Bayern vor dem Jahr 1800 erschließt. Das rührt auch daher, dass in Bayern gerade für das Mittelalter Quellenbestände in einer Dichte vorliegen wie sonst nirgendwo in Europa.

Mit diesen Quellen lässt sich die Vergangenheit rekonstruieren, wie es anderswo auf der Welt kaum möglich ist. Kein Wunder, dass viele ausländische Forscher nach München kommen, um im Institut, das ja nur durch eine Tür vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv getrennt ist, Grundlagenforschung zu betreiben. Stellvertretend schwärmte die französische Historikerin Christine Lebeau in dem Impulsfilm, der zum Jubiläum erstellt wurde, über diese auf engstem Raum gebündelten Forschungsmöglichkeiten.

Der Abend, mag er dem einen oder anderen Gast auch zu wenig lebhaft erschienen sein, offenbarte trotz des überwiegend älteren Publikums, dass es keinesfalls an jungen Menschen und Nachwuchskräften gebricht, die sich mit Eifer der Erforschung der bayerischen Geschichte widmen. Und wer weiß, vielleicht hat der Festakt, bei dem auch junge Historikerinnen wie Alina Schlingensiepen auf der Bühne wortreich glänzten, in dem einen oder anderen Schüler der 11. Klasse des Robert-Koch-Gymnasiums in Deggendorf das Interesse für die im Schulunterricht arg vernachlässigte bayerische Geschichte entfacht. Immerhin verfolgten sie mit einem für ihr Alter eher überdurchschnittlichen Interesse alle Reden und Diskussionsbeiträge - und nicht zuletzt die Honneurs an die anwesenden Vertreter des Hauses Wittelsbach, die ihnen wohl zusätzlich eine Ahnung vermittelten, warum Bayern und sein Selbstverständnis sich immer noch ein bisserl abheben vom restlichen Deutschland.

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