Vor Gericht in Augsburg:Kredit für eine Todkranke

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In dieser Filiale der Sparkasse am Rathausplatz in Augsburg war Marion B. Kundin. Die Mitarbeiter der Bank sagen, sie habe sich nicht auffällig verhalten. Das sieht der Kläger anders. (Foto: Florian Fuchs)
  • Eine Frau gab in ihren letzten Lebensmonaten hohe Summen für Luxusgüter aus, die Stadtsparkasse Augsburg gewährte die benötigten Kredite. Vor Gericht wird nun verhandelt, ob die Bank sorglos vorging.
  • Die Verstorbene vererbte ihre Schulden an ihren Neffen, dessen Vater verklagt nun die Bank.
  • Die Frau hatte eine Vergangenheit mit psychischen Problemen. Zeitweise befand sie sich in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Sie kaufte ein Handy für 17 500 Euro, ein Ballkleid für 8000 Euro, auch eine 2400 Euro teure, professionelle Waldarbeiterausrüstung für den Garten, den sie gar nicht hatte. Marion B., die im Mai 2015 mit 49 Jahren gestorben ist, hat in ihren letzten Lebensmonaten das Geld nur so verpulvert, ihr Bruder hat das anhand von Rechnungen rekonstruiert: Demnach gab sie einmal an einem Tag mehr als 90 000 Euro aus.

Und deshalb hat Sebastian G., der Bruder, die Stadtsparkasse Augsburg verklagt. Das Finanzinstitut hat der Frau, die nur noch wenige Monate zu leben hatte und ihren schlechten Gesundheitszustand bei der Bank auch kundtat, Kredite über insgesamt 650 000 Euro gewährt, mit dem sie ihren am Ende exzessiven Lebensstil finanzierte. Vor Gericht geht es nun um die Frage: Durfte die Sparkasse das?

Für Bernd Paschek, Fachanwalt für Bankrecht, ist die Sache eindeutig. Er vertritt den Kläger vor Gericht und nennt die Sparkasse in diesem Fall einen "Handlanger der Verschwendung". Am Ende wird das Verfahren klären müssen, ob die Bank zu sorglos bei der Kreditvergabe war und vor allem, ob die Frau nicht schon längst geschäftsunfähig gewesen ist.

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Es gibt sich widersprechende psychiatrische Gutachten, eines bescheinigte ihr im Jahr 2010 eine dauerhafte Geschäftsunfähigkeit. Clemens Cording, Professor, Facharzt für Psychiatrie und Spezialist für posthume Zivilrechtsgutachten, soll dies nun vier Jahre nach ihrem Tod klären. Und die Sparkasse, die alle Vorwürfe abstreitet, hat vorsichtshalber schon all die Unternehmen angeschrieben, bei denen Marion B. so viel Geld gelassen hat: Falls das Augsburger Gericht auf Geschäftsunfähigkeit der Frau erkennt, will sich die Bank das Geld von den Luxusfirmen wieder holen. Chanel und Hermes gehören dazu, auch Louis Vuitton.

Die Familie war lange zerrüttet, Bruder und Schwester hatten kein gutes Verhältnis. Als der Vater 2013 starb, trug er seine Tochter als Alleinerbin ein. Sie verfügte nun über ein Mehrparteienhaus mitten in Augsburg, das damals etwa 1,2 Millionen Euro wert war. B. wollte das Haus verkaufen und es sich mit dem Geld noch einmal so richtig gut gehen lassen, das haben Mitarbeiter der Sparkassenfiliale am Rathausplatz vor Gericht erzählt. Weil es mit dem Verkauf aber nicht schnell genug ging, streckte ihr die Sparkasse 2014 Kredite von 450 000 Euro und 200 000 Euro vor.

Anwalt Bernd Paschek. (Foto: Privat)

Anwalt Paschek klagt nun auf Rückforderung der Darlehen wegen Entreicherung und Geschäftsunfähigkeit. Betroffen ist nicht der Bruder, den die Schwester vor ihrem Tod enterbte, sondern dessen kleiner Sohn: Der erbte nicht nur das Haus, sondern eben auch die Kredite. Paschek argumentiert, dass bei der Sparkasse vor der Kreditvergabe alle Alarmglocken hätten klingeln müssen. Ärztliche Atteste weisen B. als alkoholkrank, magersüchtig und medikamentenabhängig aus. 2010 sei eine schizophrene Erkrankung diagnostiziert worden.

Überhaupt, sagt Paschek, seien in diesem Jahr auf Veranlassung des Augsburger Gesundheitsamtes psychiatrische Gutachten erstellt worden, die zum Ergebnis einer "unheilbar dauernden Geschäftsunfähigkeit" kamen. Mehrere Monate befand sich Marion B. in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses und stand unter gerichtlich angeordneter Betreuung. Ihr Vater holte sie laut Kläger unter Auflagen aus dem Krankenhaus, die Ärzte dort entließen sie als geschäftsfähig.

Nun kann man der Bank nicht vorwerfen, diese Krankengeschichte nicht gekannt zu haben. Die Klägerseite führt aber zahlreiche Beispiele auf, die die Mitarbeiter der Sparkasse aus ihrer Sicht hätten stutzig machen müssen. Die langjährige Sparkassenkundin habe kein geregeltes Einkommen bezogen, im Gegenteil: Sie habe zweimal ein Pfändungsschutzkonto eintragen lassen, 2010 mit Hilfe ihrer Betreuerin vom Gesundheitsamt. Im selben Jahr hat die Sparkasse, das zeigen Unterlagen, Marion B. ein Konto gekündigt und einen Vollstreckungsbescheid erwirkt. "Das war keine normale Kundin, wie kann man so einer Frau guten Gewissens einen Kredit geben?", fragt Paschek. Zumal den Bankberatern die Abbuchungen und das seltsame Gebaren der Frau hätten auffallen müssen, klagt der Klägervertreter. Spätestens, als sie Mitarbeitern der Bank eine Mail mit Bildern von hässlichen Narben misslungener Schönheitsoperationen sendete.

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Die Stadtsparkasse Augsburg argumentiert, dass sie ihren Kunden keine Vorgaben mache, wie diese mit ihrem Geld umzugehen haben. "Wir sehen hierfür auch keine Rechtsgrundlage", heißt es auf Nachfrage. Einer detaillierten Fallbewertung stehe das Bankgeheimnis entgegen, die Sparkasse betont aber, dass eine Person nur dann eingeschränkt geschäftsfähig sei, wenn ein Gericht einen Einwilligungsvorbehalt ausgesprochen habe. Allein die Anordnung einer Betreuung durch ein Gericht berühre nicht die Geschäftsfähigkeit. Die Bank beachte die verbraucherschützenden Vorgaben. "Wir tätigen keine Geschäfte mit Personen, die sichtbare Auffälligkeiten aufweisen."

Der damalige Filialleiter am Rathausplatz, eine Beraterin und der Immobilienmakler der Sparkasse sagten vor Gericht aus, dass die Frau keine Auffälligkeiten gezeigt habe. Trotz der teils bizarren Käufe und auch wenn sie oft Schimpfworte gebraucht, verwaschen gesprochen und einer Beraterin Geschenke gemacht habe: Ohrringe und ein Armband im Wert von 600 Euro.

"Ihr ökonomischer Werdegang war katastrophal und körperlich war sie ein Wrack", sagt Anwalt Paschek. Die Sparkasse habe davor zumindest grob fahrlässig die Augen verschlossen und die Frau als kreditwürdig eingestuft. Den zweiten Kredit über 200 000 Euro etwa brauchte sie seiner Ansicht nach auch, um die Zinsen des ersten Kredits zu bedienen. Paschek fragt deshalb, ob die Sparkasse EU-Richtlinien zur Kreditvergabe missachtet hat, die damals allerdings noch nicht in deutsches Recht umgesetzt gewesen waren. Der Anwalt prüft nun einen Staatshaftungsanspruch - auch die Bundesrepublik könnte sich in dem Fall schadensersatzpflichtig gemacht haben, weil sie neues EU-Recht nicht konsequent umgesetzt hat.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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