Aschaffenburg:Biss-Gutachten entlastet Angeklagten

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Im Prozess um einen Mord an einer 15-Jährigen vor 40 Jahren wird eine Verurteilung immer unwahrscheinlicher.

Von Olaf Przybilla, Aschaffenburg

Im Prozess um den Mord an der 15-jährigen Christiane J. im Jahr 1979 wird eine Verurteilung des 57-jährigen Angeklagten immer unwahrscheinlicher. Laut einem Zweitgutachter, einem auch für das Bundeskriminalamt tätigen Sachverständigen aus Nordrhein-Westfalen, könne "keine gesteigerte Wahrscheinlichkeit" festgestellt werden, dass die am Opfer dokumentierte Biss-Spur vom Angeklagten stamme.

Auch gab der Sachverständige an, dass er keine der von der Erstgutachterin beim Angeklagten festgestellten Besonderheiten respektive Zahnanomalien in der Biss-Spur erkennen könne. Teilweise habe die Erstgutachterin auch fälschlicherweise Anomalien im Gebiss des Angeklagten angenommen. So sei es unzutreffend, dass beim Angeklagten ein Zahn genetisch gar nicht angelegt gewesen sei. Das Erstgutachterin hatte zu Prozessbeginn festgestellt, die Biss-Spur stamme "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" vom Angeklagten. Dies dürfte nun hinfällig sein, nachdem bereits das Gericht - nach eingehender Überprüfung - erhebliche Zweifel am Erstgutachten angemeldet hatte. Dieses galt als Hauptbeweismittel in diesem Indizienprozess.

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Ein neuer Experte soll im Prozess um den Mord an der damals 15 Jahre alten Christiane J. klären, ob eine Biss-Spur nach 40 Jahren einen Täter überführt - oder das Gutachten einer Sachverständigen wertlos ist.

Von Olaf Przybilla

Der Zweitgutachter attestierte den Richtern, diese hätten "zutreffend analysiert", dass etwa ein bestimmter Zahn sehr wohl genetisch angelegt gewesen ist. Laut Zweitgutachter wären "deutlich mehr" als die sicher in der Bissspur erkennbaren Zahnabbildungen erforderlich gewesen, um tatsächlich eine Aussage darüber treffen zu können, ob der Angeklagte der Verursacher der Biss-Spur gewesen sein könnte. Lediglich ein Drittel der zu erwartenden Zähne hätten sich in der Biss-Spur abgebildet. Insbesondere sei der für die Erstgutachterin relevante Zahnbereich in der Bissspur gar nicht ausreichend abgebildet.

Überhaupt sei auf den Lichtbildern lediglich eine "schwache Einbiss-Spur" zu erkennen. Aus Sicht des Sachverständigen sei es insofern umgekehrt auch nicht möglich, den Angeklagten als Verursacher der Biss-Spur auszuschließen - und dies auch deshalb, weil der Angeklagte hinsichtlich weiterer in der Biss-Spur erkennbarer Zähne ein "Allerweltsgebiss" gehabt habe.

Sowohl Staatsanwaltschaft wie Nebenklage beantragten am Montag, dem 15. Verhandlungstag, ein weiteres Gutachten einzuholen, diesmal von einem "dental-radiologischen" Sachverständigen. Mit diesem könne das vorliegende Untersuchungsmaterial ergänzend begutachtet werden, um zu klären, ob die Biss-Spur vom Angeklagten gesetzt worden ist. Wie es in diesem in jeder Hinsicht besonderen Verfahren weitergeht, wird davon abhängen, ob die 2. Große Jugendkammer am Landgericht Aschaffenburg diesem Antrag zustimmt. Ursprünglich waren laut Gerichtssprecher Ingo Krist für Donnerstag die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage geplant. Sollte nun ein weiteres Gutachten notwendig sein, würde sich der Prozess weiter in die Länge ziehen.

Im Januar hatte es für viele Beobachter schon so gewirkt, als sei der Angeklagte gleichsam bereits des Mordes überführt. Angesichts der Vielzahl angeblich übereinstimmender Besonderheiten gehe die Wahrscheinlichkeit, dass jemand anderes das gleiche Zahnmuster wie der 57-Jährige aufweise, "gegen null", hatte die Erstgutachterin attestiert.

© SZ vom 21.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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