Archäologie:Das älteste Ei nördlich der Alpen

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Der hier abgebildete Bankivahahn lebte bis 2021 im Tierpark Hellabrunn in München, der verschiedene Hühnerrassen hält. Von dieser Rasse stammt das heutige Haushuhn ab. (Foto: Sonja Sprenzel/Tierpark Hellabrunn)

In einer Abfallgrube im schwäbischen Nördlingen kommen gut 2400 Jahre alte Schalen zum Vorschein. Über die herausragende Rolle von Eiern in Ernährung und Brauchtum - und das Huhn als Statussymbol.

Von Hans Kratzer, Nördlingen

Es ist in der Tat ein denkwürdiger, mit diversen Rätseln behafteter Fall, der jetzt kurz vor Ostern ans Licht kam. Zumindest ein Faktum stehe zweifelsfrei fest, sagt das Landesamt für Denkmalpflege. Demnach war das älteste bekannte Hühnerei nördlich der Alpen nicht gefärbt. Die Frage, ob es gekocht war, lässt sich dagegen nicht mehr beantworten. Auf jeden Fall wurde das besagte Ei in Nördlingen gefunden, wo die Schalen im 4. Jahrhundert vor Christus zwischen verbranntem Getreide und Tierknochen im Abfall landeten. Das konnten Wissenschaftler des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege mit Hilfe ihrer englischen Kollegen von der Universität York nun nachweisen.

Gemeinsam haben sie die nur millimetergroßen Splitter aus einer Müllgrube der späten Eisenzeit untersucht. Die Lage inmitten von Speiseresten spricht wohl dafür, dass das Hühnerei seinerzeit tatsächlich dem Verzehr diente. Es handelt sich damit um den ersten direkten Beleg für den menschlichen Konsum von Eiern nördlich der Alpen.

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"Dieser auf den ersten Blick so unscheinbare Fund zeugt von einer kleinen Zeitenwende, was die menschlichen Ernährungsgewohnheiten betrifft", sagte Generalkonservator Mathias Pfeil, der Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, zu dem Sensationsfund und fuhr fort: "Mit einem Augenzwinkern gesagt: Was damals begann, führte später zum Osterei."

Das Huhn als Statussymbol

Nach dem jetzigen Forschungsstand hielten die Menschen in Mitteleuropa Hühner bis dahin eher als Haus- denn als Nutztiere. Dass die Hähne in der um 800 vor Christus einsetzenden Eisenzeit als Statussymbol galten, belegen Darstellungen auf Münzen aus jener Zeit. Ursprünglich stammt das heutige Haushuhn vom südostasiatischen Bankivahuhn ab, das immer noch gezüchtet wird.

In Europa sind seit der Eisenzeit vereinzelte Knochen solcher Tiere nachweisbar. Erst im dritten Jahrhundert vor Christus scheinen Menschen Hühner zum Zwecke des Eierlegens gehalten zu haben. Auch darüber geben die Tierknochen Aufschluss, auf die Archäologinnen und Archäologen bei Ausgrabungen regelmäßig stoßen.

Von da an finden sich darunter mehr Knochen von Hennen als von Hähnen - beispielsweise im Oppidum von Manching in der Nähe von Ingolstadt. Dies weise auf eine gezielte Nutzung der Hühner zur Eierproduktion hin, sagen die Wissenschaftler.

Auf die historische Müllgrube in Nördlingen waren Archäologen bei einer Ausgrabung im Jahr 2020 gestoßen. Das daraus geborgene Sediment wurde durch feine Siebe geschlämmt, um danach die Makroreste unter dem Mikroskop untersuchen zu können. Dabei traten auch die Schalenstücke zu Tage.

Dass der Nachweis einer Hühnereierschale überhaupt möglich war, ist den mittlerweile extrem verfeinerten Untersuchungsmethoden zu verdanken. Die Forscher profitierten hier von "der günstigen Kombination aus guten Erhaltungsbedingungen, einer akribischen Analyse der Kleinstfunde im gesiebten Sediment und neuer Technik", sagt Johann Friedrich Tolksdorf, der zuständige Archäologe am Landesamt für Denkmalpflege.

Die zu den Eierresten gehörende Vogelart wurde an der Universität York per Massenspektrometrie der Proteinmoleküle bestimmt. Die Methode ermöglicht eine zuverlässige Analyse auch kleinster Bruchstücke und Tierreste wie etwa der Eierschalen aus Nördlingen. Mit Hilfe der C14-Methode, bei der der Anteil des Kohlenstoffisotops gemessen wird, wurden die vorzeitlichen Speiseabfälle in das 4. Jahrhundert vor Christus datiert.

Kalkeier für den Winter

Das Ei spielte spätestens seit jener Zeit eine herausragende Rolle im Brauchtum wie auch in der Ernährung. Schon in grauer Vorzeit galt es als ein Ursymbol und als sichtbarster Träger des Lebens, aber auch als Zauberheilmittel sowie als Opfergabe. Vor allem waren Eier ein kostbares Gut, selbst auf den Bauernhöfen, und das galt noch bis vor wenigen Jahrzehnten.

Weil die Hühner im Winter nicht legten, sammelten die Bäuerinnen von September an einen Teil der frisch gelegten Eier in Tonkrügen, die mit Kalkwasser gefüllt waren. Auf diese Weise verfaulten diese sogenannten Kalkeier wenigstens nicht. Gleichwohl verloren sie ihren Geschmack, weshalb die ersten Ostereier ein Quell der Freude waren, wie man es sich heute, da Eier eine Massenware sind, nicht mehr vorstellen kann.

Eine Sonderrolle bei den Ostereiern spielt die Farbe Rot. Brauchtumspfleger betonen die Liebessymbolik der roten Eier, um die sich manche Tragödie rankt. Der Autor Wugg Retzer hat diesen Umstand in der Erzählung "In die Roten Oar" berührend dargelegt.

Den Brauch, an Ostern rote Eier zu schenken, wollte in Retzers Erzählung auch das Postfräulein Margot erfüllen. Leider beleidigte sie einen redlichen Verehrer, indem sie ihm vier Eier aushändigte, nicht wissend, dass eine gerade Zahl an Eiern eine Einladung zum Beischlaf bedeutet.

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