Kampf gegen Antisemitismus:Wie Rollenspiele gegen Antisemitismus helfen können

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Sich selbst und andere hinterfragen - und so Vorurteile abbauen: Das ist das Ziel der Rollenspiele, mit denen Asmen Ilhan (li.) und Yilmaz Atmaca bayernweit an Schulen unterwegs sind. (Foto: Maximilian Gerl)

Kultusminister Piazolo will Antisemitismus an Bayerns Schulen bekämpfen. Die Organisation Mind Prevention schickt dazu Trainer in den Unterricht, um die Jugendlichen bei ihren Gefühlen zu packen.

Von Maximilian Gerl

Die Unterhaltung zwischen den Schulfreunden eskaliert. Der eine: hat gestern den Unterricht geschwänzt. Der andere: ist mitgegangen beim Ausflug in die Synagoge. Das wiederum kann der Erste gar nicht verstehen. Er macht Juden für all das Übel verantwortlich, das in Palästina und auf der Welt geschieht. Der Freund widerspricht, zwischen den Religionen gebe es so viele Gemeinsamkeiten, doch die Vorwürfe fliegen immer lauter hin und her. Dann lacht plötzlich einer der beiden. Das Rollenspiel ist zu Ende. "Wir könnten noch stundenlang so weitermachen", sagt Asmen Ilhan, eben noch fiktiver Schulschwänzer mit Wut in den Augen, jetzt wieder ein Kämpfer gegen Antisemitismus und Stereotype. "Man muss die Jugendlichen abholen", sagt er, mit Situationen aus dem Alltag.

Das möchte auch Kultusminister Michael Piazolo (FW) gerne - und zeigen, welche Wege bayerische Schulen gehen, um Antisemitismus gewissermaßen im Frühstadium zu bekämpfen. Dafür hat er sich an diesem Donnerstag Unterstützung ins Münchner Ministerium geholt, den Psychologen Ahmad Mansour sowie dessen Team von Mind Prevention. Dieses unterstützt Jugendliche unter anderem mithilfe von Rollenspielen dabei, sich selbst und andere zu hinterfragen. "Menschen werden ja nicht als Antisemiten geboren", sagt Mansour. Und Piazolo stellt klar, was selbstverständlich sein müsste: "Antisemitismus hat bei uns keinen Platz."

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Daran könnte man mit Blick auf die Lage durchaus Zweifel bekommen. Wer sich öffentlich zum jüdischen Glauben bekennt, muss mit Anfeindungen rechnen, mit Schmierereien an Synagogen und Hauswänden, verbalen und sogar körperlichen Angriffen. Allein 2021 zählte die Polizei laut Piazolo gut 500 Fälle. Die Dunkelziffer dürfte größer sein. Bei den am Donnerstag vorgestellten Maßnahmen stehen zwar Jugendliche mit Flucht- oder Migrationshintergrund im Fokus. "Das bedeutet aber nicht, dass Antisemitismus ein migrantisches oder muslimisches Problem ist", sagt Mansour. Ob von rechts oder links, aus bürgerlichen Kreisen oder dem Lager der Corona-Leugner, der Antisemitismus kennt viele Gesichter.

So gesehen kann die Wirkung der 2017 gestarteten Zusammenarbeit zwischen Mind Prevention und dem bayerischen Kultusministerium trotz aller Mühen nur begrenzt sein. Gut 1000 Schülerinnen und Schüler, meist aus Integrationsklassen oder der Mittelschule, von 30 bayerischen Kooperationsschulen kommen jährlich mit dem Programm namens "ReThink" in Kontakt. Eine an sich überschaubare Zahl, die aber, so versichern die Verantwortlichen, nicht unbedingt von Nachteil sei, Stichwort zielgruppengerechte Ansprache.

Vereinfacht spielen bei "ReThink" Trainer wie Asmen Ilhan den Alltag nach. Die Rollenspiele können mal einen Streit zwischen Freunden wiedergeben, mal eine Auseinandersetzung mit dem Vater, der dem Sohn seine Wertevorstellungen aufdrücken will. Auf diese Weise sollen die Jugendlichen ins Nachdenken kommen und ins Diskutieren. Häufig seien die Schüler anfangs zurückhaltend, erzählt Ilhan. "Aber wir versuchen, Humor reinzubringen." Viele merkten dann schnell, dass sie sich im Rahmen des Workshops ungezwungener als sonst geben könnten; dass sie eine Chance hätten, jetzt ihre Sicht der Dinge zu erzählen.

Flankiert wird "ReThink" von "ReAct" und "ReMember". Letzteres setzt sich mit der Shoa auseinander, Ersteres wendet sich an Lehrkräfte. Folgt man den Worten Mansours, sind sie häufig überfordert, wenn sie im Unterricht mit Antisemitismus konfrontiert werden. Kurz gehen im Ministeriumsraum die Lichter aus, auf einer Leinwand läuft ein Video aus dem Mai 2021 an. "Danach haben wir etliche Mails von Lehrern bekommen, die Hilfe gesucht haben", sagt Mansour. Zu sehen sind jubelnde Menschen mit Israel-Fahnen, im Hintergrund wälzen sich vom Tempelberg schwarze Rauchwolken gen Himmel. Der kurze Internetclip erweckt den Eindruck, als würden sich da Juden über einen muslimischen Wallfahrtsort in Flammen freuen. Doch das sei falsch, erklärt Mansour: Feier und Feuer hätten nichts miteinander zu tun. Klassische Fake News also, die eine einfache Antwort auf komplexe Sachverhalte suggerieren.

Dass man schon zahlenmäßig nicht alle bayerischen Schüler mit dem Rollenspiel-Programm erreiche, räumt Minister Piazolo ein. Jedoch gebe es weitere Maßnahmen, zum Beispiel Schulbesuche von Zeitzeugen und Schulfahrten in Dokumentationszentren. Auch die Zusammenarbeit mit Mind Prevention soll ausgebaut werden, die Organisation will ihre bayerischen Strukturen sukzessive ausbauen. Es sei wichtig, die Jugendlichen zu Mündigkeit anzuleiten, sagt Geschäftsführerin Beatrice Mansour. Dazu brauche es den Kopf genauso wie die Emotionen - siehe die durchaus aufgeladenen Rollenspiele.

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