Grenzen der Kunst:Richter malt verurteilte Mörder und hängt Gemälde im Gericht auf

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Die Bilder sollen auf die Selbstüberschätzung des Menschen hinweisen: Mordlust ist niemandem anzusehen. Auch Charles Ray Hatcher, Leszek Pękalski und Chester Turner (von links) nicht. (Foto: Privat)

Jahrelang sind im Amtsgericht Ingolstadt Porträts von Serienmördern zu sehen. Bis jetzt. Der malende Richter versteht die Aufregung nicht.

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Jetzt sind sie also weg. Marianne Nölle ist weg, die Altenpflegerin, die 17 Senioren mit einer Überdosis Beruhigungsmittel tötete. Dieter Zurwehme ist weg, der Mann, der fünf Menschen erstochen hat. John Christie ist weg, von dem man gar nicht genau weiß, wie viele Frauen er insgesamt stranguliert und auf dem Gewissen hat. Alle 23 Serienmörder sind weg. Elf Männer, zwölf Frauen. "Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich sie wahrscheinlich hängen lassen", sagt Michael Fein.

Fein, 55, ist Strafrichter am Amtsgericht Ingolstadt. Und bevor es Missverständnisse gibt: Mit "hängen lassen" meint Fein natürlich nicht die Strafe, die er all den Mördern aufgebrummt hätte. Fein hat die Mörder gemalt und die Bilder im Warteraum des Amtsgerichts aufgehängt. Drei Jahre ist das her, drei Jahre hingen die Bilder. Dass sie jetzt weg sind, mag Richter Fein nicht recht einsehen. Er findet, dass da "ein Skandal ein bisschen herbeigeredet" worden sei.

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Um das alles zu verstehen, muss man die Hintergründe sehen. Fein ist Richter, aber auch Künstler. Sein Künstlername: Michael von Benkel. Er schreibt Krimis und malt Bilder. Die Serienmörder hat er im Pop-Art-Stil gemalt, 60 mal 80 Zentimeter. Er hat die Bilder zunächst bei Ausstellungen gezeigt. Einmal hat er in der Mitte des Ausstellungsraums einen elektrischen Stuhl platziert. Ein Nachbau natürlich, eine Attrappe. Fein saß auf dem Stuhl, las fürs Publikum aus seinen Krimis und von der Wand schauten die Serienmörder zu.

Irgendwann waren die Ausstellungen rum und weil die Wände im Warteraum des Amtsgerichts so kahl waren, hatte Fein eine Idee. Seinem damaligen Chef habe die Idee gefallen, also hängte er seine Bilder im Gericht auf. Nie habe sich irgendjemand beschwert, sagt Fein. Bis kürzlich ein Journalist auf die Bilder aufmerksam wurde. Der Journalist bat Fein um ein Gespräch und der Richter freute sich, dass sich die Presse für seine Kunst interessiert. Der Journalist habe kaum kritisch nachgefragt. Er habe sogar den Eindruck gehabt, der Journalist wolle ein Bild kaufen, sagt Michael Fein. Der Text, der auf Focus Online erschien, war dann aber nicht direkt eine Lobhudelei auf den Künstler.

Ist dieser Richter im falschen Job, wenn er "Täter wie Ikonen" auf Leinwände pinselt?

Über dem Text schwebte die Frage: Darf man das? Serienmörder an die Wand nageln, wo auch Opfer von Gewaltverbrechen warten, bevor sie in den Gerichtssaal gerufen werden? Und noch eine Frage schimmerte durch: Ist dieser Richter im falschen Job, wenn er "Täter wie Ikonen" auf Leinwände pinselt?

Quatsch, sagt Michael Fein. Erstens verhandle er am Amtsgericht keine Mordfälle. Mit Mördern habe er höchstens mal als Ermittlungsrichter zu tun. Zweitens stehe er "auf der Seite der Guten", der Opfer. Es könne schon sein, dass man mit der Zeit "nicht mehr ganz so erschrocken ist, wenn man eine brutale Tat vor sich hat", sagt Fein. Aber dass man als Richter einen Täter bewundere, "das schließe ich eigentlich aus". Und drittens: Es stecke eine Idee hinter seiner Kunst - und weniger die Absicht "zu schocken".

Strafrichter Michael Fein, 55, nennt sich in seiner Freizeit Michael von Benkel, schreibt Krimis und malt Bilder. Weil die Flure im Gericht so kahl waren, hing er dort seine Bilder auf. (Foto: Privat)

Die Idee hinter der Serienmörder-Reihe erklärt Fein so: Es gehe um Menschenkenntnis, die für einen Richter eine große Rolle spiele. Darum, dass man einem Menschen nicht ansehe, dass er ein Mörder ist. "Dass wir uns alle sehr überschätzen, wenn wir sagen, wir lesen da was raus", sagt Fein. Deshalb habe er bewusst "die harmlosen Bilder" der Mörder rausgesucht und abgemalt.

Wenn das die Idee war, warum hat er dann Zettel unter die Bilder gehängt mit den Namen der Mörder, den biografischen Daten, den Zahlen ihrer Opfer? Ja, stimme schon, sagt Fein, aber "ich glaube, dass die meisten das einfach nur angeschaut haben, ohne das zu werten". Es sei "halt sehr kahl in den Gängen gewesen" und wenn da "bisschen was hängt und farbig ist", dann sei das besser. Ihm eine Bewunderung für Serienmörder zu unterstellen oder die Absicht, Gewaltopfer im Warteraum zu provozieren, sei jedenfalls "gewagt", sagt Fein. Aber, ja, er könne "nachvollziehen, dass man es vielleicht anders sehen kann".

Inzwischen sind die Wände im Warteraum des Amtsgerichts also wieder kahl. Es heißt, die Direktorin des Gerichts habe darum gebeten, die Bilder zu entfernen. Na ja, sagt Fein, "eine richtige Anweisung war es nicht". Er habe die Serienmörder abgehängt, um Konflikte zu vermeiden. Schon bald werde er sie wieder aufhängen, in einer privaten Kunstgalerie. Wäre ja schade um die Kunst, findet Michael Fein. "Ich will mich nicht selber loben, aber ich bin nicht unzufrieden damit gewesen."

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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