Markgrafentheater:"Es war eine mörderisch aufregende Zeit"

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Das Markgrafentheater in Erlangen hat eine schillernde Geschichte. (Foto: Jubiläumsband "300 Jahre Theater Erlangen")

Das Markgrafentheater in Erlangen feiert seinen 300. Geburtstag. Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre es fast abgerissen worden, später wollte der Stadtrat es schließen - heute aber zählt es zu den schönsten Spielstätten.

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Aus Süddeutschlands ältestem bespielten Barocktheater gibt es nach 300 Jahren natürlich schillernde Geschichten zu erzählen. Das fängt schon an mit der ersten Intendantin, der großen Wilhelmine. Dass sie verantwortlich zeichnet für ein Weltkulturerbe, das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, das hat sich inzwischen leidlich herumgesprochen.

Aber sie wurde eben 18 Jahre nach der Gründung des Erlanger Theaters 1719 auch dessen erste Chefin. Und was für eine: Auf ihr Geheiß wurde der venezianische Theaterarchitekt Giovanni Paolo Gaspari engagiert, um zeitgenössisches Theaterrokoko in Erlangen zu etablieren. Markgräfin Wilhelmine, diese Multibegabung, dirigierte und inszenierte in Erlangen selbst und stand jene Kämpfe aus, die Theaterleiter bis heute zu erleiden haben. Mit empfindsamen Primadonnen etwa. "Wir hatten furchtbare Revolutionen unter den Musikern, die durch zwei Frauen verursacht wurden", notiert sie einmal.

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(Foto: N/A)

Elefanten kamen in Erlangen wohl nur als Ausstattungsgegenstand auf die Bühne, aber immerhin.

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Seit dem Umbau nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Haus Treppenhäuser aus den Fünfzigerjahren,...

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... der barocke Innenraum ist geblieben. Fotos: Bay. Staatsbibliothek, Jochen Quast (2), Stadtarchiv Erlangen/Hilde Stümpel

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(Foto: Jubiläumsband "300 Jahre Theater Erlangen")

Die Bilder und Theatergeschichten stammen aus dem Jubiläumsband "300 Jahre Theater Erlangen", herausgegeben von Karoline Felsmann und Susanne Ziegler, Verlag Theater der Zeit, Berlin 2019.

Dafür genoss Wilhelmine in ihrem Haus fernab des Bayreuther Hofs alle Freiheiten, traf sich etwa mit durchreisenden Künstlern, um ungestört diskutieren und musizieren zu können. Ob womöglich gar die beiden berühmten Erlanger Ausstattungselefanten im Triumphwagen, die auf einem zeitgenössischen Kupferstich zu sehen sind, während ihrer Intendanz noch einmal zum Einsatz kamen - man weiß es nicht. Dergleichen Details wären ohnehin hinfällig, wenn sich der Abrissgeist der Adenauerzeit auch in Erlangen etwas robuster durchgesetzt hätte.

1956 war die Abrissbirne fast schon bestellt, wegen Baufälligkeit hatte das Theater den Betrieb einstellen müssen. Man entschied sich dann aber doch noch für eine Generalsanierung samt Umbau, weshalb man in diesem Haus seither in zwei recht unterschiedlichen Zeiten steht: Im Treppenhaus glaubt man sich gleich Ludwig Erhard gegenüber zu sehen - während im Theaterraum immer noch Wilhelmine über, so wörtlich, "wahre Teufelsweiber" philosophieren könnte: "Es gibt nichts Schöneres als eine italienische Stimme, aber es ist schwer, mit diesen Leuten fertig zu werden." Tja, Künstler eben.

Erlangen heimste auf einmal Theaterpreise ein

Die knapp nur verhinderte Barbarei in den Fünfzigerjahren war die eine Zäsur des Hauses. Die andere folgte mit der Intendanz von Andreas Hänsel. Der hatte sich 1989 nach Erlangen locken lassen, wurde alsbald als "jüngster Intendant Deutschlands" gefeiert, im privaten Rahmen freilich als "ärmste Sau Deutschlands" bedauert, was nur so ähnlich klingt. Schon der Titel "Intendant" war zu der Zeit kaum mehr als Etikettenschwindel, im Stadtorganigramm war das Theater nur eine verwaltungstechnisch untergeordnete Einrichtung des Kulturamts. Im Bewerbungsgespräch musste sich Hänsel von einer Stadträtin fragen lassen, ob ein Waldorfschüler überhaupt in der Lage sei, ein Theater zu leiten.

Hänsels erste Premiere - natürlich "Hänsel und Gretel" - wurde vom geneigten Erlanger Siemens-Publikum mit Live-Nettigkeiten untermalt: "Intellektueller Dünnschiss!" Die Lokalpresse berichtete anderntags von "tumultartigen Szenen", und um es kurz zu machen: So herausragend war Hänsels Theater, dass sich die bürgerliche Stadtratsmehrheit 1997 zuverlässig auf die Idee zubewegte, man könnte das Ensemble ja auch einfach auflösen.

Dass Erlangen unter Hänsel auf einmal Theaterpreise einheimste - geschenkt. Wer das Glück hatte, seine Werner-Schwab-Inszenierung "Die Präsidentinnen" gesehen zu haben, wird nie wieder vergessen, wie die göttliche Adele Neuhauser als Erna über die Bühne feudelt, alles entstaubend, was ihr unter die Finger kommt. Neuhauser wurde dafür - lange vor ihrer Karriere als Wiener Tatort-Kommissarin - mit dem bayerischen Theaterpreis ausgezeichnet. "Man kann überall sparen", ist das Motto der Figur Erna: Statt Kaffeefilter kann man auch Klopapier nehmen, statt Klopapier auch Altpapier. Aber gleich ein ganzes Theater einsparen? Darauf kamen später nur CSU und FDP.

Bis sich der große August Everding einschaltete, Gründer der bayrischen Theatertage, seine Beziehungen spielen ließ und plötzlich Redaktionen einen Brief von Kultusminister Hans Zehetmair in den Händen hielten, mit dem freundlichen Hinweis an schließwütige Erlanger Stadträte, dass der Ministerpräsident nicht wünsche, dass auch nur an ein Theater in Bayern Hand angelegt werde. "Es war eine mörderisch aufregende Zeit", sagt Hänsel, der sich nach seiner Erlanger Zeit ausgebrannt aus der Theaterszene verabschiedet hat. Sein ehemaliges Theater in Erlangen lebt heute frei von Schließungsplänen. Und ist längst ein etabliertes bayerisches Repertoiretheater.

© SZ vom 05.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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