Kosten für Medikamentengabe:Bayerns Pflegebeauftragter kritisiert AOK-Entscheidung

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Die Krankenkasse will nicht für die Medikamentengabe in Senioren-WGs zahlen. Vor Gericht wurde ein erstes Urteil gefällt - zu Gunsten der Pflegepatienten.

Von Dietrich Mittler, München

In einem offenen Brief hat Bayerns Patienten- und Pflegebeauftragter Peter Bauer (Freie Wähler) am Montag die AOK Bayern dazu aufgefordert, ihr "Verhalten gegenüber den Versicherten zu überdenken" und "auch das Menschliche nicht aus den Augen" zu verlieren. Bauer bezieht sich mit seinem Schreiben auf eine Kontroverse, die in Franken bereits vor Gericht ausgetragen wird und andernorts bald die Sozialgerichte beschäftigen dürfte. Demnach will die Kasse bei Bewohnern von Senioren-WGs nicht mehr jene Ausgaben übernehmen, die etwa dann entstehen, wenn ambulante Pflegekräfte alten Menschen die benötigten Medikamente reichen oder kleinere Wunden versorgen.

Auf die Betroffenen kommen in der Folge beträchtliche Kosten zu, die sogar ihre WG-Unterbringung gefährden könnten. Die augenblickliche Rechtsunsicherheit führe bei vielen Menschen zu Verunsicherung und zu Ängsten, argumentiert der Patienten- und Pflegebeauftragte der Staatsregierung - und das, obwohl die AOK damit werbe, ihren Versicherten die "bestmögliche Leistung und Vorsorge in jedem Alter" anzubieten. Und: "Ebenso wenig ist zu akzeptieren, dass die ambulanten Wohngemeinschaften oder sonstige betroffene Wohnformen in ihrem Fortbestand gefährdet werden", schreibt Bauer.

Pflege
:AOK Bayern will sparen - zu Lasten von Senioren in WGs

Die Krankenkasse will die Kosten nicht mehr übernehmen, wenn ambulante Pflegekräfte Medikamente verabreichen. Betroffene ziehen vor Gericht.

Von Dietrich Mittler

Die AOK wiederum betont: "Wir unterstützen grundsätzlich neue Wohnformen." Allerdings seien Leistungen wie die Medikamentengabe oder das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen bereits durch Zahlungen der Pflegekasse abgegolten. Überdies, so argumentiert die Kasse, sei "grundsätzlich zunächst zu prüfen", ob diese Aufgaben nicht auch jemand übernehmen könne, der im gleichen Haushalt lebt. "Wir sind daher der Auffassung, dass das Betreuungspersonal in Wohngruppen - ähnlich wie Angehörige Zuhause - auch einfachste Aufgaben der medizinischen Behandlungspflege zu übernehmen hat", legt ein Sprecher der Kasse dar. Die Präsenzkräfte in ambulanten Wohngemeinschaften, die sich um die alten Leute kümmern, würden schließlich aus Mitteln der Pflegeversicherung pauschal mit 214 Euro im Monat bezuschusst.

Um ihre Argumente zu untermauern, beruft sich die Kasse auf zwei Urteile des Bundessozialgerichts. Damit kam die AOK Bayern vor dem Sozialgericht Nürnberg vorerst nicht durch. Per einstweiliger Anordnung verpflichtete die Vorsitzende Richterin die Kasse, die Pflegekosten zu übernehmen, bis der Fall im Hauptsacheverfahren geklärt ist. Die AOK betont, sie hoffe "auf eine rasche höchstrichterliche Entscheidung". Bayerns Pflegebeauftragter Peter Bauer hält dagegen: "Diese juristische Auseinandersetzung wird vielleicht Jahre dauern. Solange dürfen wir die Menschen nicht alleine lassen." Bauer schlägt der AOK vor, bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung "ebenso zu handeln wie andere Krankenkassen, die die Kosten für die Behandlungspflege in ambulant betreuten Wohngemeinschaften übernehmen".

Aus dem Gesundheitsministerium hieß es indes, der Bundesgesetzgeber müsse sich hier bewegen. Die aktuelle Streitfrage verdeutliche, dass die vorgegebenen Strukturen "nicht mehr auf die vielfältige Pflegelandschaft passen". Der individuelle Bedarf der Pflegebedürftigen müsse im Vordergrund stehen - und nicht die Frage, wo sie betreut werden.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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