Bildung:Spaenle: Antisemitismus soll an Schulen stärker bekämpft werden

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Der Antisemitismusbeauftragte Bayerns kritisiert, dass Juden vor allem als Opfer wahrgenommen werden und nicht als gleichwertige Mitbürger. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Ludwig Spaenle, bis vor Kurzem selbst Schulminister, beklagt große Lücken in den Lehrplänen zu jüdischem Leben in Bayern. Das Ministerium will seine Vorschläge prüfen.

Von Jakob Wetzel, München

In dieses Papier sei alles eingeflossen, was er in den vergangenen elf Monaten als bayerischer Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus erlebt habe, sagt Ludwig Spaenle. Auch, dass er sehe, dass der Judenhass immer deutlicher zutage trete. Dass die fundamentale Kritik am Staat Israel in der öffentlichen Wahrnehmung immer stärker werde. Und all die Vorfälle, von denen ihm berichtet wurde: dass jüdische Jugendliche an ihren Schulen als "Judensäue" beschimpft wurden. Dass sich jüdische Bayern für das, was da "bei euch" passiert, rechtfertigen müssen, gemeint ist: in Israel. Oder dass ein Unternehmer seinen Geschäftspartner verwundert fragt, ob der wirklich Steuern zahle. Er habe gedacht, Juden müssten das nicht. Wegen des Holocaust.

Um solchen Vorbehalten und Anfeindungen etwas entgegenzusetzen, soll jetzt, geht es nach Spaenle, das Kultusministerium nachbessern. Dessen Lehrplänen attestiert der Münchner CSU-Chef und Antisemitismusbeauftragte gravierende Lücken. Ende März hat er einen Brief an Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) geschrieben. Es gebe durchaus Anknüpfungspunkte, heißt es darin. Zu zentralen Themen aber scheine es "Wissens- und Vermittlungsdefizite" zu geben.

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Antisemitismus zum Beispiel: Der werde bislang schwerpunktmäßig als historisches Thema behandelt, sagt Spaenle. In seinem Brief schreibt er, es gehe vor allem um den rassistischen Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Präsentere Formen dagegen blieben außen vor, sagt Spaenle: der Antisemitismus von Islamisten, Hass auf Israel oder auch "sekundärer Antisemitismus". Von solchem ist die Rede, wenn etwa der Holocaust relativiert wird, wenn ein Schlussstrich unter das Erinnern an die Nazi-Verbrechen gefordert wird, oder wenn "den Juden" vorgeworfen wird, sie zögen Vorteile aus dem Holocaust.

Ebenfalls zu kurz komme in den Schulen das jüdische Leben in Deutschland, das heutige wie das frühere, sagt Spaenle. Jüdisches Leben werde vor allem im Kontext der Schoah angesprochen, Juden würden vor allem als Opfer wahrgenommen, nicht als gleichwertige Mitbürger. Und schließlich fehle es an Informationen über Israel heute, über den Staat und seine Gesellschaft. Es gehe auch um eine ausgewogenere Darstellung des Nahost-Konflikts.

Ändern sollen sich deshalb nicht nur die Lehrpläne. Spaenle möchte auch die Ausbildung der Lehrer in Bayern anpassen. Er will neue Fortbildungsangebote für Pädagogen anregen, vor allem um sie im Umgang mit islamistischem Antisemitismus zu unterstützen, mit diesem seien viele überfordert, sagt er. Spaenle will das Thema auch in die Volkshochschulen tragen; konkrete Vorschläge werden bereits erarbeitet, die Ideen reichen von einem Vergleich des deutschen mit dem israelischen Grundgesetz bis zu Studien zur Demografie Israels, erläutert Robert Sigel, Mitarbeiter in Spaenles Geschäftsstelle.

Und man müsse möglicherweise auch das Unterrichtsmaterial überarbeiten, so Spaenle an Piazolo. Tatsächlich übten Verbände wie die Deutsch-Israelische Gesellschaft und die "Scholars for Peace in Middle East" zuletzt Kritik an der Darstellung des Nahost-Konflikts in einzelnen Schulbüchern: Diese sei verkürzend und einseitig. In einem Buch etwa wird Zionismus mit Imperialismus verknüpft; dass sich zum Beispiel die Arabische Liga nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 Friedensangeboten Israels verweigerte, wird indes verschwiegen.

Als Antisemitismus-Beauftragter könne er nichts durchsetzen, sondern nur Vorschläge machen, erklärt Spaenle. Bis zum Frühjahr 2018 freilich war das anders: Bis dahin war er selbst knapp zehn Jahre lang Kultusminister und damit zuständig unter anderem für die bayerischen Lehrpläne. Er sei nun in neuer Funktion, sagt er. Und einige Entwicklungen zeichneten sich auch in jüngerer Zeit besonders ab: neue Formen des Antisemitismus etwa und die zunehmende Fundamentalkritik an Israel.

Das Kultusministerium erklärt, man nehme das Schreiben ernst, die Vorschläge würden derzeit geprüft. Danach wolle man gemeinsam mit Spaenle und Experten klären, was verbessert werden könne. Den Anliegen des Briefes werde aber grundsätzlich schon jetzt Rechnung getragen, heißt es: Sowohl bei Lehrplänen als auch bei Schulbüchern werde unter anderem darauf geachtet, dass das Judentum als genuiner Teil der europäischen Kultur dargestellt werde und eben nicht nur in Verbindung etwa mit dem Holocaust; und dass Israel als Demokratie und moderner Staat beschrieben werde, nicht nur im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt. Schulbücher würden sorgfältig geprüft - die kritisierten Passagen würden schon überarbeitet. Und bereits heute gebe es Material für Lehrer, welches die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland erarbeitet hat.

Dass seine Themen im Lehrplan bereits angesprochen würden, räumt Spaenle ein. Sie sollten aber angereichert werden, findet er. Und im Grunde müsse man auch ein neues Studienfach etablieren, sagt Spaenle, der von 2013 bis 2018 nicht nur Kultus-, sondern auch Wissenschaftsminister war. Neben der Judaistik, die sich mit Kultur, Geschichte und Religion befasst, müsse eine Israelistik treten, die sich mit der gegenwärtigen Gesellschaft Israels befassen soll. Vorreiter dazu gebe es schon, wie das "Zentrum für Israel-Studien" an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Doch das seien bundesweit viel zu wenige.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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