Grüner Wasserstoff:Neue Energie für alte Netze

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Durch Erdgasleitungen könnte künftig auch gasförmiger Wasserstoff transportiert werden. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Wie wird Europa klimafreundlicher - und unabhängiger von Erdgas? Eine Alternative ist Wasserstoff. Dieser soll in Zukunft durch Teile des Erdgasnetzes fließen.

Von Joachim Becker

Billig sind alternative Kraftstoffe nicht. Während Benzin und Diesel wieder etwas günstiger geworden sind, bleibt Wasserstoff teuer: Mit einem Kilogramm kommt ein Pkw etwa 100 Kilometer weit - zum Preis von 13,85 Euro. Ein Dieselmodell schafft die Strecke etwa zum halben Preis. Kein Wunder, dass H2 Mobility, der Betreiber von knapp 100 Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland, pro Monat nur knapp 50 Tonnen des Druckgases verkauft.

50 Tonnen? Von fossilen Kraftstoffen wurden im vergangenen Jahr 52 Millionen Tonnen verbraucht. Auch wenn immer wieder von Wasserstoff als Kraftstoff der Zukunft die Rede ist: Im Pkw konnten sich die Brennstoffzellen bisher nicht durchsetzen, weil die Tankstellen rar und reine Batteriefahrzeuge effizienter sind. Von der Stromerzeugung per Wind oder Sonne gelangen 70 bis 80 Prozent der eingesetzten Energie an die Räder. "Anders als bei Wasserstoff oder E-Fuels würde eine komplette Umstellung auf E-Autos den Energiebedarf des deutschen Verkehrssektors deutlich senken", erklärt Maximilian Fichtner, Batterieexperte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Eine vollständige Umstellung auf Wasserstoff-Fahrzeuge dagegen würde den Energiebedarf des Transportsektors um rund ein Drittel steigen lassen.

Experten erwarten einen Durchbruch zur Wasserstoffwirtschaft ohnehin nicht mehr durch Pkw, sondern in der Industrie und in Transportbereichen, in denen Batterien nicht genügend Energie speichern können. "Die Anwendungsfälle reichen von grünem Stahl über die Produktion von Ammoniak für Düngemittel bis hin zu umweltfreundlichen Kraftstoffen für den Flugverkehr, die Schifffahrt und Schwerlasttransport", sagt Bernd Heid, Wasserstoffexperte der Unternehmensberatung McKinsey.

"Langfristig sehen wir die Produktionskosten in den führenden Produktionsländern in einem Korridor von unter zwei Euro pro Kilogramm", so Heid. Doch der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft werde nicht in fünf Jahren abgeschlossen sein. "Wir reden hier von Zeiträumen jenseits von 2030, in denen eine vernetzte Wasserstoffwirtschaft in der Breite kommerziell angewendet wird."

Bisher wird Wasserstoff in den allermeisten Fällen per Dampfreformierung aus Methan gewonnen, das per Erdgasnetz überall zur Verfügung steht. Dieses Verfahren setzt allerdings CO₂ frei, deshalb ist von grauem Wasserstoff die Rede. Wirklich klimafreundlich ist nur die Aufspaltung von Wasser mithilfe von Grünstrom und Elektrolyse. Der Ausbau erneuerbarer Energien hat sich seit dem Ukraine-Schock rasant beschleunigt, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu minimieren. Energie-autark wird Deutschland aber auch im Wasserstoffzeitalter nicht.

Von allen Transportmöglichkeiten sind Pipelines am günstigsten

Immer dort, wo man erneuerbaren Strom wie in Elektroautos direkt nutzen könne, sollte man das ohne Energieumwandlung tun, meint Bernd Heid. Allerdings werde man auf diese Weise nicht die enormen Potenziale der erneuerbaren Energie auf dieser Erde nutzen können. "Hier ist es besser, Energieverluste durch die Umwandlung in ein Molekül in Kauf zu nehmen", so Heid, "ohne Wasserstoff werden wir die Sonne Australiens nicht importieren können."

Fragt sich nur, wie der Energieträger von weit entfernten Wasserkraftwerken, Wind- und Solarfarmen im großen Stil zu den Abnehmern in Europa kommen soll? Flüssigwasserstoff lässt sich zwar per Schiff transportieren, doch die Kühlung auf weniger als minus 230 Grad Celsius ist energieaufwendig und daher teuer. Deshalb wird die Umwandlung von Wasserstoff zum Beispiel in Ammoniak als Dünger-Vorprodukt wichtiger. Auch grüner Rohstahl lässt sich am energieeffizientesten dort gewinnen, wo Grünstrom im Überfluss zur Verfügung steht.

Im gasförmigen Zustand ist Wasserstoff zwar nicht ganz so einfach zu handhaben wie Erdgas, doch der Pipeline-Transport ist auch in diesem Fall unschlagbar günstig. Bei Importen aus Regionen mit preiswerter erneuerbarer Energie wie Skandinavien, Spanien und Portugal, Nordafrika oder dem Nahen Osten dürfte die Röhre eine maßgebliche Rolle spielen. Selbst wenn sich der Preis von zwei Euro auf dem Weg zum Kunden verdoppeln würde, wäre der nachhaltig erzeugte Energieträger günstiger als fossile Kraftstoffe. Zumal bei Erdöl- und Erdgasprodukten zunehmend höhere CO₂-Abgaben fällig werden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) ist zum Vielflieger in Sachen erneuerbarer Energie geworden: "Gemeinsam mit Norwegen und anderen nordeuropäischen Ländern wollen wir ein großes Netzwerk zur Wasserstoffproduktion offshore aufbauen", sagte er Anfang Mai nach einem Besuch seines norwegischen Kollegen Jan Christian Vestre: "In großen Windparks findet die Elektrolyse bald im industriellen Maßstab statt." Diese Windparks sollen an das Gasnetz angeschlossen werden, das auch durch die Nordsee verläuft. "Diese Leitung geht dann in Deutschland weiter - wir sind gerade dabei, diese zu planen - in die industriellen Abnahmegebiete hinein, wo Stahl dann nicht mehr mit Kohle erzeugt wird, sondern mit Wasserstoff", so Habeck.

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Selbst Gasturbinen ließen sich mit überschaubarem Aufwand auf das kohlenstofffreie Gas umrüsten, so Habeck. Bei einer Leistung von jeweils 500 Megawatt könnten zwei solcher Turbinen ein Atomkraftwerk ersetzen. Wasserstoff lässt sich in nicht mehr benötigten Teilen des Erdgasnetzes zwischenlagern sowie transportieren. Das deutsche Gasnetz ist mit einer Länge von 511 000 Kilometern der größte Energiespeicher des Landes. Mit neuen Verdichtern kann es relativ einfach auf den günstigen Transport von großen Wasserstoffmengen umgestellt werden.

Der Bundeswirtschaftsminister will die Pläne zum Aufbau eines Hauptleitungsnetzes für Wasserstoff in Deutschland noch vor den Sommerferien vorlegen. Fragt sich nur, wer das alles bezahlen soll: "Die Netzbetreiber müssten jetzt für einen Stoff Leitungen bauen, der erst in fünf oder sechs Jahren in großer Menge kommen wird", so der Grünen-Politiker: "Sie müssen in Vorleistung treten."

Immerhin kann Norwegen als einer der Hauptlieferanten in der Zwischenzeit auch blauen Wasserstoff einspeisen. Das dekarbonisierte Gas wird zwar aus Erdgas gewonnen, das entstehende Kohlendioxid wird jedoch aufgefangen und unter der Erde zwischengespeichert. Bei der Erzeugung von synthetischen Kraftstoffen kann es weiterverwendet werden - aber auch diese Raffinerien für E-Fuels müssen erst noch gebaut werden.

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