VW-Abgas-Skandal:Baumarkt-Lösung für den Skandal-Motor

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  • VW hat eine Lösung präsentiert, wie sich das Problem um die Manipulations-Software bei Dieselmotoren lösen lässt.
  • Dabei handelt es sich um einen "Strömungstransformator" - eine Art Fliegengitter, das den Luftstrom vor dem Luftmassenmesser beruhigt.
  • Die schnelle Lösung wirft die Frage auf, warum die Technik nicht eingebaut wurde, bevor es zum Skandal kam.

Von Joachim Becker und Thomas Fromm, München

Es gibt Leute bei Volkswagen, die sagen, dass man mehr Zeit und Ruhe brauche, um all das aufzuklären, was in den vergangenen Jahren schief gelaufen ist. Das Problem ist nur: Nicht der große VW-Konzern entscheidet über Zeit und Ruhe, sondern andere, und deswegen läuft VW gerade die Zeit davon.

In Europa, wo die Kunden zügig wissen wollen, wie es mit ihren Diesel-Autos weitergeht. In den USA, wo die kalifornische Umweltbehörde Carb VW, Audi und Porsche nun eine Frist von 45 Geschäftstagen gesetzt hat, um einen konkreten Rückrufplan für die betroffenen Fahrzeuge mit 3,0-Liter-Dieselmotoren einzureichen. Denn der Konzern hatte eingeräumt, den US-Behörden seit 2009 Programme nicht offengelegt zu haben, von denen eines in den USA verboten ist. Sogar in Südkorea, wo Volkswagen wegen des Vorwurfs manipulierter Abgaswerte jetzt mehr als 125 000 Autos in die Werkstätten rufen muss. Bis Januar soll ein Rückrufplan vorliegen; eine hohe Geldstrafe steht bevor - und es ist nur eines von vielen Ländern.

Dazu kommen Probleme mit einer Software, die die Rückgewinnung von Energie zum Laden der Autobatterien steuert. Keine Betrugssoftware wie beim Diesel, aber immerhin: ein technisches Problem.

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Hätte sich VW das alles ersparen können?

Da dürfte es die Konzernoberen in Wolfsburg beruhigen, dass es zumindest hierzulande voran geht, dass zumindest das Kraftfahrt-Bundesamt grünes Licht gegeben hat: Zwar steht eine endgültige Freigabe noch aus, aber die Frage, was man mit über acht Millionen Diesel-Fahrzeugen mit 1,6- und 2,0-Liter-Motoren machen soll, ist schon mal geklärt - sie können von Anfang kommenden Jahres an in die Werkstätten gebracht werden. Preis der Aktion, nach vorläufigen Schätzungen: an die 500 Millionen Euro und damit wesentlich weniger als gedacht.

Und doch ist die Sache komplizierter, als es im Moment aussieht. Die Frage, die sich nun alle stellen, ist die: Vorausgesetzt, dass die Lösung am Ende klappt - warum kommt sie erst jetzt? Wenn es so einfach und so billig ist, warum dann die jahrelangen Manipulationen? Oder, anders gesagt: Hätte sich der größte Autokonzern Europas die größte Krise seiner Geschichte ersparen können, wenn er ein paar Euro mehr in eine wohl einfache Technologie investiert hätte?

Für die Nachrüstung der manipulierten Dieselmotoren mit 1,6 Litern Hubraum in Europa sollen ein Software-Update und ein kleines Plastikteil ausreichen, ein so genanntes Luftgleitgitter, eine Art Sieb, das von vorne eher wie eine Fliegenklatsche aussieht als wie ein modernes High-Tech-Gerät fürs Auto. Und doch soll dieser sogenannte "Strömungstransformator" endlich Ruhe in die aufgewirbelte VW-Situation bringen.

Das könnte klappen, denn hinter dem Fliegengitter sitzt ein hochmodernes Sensorgerät, eine Art Luftmassenmesser. Dieses Gerät liefert ein entscheidendes Steuerungssignal für den Motor. Die Kunst besteht darin: Dieselmotoren sollen weder zu viel Sprit, noch zu viel Frischluft bekommen, damit nicht zu viele Stickoxide austreten. Zu viel Sauerstoff heizt die Glut im Motor des Selbstzünders an - und so entstehen mehr der gefährlichen Stickoxide. Also bekommt der Selbstzünder - auch dank der Fliegenklatsche - eine strikte Frischluft-Diät.

Im ständig wechselnden Stadtverkehr ist das aber gar nicht so einfach, denn der Motor braucht immer wieder bis zu zwei Sekunden, um Frischluft, Kraftstoff und Abgase in das jeweils optimale Gleichgewicht zu bringen. Der Luftmassenmesser - also der Sensor hinter dem schwarzen Sieb - mischt die einströmende Frischluft und dosiert sie. Die VW-Lösung vom Mittwoch ist also eine Mischung aus Software, Sensorik und Fliegengitter. Geschätzte Arbeitszeit pro Motor: unter einer Stunde.

Klingt zwar alles sehr kompliziert, soll aber in der Praxis eben sehr einfach sein - und die Materialkosten bei zehn Euro liegen.

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Die Lösung könnte Nachteile haben

VW geht davon aus, dass die Autos nach der Umrüstung weder mehr Sprit verbrauchen noch langsamer fahren. Wahrscheinlicher ist, dass die ebenfalls überarbeitete Motorsteuerung das Beschleunigen in Zukunft schwieriger macht. "Der Preis wird nun sein, dass man die Leistungen der Motoren herunterfahren wird oder den Verbrauch erhöht", sagt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen. "Damit werden nicht mehr alle Kundenversprechen eingehalten werden können." Die Frage, so Dudenhöffer, sei allerdings, "ob der Kunde das überhaupt merkt".

Ob die Umrüstung die Autos verändert, wird man also erst noch sehen. Eine andere Frage aber ist derzeit wichtiger: Warum kommt man ausgerechnet jetzt auf die Lösung? Mit dem kleinen Plastikbauteil alleine sei es ja noch nicht getan, sagt ein Sprecher. "Da gehört noch eine Menge neuer Software mit dazu, etwa eine Strömungssimulation für den Lufteinlass." Und: Vor zehn Jahren habe man "diese Technologie noch nicht gehabt".

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Das Fliegengitter hilft in Europa, nicht in den USA

Vor zehn Jahren vielleicht noch nicht, aber - vielleicht - vor zwei oder drei Jahren? Die Diskussion darüber, heißt es bei VW, sei müßig - denn da habe man ja noch nichts von den Manipulationen gewusst. Nun stimmt das zwar einerseits. Andererseits aber geht es im Zuge der Suche nach den Verantwortlichen auch um die Frage, wer wann von den illegalen Diesel-Manipulationen gewusst haben könnte. Zumindest irgendjemand im Konzern hätte vielleicht auf die Lösung kommen können - wenn er es denn wirklich gewollt hätte.

So oder so hat VW auch nach der Erfindung des Fliegengitters noch große Probleme vor sich. Die Lösung, die nun für die über acht Millionen Dieselautos in Europa auf dem Tisch liegt, kommt nicht für die USA in Frage. Hier, wo der Skandal Mitte September bekannt wurde, gelten wesentlich strengere Stickoxid-Grenzwerte als in Europa. Die Strafen, die hier im Raum stehen, könnten sich auf 18 Milliarden Dollar belaufen. Dazu kämen wohl unzählige Schadenersatzforderungen.

Ausgestanden ist die Affäre mit der jetzigen Lösung also noch längst nicht. Die Suche nach Lösungen geht weiter. Vor allem muss das wichtigste Rätsel noch gelöst werden: Wie konnte es dazu kommen, das VW so viele Jahre lang manipulierte Diesel-Motoren verkaufen konnte, wenn man jetzt, in wenigen Wochen, offenbar eine gangbare Lösung gefunden hat?

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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