Eine Fahrt zum Kunden, die Strecke führt über die Autobahn. Eigentlich Routine für Klaus Gerlach (Name von der Redaktion geändert). Doch diesmal verläuft alles anders. "Erst fing mein linkes Handgelenk an zu kribbeln, als ob es einschlafen würde", sagt er. Kurz danach folgt das Bein. Gerlach wird immer unruhiger, er hält an einer Raststätte. "Ich dachte: Vielleicht bin ich unterzuckert." Er isst etwas und fährt weiter. Doch es dauert nicht lange, bis das Kribbeln wieder anfängt. Dann wird auch sein Atem schneller, er hyperventiliert. Fürchtet, in Ohnmacht zu fallen. So kann er nicht weiterfahren. "Ich hielt auf dem Standstreifen an und rief einen Krankenwagen," erinnert sich Gerlach.
Bei verschiedenen Ärzten lässt sich der 56-Jährige danach durchchecken, das Herz-Kreislauf-System, auch die Augen. Keine Auffälligkeiten. Als er das nächste Mal auf eine Autobahn fährt, kehren die Erscheinungen zurück. Genau wie bei der darauffolgenden Fahrt. Und der nächsten. Irgendwann meidet er Autobahnen, fährt nur noch in der Stadt und auf Landstraßen oder lässt sich von seiner Ehefrau oder einem Freund mitnehmen. Er schränkt sich und seine Mobilität ein, verzichtet auf ein Stück Lebensqualität. "Ich habe gemerkt: Das nimmt mir enorm viel. Da wusste ich, dass ich etwas tun muss, und habe professionelle Hilfe in Anspruch genommen."
Etwa eine Million Betroffene
So wie Klaus Gerlach geht es inzwischen vielen am Steuer. Darüber, wie viele genau unter solchen Panikattacken leiden, gehen die Schätzungen allerdings auseinander. Die Dunkelziffer ist hoch. Der ADAC geht von etwa einer Million Betroffene aus. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Menschen, die dem Autofahren grundsätzlich ängstlich begegnen. Auch Gerlach ist ein routinierter Fahrer. "Das sind Leute, die sind früher so gerne Auto gefahren wie Sie und ich. Die auch gerne flott unterwegs waren", sagt Alexandra Bärike, die Autofahrer mit Panikattacken therapiert. Fast die Hälfte sind Männer.
Die Kölnerin ist ausgebildete Fahrlehrerin und hat zudem Studiengänge in Philosophie und Psychologie abgeschlossen. Seit etwa elf Jahren betreut sie Menschen psychologisch, die sich nicht mehr trauen, zu überholen, durch Tunnel oder über Autobahnbrücken zu fahren. Die Autobahnen und Schnellstraßen meiden, weil sie fürchten, dass sie auf der nächsten Fahrt wieder die Angst heimsuchen könnte. Die über Monate oder Jahre alle möglichen Ärzte aufgesucht haben, in der Hoffnung, es gebe einen Befund über ein körperliches Problem, das behandelt werden kann. Oder zumindest ein Medikament, das Abhilfe schafft. Doch nur selten hat die Schulmedizin eine Lösung für die Angst vor der Angst parat.
Nicht der Verkehr löst die Angst aus
Was die Therapie für Psychologen schwierig macht: Die Angst erwächst meist nicht aus einem traumatischen Erlebnis im Straßenverkehr - einer gefährlichen Verkehrssituation, einem Lastwagen, der plötzlich ausschert, oder einem Drängler, der unvermittelt im Rückspiegel auftaucht. "Die wirklichen Ursachen liegen in starken privaten oder beruflichen, hin und wieder auch gekoppelten, Stresssituationen. Manchmal auch in einer Vorstufe des Burn-out", sagt Bärike. Wenn sich diese Probleme und der Stress beim Fahren addieren, könne das zu einer Panikattacke am Steuer führen.
Wer sich an Alexandra Bärike wendet, hat solche Situationen schon öfter durchgemacht. Manch einer lebt seit Wochen mit seinen Angstzuständen, andere quälen sich seit vielen Jahren damit. Um die Blockade zu lösen, therapiert Bärike stufenweise - auch im Fall Gerlach. Es beginnt mit einem Vorgespräch. "Ich habe mich zu ihr ins Auto gesetzt", sagt er. "Erst ist sie gefahren, und ich saß daneben. Mein erster Eindruck: Meine Güte, die Frau textet dich zu!"