Elektro-SUV Nio ES8 aus China:Beinahe konkurrenzfähig

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Neuer Wettbewerber aus China: Der vollelektrische Nio ES8 soll bis zum Jahr 2021 auch in Europa auf den Markt kommen - zu Kampfpreisen. (Foto: Nio)

Der Nio ES8 fährt sich besser als mancher Premium-Stromer aus Deutschland. Doch es bleiben noch Fragen offen.

Von Max Hägler und Christina Kunkel

Das also kommt heraus, wenn ein Auto in den USA programmiert, in München designt und in China gebaut wird: ein Schiff! Nüchtern betrachtet hat der Nio ES8 fast exakt die gleichen Maße wie der auch schon überdimensionierte Audi Q7. Aber er wirkt noch wuchtiger, und so ist auch in der Autostadt München das Geschau groß bei einer ausgiebigen Testfahrt: Was bitte ist das, und wieso sind da hinten chinesische Schriftzeichen auf der Heckklappe?

Der Nio ist einer der ersten in Serie produzierten Belege dafür, dass auch Firmen mit Hauptsitz in Fernost viel zu große Wagen mit Stromantrieb in sehr ordentlicher Qualität bauen können. Wobei das vielleicht auch ein bisschen daran liegt, dass der Wagen einige bayerische Wurzeln hat: In München arbeitet das Design-Team. Und auch unter der Hülle unterscheidet sich das chinesische SUV in vielerlei Hinsicht nicht von BMW, Audi oder Mercedes. Die Lenkung kommt von Thyssen, das Fahrwerk von Continental, die Sensorik von Bosch, die Elektromotoren von Hofer und die Bremsen von Brembo - alles Teile, die in gleicher oder ähnlicher Form auch in Autos aus deutscher Produktion verbaut sind. Aus eigener Entwicklung kommen die Systemintegration und die Software.

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Bislang hieß es, chinesische Autos seien in Sachen Qualität und Fahreigenschaften nur billige Kopien deutscher Premiumwagen. Aber zumindest in Sachen Verarbeitung gibt es im SZ-Testwagen nichts zu meckern. Und beim Ranking eines westlichen Branchendienstes liegt Nio auf Platz eins der Kundenzufriedenheit, trotz eines Rückrufs jüngst wegen brandgefährlicher Batterien. Vielleicht liegt das auch an der Bequemlichkeit. Wer den Wagen öffnet mittels der ausfahrbaren Griffe, der sieht fast schon verschwenderisch bemessenen Platz für den Beifahrer. Der Massage-Ledersessel lässt sich zum Liegesitz ausfahren samt ausklappbarer Bein- und Fußstützen. In der Mitte des Armaturenbretts gibt es ein großes Touchdisplay, das an Teslas Model S erinnert. Darüber blickt "Nomi" den Fahrer an. Eigentlich ist das nur ein Sprachassistent, den Nio ein bisschen lustiger gestaltet hat: Das "Gesicht" der virtuellen Helferin sitzt in einer drehbaren Halbkugel und reagiert auf "Hey Nomi" - also ähnlich wie Alexa, Siri oder die Assistenten bei BMW oder Mercedes.

Wenn Nomi sich in Richtung der Person dreht, die sie angesprochen hat, und dabei mit ihren virtuellen Augen zwinkert, fühlt man sich aber doch mehr beobachtet, als wenn man einfach nur fragt: "Hey Mercedes, wie ist das Wetter in Hamburg?" Zumal, wenn man im Nio die Selfie-Funktion aktiviert hat und sich dann auf dem Monitor sieht. Fotos, Sprachdaten und Bewegungsdaten auf chinesischen Servern - das dürfte das größte Hindernis bei einer Markteinführung im Westen werden.

Wie gut Nios Sprachassistenz im Vergleich zur deutschen Konkurrenz funktioniert, ist leider noch nicht zu beurteilen: In den wenigen Autos, die im Moment in Deutschland getestet werden können, ist die komplette Bedienung auf Mandarin. Das gilt auch für das Menü im Touchscreen, so dass auch dort beim Test noch einige Funktionen unentdeckt blieben. Der TÜV hatte im Zuge der Einzelzulassung zudem angeordnet, dass die Fahrassistenzsysteme deaktiviert bleiben.

Doch die Wahrheit liegt natürlich auf der Straße. Und dort macht sich das chinesische SUV erstaunlich gut. Zwei Elektromotoren treiben den Zweieinhalb-Tonnen-Koloss mit 650 PS nach vorne. Das maximale Drehmoment liegt bei 840 Newtonmeter. Im Klartext: In 4,4 Sekunden geht es lautlos von null auf hundert, es presst einen ordentlich in den Sitz, dagegen kommt einem der Audi E-Tron sehr behäbig vor. Dass Lenkung und Fahrwerk eher komfortabel abgestimmt sind, ist dem chinesischen Markt geschuldet. Dennoch wankt der Nio nicht so stark in den Kurven wie der E-Tron. Auch die Bremsen packen anstandslos zu - und das alles zu einem Preis von umgerechnet 59 000 Euro inklusive einer langen Sonderausstattungsliste. Zum Vergleich: Ein ähnlich ausgestatteter E-Tron oder Jaguar I-Pace kratzt schnell an der 100 000-Euro-Marke. In puncto Stromverbrauch darf man sich bei einem Elektro-SUV keine Illusionen machen. Um die 30 kWh auf 100 Kilometer sind bei etwas zügiger Fahrt realistisch, die reale Reichweite des 70-kWh-Akkus liegt dann irgendwo um die 270 Kilometer.

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Wann Nio seine Autos auch in Deutschland anbieten wird, steht noch nicht fest. Vermutlich nicht vor 2021, auch wenn das Management um Gründer William Li und sein München-Statthalter Hui Zhang den großen Wunsch haben, es möglichst bald nach Europa zu bringen: Es wäre gut für den Nationalstolz - und für den Absatz der bei einem Auftragsfertiger in China zusammengebauten Autos. Denn der ist momentan noch bescheiden. Nur etwa 1000 Wagen des Modells ES8 und des etwas kleineren ES6 pro Monat kann die junge Firma Nio derzeit in der Heimat absetzen, ein Fünftel der geplanten Menge. Ähnlich wie Tesla kämpft man deshalb ums Geld: Der Börsengang vor einem Jahr spülte zwar eine Milliarde Dollar in die Kassen, doch seitdem ist der Kurs um die Hälfte eingebrochen, von 9000 Mitarbeitern wurden in diesem Jahr 2000 entlassen. Als Begründung gab Gründer Li zuletzt an, der chinesische Automarkt sei generell schwach, was stimmt. Zur Wahrheit gehört aber wohl auch, dass der Markenauftritt von Nio nicht immer mit der professionellen Technik mithalten kann. Und auch wenn die chinesische Staatsführung verordnet hat, dass ihr Land eine Elektroauto-Nation wird - wenn sie wählen können, kaufen die Bürger lieber einen Verbrenner. Und am allerliebsten einen von den Deutschen. VW ist der größte Hersteller in China.

In Deutschland könnte sich das eigentlich umgekehrt entwickeln angesichts des vielen Blechs zu dem vergleichsweise kleinen Preis. Doch es gilt nicht nur die Sprachbarriere zu lösen und die ungeklärten Fragen des Datenschutzes. Sondern auch sehr essenzielle Energiefragen: In China lädt es sich mit anderen Standards, anderen Kabeln. Der Nio lässt sich deshalb derzeit nur mit Wechselstrom laden.

Der Testwagen wurde der Redaktion vom Hersteller zur Verfügung gestellt.

© SZ vom 24.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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