Neue Motorentechnologien:Wie Diesel sauberer werden sollen

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Ein typisches Bild: Bei einem Durchschnittsalter von neun Jahren sind viele Selbstzünder bei der Abgasnachbehandlung veraltet. (Foto: dpa)
  • In Praxistests zeigt sich immer wieder, dass der Schadstoffausstoß von Dieselfahrzeugen in der Realität deutlich höher ist als auf dem Papier.
  • Dennoch ist der Selbstzünder aufgrund seiner geringen Verbrauchswerte auch in Zukunft unverzichtbar, damit die Autohersteller die strengen CO₂-Grenzwerte einhalten.
  • Bessere Technologien sollen Dieselmotoren sparsamer und sauberer machen, werden aber auch für höhere Preise sorgen.

Von Joachim Becker

Paris, London, Stuttgart - überall herrscht dicke Luft. Smog ist nicht nur ein chinesisches Problem, auch in vielen europäischen Metropolen verfärbt er den Himmel graubraun. Nachdem der Eiffelturm vergangenes Frühjahr erneut in einer Dunstsoße verschwamm, platzte der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo der Kragen. Schon bald könnten Durchgangsstraßen wie die Champs Élysées oder die Rue de Rivoli für schmutzige Dieselfahrzeuge gesperrt werden. Für 2020 plant Hidalgo ein generelles Verbot von Selbstzündern in der Seine-Metropole.

London will stinkende Diesel, die vor 2006 gebaut wurden, demnächst mit einer doppelt so hohen City Maut wie normale Personenwagen belegen. Auch Stuttgart plant die fünfte Stufe der Umweltzone ohne ältere Selbstzünder. Von 2019 an könnte die Einfahrt nur noch mit einer blauen Plakette für Euro-6-Fahrzeuge erlaubt sein. Allein in den fünf Landkreisen der Region und in der Stadt Stuttgart wären davon rund eine halbe Million Dieselfahrzeuge betroffen.

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Diesel sind ideale Sündenböcke

Wäre eine Welt ohne Diesel besser? "Dieser pauschale Vorwurf ist offen gesagt Unsinn. Wer den modernen Diesel verteufelt, schadet dem Klimaschutz", widerspricht Heinz-Jakob Neußer. Nicht nur der VW-Entwicklungsvorstand reagiert gereizt auf die Sündenbockrolle: Ohne den sparsamen Antrieb wird keine Marke in fünf Jahren das strenge europäische CO₂-Limit von 95g/km schaffen. "Die heutigen hocheffizenten Dieselantriebe sind wesentlich dafür, dass wir die Verbrauchsziele erreichen können", gibt Neußer zu. Gäbe es den Selbstzünder nicht, würden neue Personenwagen im Durchschnitt zehn Prozent oder 13 Gramm mehr CO₂ pro Kilometer ausstoßen, rechnet der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) vor. Deshalb läuft die Entwicklung allen Unkenrufen zum Trotz mit Hochdruck weiter.

Keine Frage, alte Stinker womöglich ohne Partikelfilter sind in der Innenstadt untragbar - das bestreitet niemand. Die aktuelle Diskussion entzündet sich an der Frage, wie sauber moderne Dieselfahrzeuge sind. Vom 1. September 2015 an ist die Euro-6-Norm verbindlich. Dann dürfen alle Diesel-Neuwagen nur noch 80 Milligramm Stickoxide (NOx) pro Kilometer ausstoßen - weniger als halb so viel als nach der bisherigen EU-5-Regelung.

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Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Doch Studien aus dem realen Fahrbetrieb zeigen immer wieder, dass auch Euro-6-Diesel keine Umweltengel sind. Im Praxistest der britischen Sunday Times verfehlten vor Kurzem 25 von 29 neuen Selbstzündern die zulässigen Grenzwerte. "Die Einrichtung von Umweltzonen reicht nicht", kritisiert Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, "Lkw und immer mehr Diesel-Pkw haben zwar auf dem Papier relativ geringe Stickstoffdioxid-Werte, tatsächlich aber sind der Spritverbrauch und Schadstoffausstoß viel höher als angegeben."

Auf dem Papier liegen die NOx-Emissionen von Diesel-Neuwagen heute um 84 Prozent niedriger als vor 15 Jahren. Trotzdem ist die Luftqualität nicht besser geworden, warnt das Umweltbundesamt (UBA) in seinen jüngsten Daten zu Umwelt: "Seit dem Jahr 2000 ist in Deutschland trotz kontinuierlich verminderter Emissionen keine eindeutige Verringerung der Belastung durch die gesundheitsrelevanten Schadstoffe Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon mehr erkennbar." Deshalb hat die EU-Kommission die Bundesregierung dringend ermahnt und droht nun sogar mit rechtlichen Schritten.

Nicht weniger kritisch ist die Lage allerdings beim Klimagas CO₂: Heute wird im Straßenverkehr mehr davon ausgestoßen als noch vor 20 Jahren. Da kommt der ständig steigende Dieselanteil gerade recht: 2003 hatten nur 17 Prozent aller Pkw einen Selbstzünder an Bord, 2013 waren es nahezu doppelt so viel. Heute wird fast jeder zweite Neuwagen mit dem Effizienzmotor ausgeliefert. Der verbraucht auch in der Praxis rund 20 Prozent weniger Sprit, weil die Energiedichte von Diesel höher ist als die von Benzin. Außerdem verträgt der Selbstzünder ein höheres Verdichtungsverhältnis, kommt ohne energiezehrende Drosselklappe aus und verbrennt über ein breites Drehzahlband mit hohem Luftüberschuss, also mager.

Der größte Vorteil des Diesels ist aber zugleich sein größter Nachteil. Das harte Nageln kündet ebenso von der fröhlichen Selbstzündung wie die hohen Emissionen. Wenn die Gemischbildung nicht optimal läuft, verbrennen beim Gasgeben relativ große Sprittropfen im Zylinder. In diesen fetten Zonen bildet sich Ruß und bei Temperaturen jenseits von 1000 Grad Celsius nehmen die Stickoxide rapide zu.

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Neuwagen sind heute im Schnitt 14 PS stärker als noch 2005. Das hat folgenschwere Auswirkungen auf Spritverbrauch und CO₂-Ausstoß.

Partikelfilter sind so effizient wie nie

Für eine zeitgemäße Abgasnachbehandlung sei das alles kein Hindernis, meint Michael Krüger: "Dank der aktuellen Filter hat der Diesel kein Problem mit Partikeln mehr", so der oberste Dieselentwickler bei Bosch. Im Pariser Innenstadtviertel La Garenne stoße er beispielsweise weniger Partikel aus, als er aus der Umgebungsluft ansauge. Moderne Filter arbeiten mit einem Effizienzgrad von mehr als 95 Prozent und fischen auch kleinste Nanopartikel aus dem Abgas. Deutschlandweit werden nur noch ein Prozent der Partikelemissionen durch Diesel-Pkw verursacht. Der Abrieb von Reifen und Bremsklötzen trägt dreimal so stark zur Luftbelastung durch Feinstaub bei.

Auch gegen die NOx-Emissionen gehen die Entwickler vor: "In Zukunft werden wir statt einer Vor- und Haupteinspritzung eine ganze Reihe solcher Ereignisse haben", so Michael Krüger, "das Einspritzdiagramm sieht dann aus wie eine Alpenkette mit vielen Spitzen." Digital Rate Shaping nennen Fachleute diese Möglichkeit, den brummigen Diesel zum Tanzen zu bringen. Clou des neuen Verfahrens: Das explosive Treckernageln nimmt deutlich ab und die Verbrennung wird durch die Vielfacheinspritzungen so genau gesteuert, dass weniger Rohemissionen entstehen. Wenn dann noch die Abgase mit einem aktiven Harnstoff-System behandelt werden, bleiben sie selbst beim künftigen EU-Abgastest (Real Driving Emissions, RDE) unter den Grenzwerten.

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Diesel werden sauberer, effizienter - und teurer

Bisher setzen viele Autohersteller die billigeren, passiven Denox-Systeme ein, deren Edelmetall-Katalysatoren bei höherer Last unzureichend sind. Sobald die EU- Kommission (voraussichtlich ab 2018) die portable RDE-Messtechnik zum Prüfstandard macht, werden auch mittlere Fahrzeuge nicht um das Brummi-Additiv AdBlue herumkommen. Das mache die Abgasnachbehandlung zwar um bis zu 60 Prozent teurer, so Krüger, bringe den Diesel aber sowohl bei Stadt- als auch Überlandfahrten aus der Schusslinie. Dann kann der Selbstzünder seine Stärken voll ausspielen: "Allein durch die Optimierung des Luftpfades reden wird über eine weitere Verbrauchssenkung von vier Prozent", so Krüger.

Zusammen mit 48-Volt-Systemen könne der Diesel sogar zweistellige Verbrauchseinsparungen einfahren. Continental stellt auf der IAA im September ein entsprechendes Fahrzeug vor, das zusätzliche Verbrauchsvorteile von 7 bis 9 Prozent verspricht. Bereits im nächsten Jahr soll das Diesel Eco Drive System mit der leichten Hybridisierung in Serie gehen.

Hat der Effizienzmotor also eine Zukunft? Der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking war sich 2004 noch ganz sicher: "Dieselmotoren sind in unseren Augen keine zukunftsfähige Antriebstechnologie." Heute wird das Porsche-Erfolgsmodell Macan zu einem Viertel als V6-Diesel verkauft. Hitverdächtig ist auch ein Vierzylinder-Hochdrehzahlmotor der nächsten Generation, den Heinz-Jakob Neußer auf dem Wiener Motorensymposium 2015 angekündigt hat: Der Zweiliter-Diesel soll mit einem elektrischen Booster, 3000 bar Einspritzdruck und einem "ottomotorischen Drehzahlband" auf eine verblüffende Leistung von 221 kW (300 PS) kommen. Auch das Drehmoment von 600 Nm kann einem Sechszylinder locker Paroli bieten. Die Literleistung von mehr als 100 kW wäre der nächste Rekord für den einstmals lahmen und lauten Selbstzünder.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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