Es war am Donnerstagabend in Kiel-Gaarden, als aus einem ganz normalen Unfall wieder mal ein Spektakel wurde, ein Schauspiel, bei dem die allgemeine Sensationsgier die Helfer fast in den Wahnsinn trieb. An einer Kreuzung waren zwei Autos zusammengestoßen, ein 17-Jähriger erlitt schwere Verletzungen, drei andere Menschen kamen mit leichteren Blessuren davon. Doch Polizei und Sanitäter konnten sich nur mit Mühe zum Unfallort vorkämpfen: Etwa 150 Schaulustige verhinderten den schnellen Abtransport der Verletzten.
Ein außergewöhnlicher Vorfall? Leider nein. Offenbar wird das Problem mit den Gaffern auf deutschen Straßen sogar schlimmer - trotz vielfacher Appelle, in solchen Situationen den Helfern den Vortritt zu lassen und Rettungsarbeiten nicht zu behindern. Immerhin gibt es nun Hoffnung, dass man die Schaulustigen künftig rein physisch auf Abstand halten kann: mit einer mobilen Gaffer-Wand.
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In den Niederlanden schon im Einsatz
Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek stellt den Sichtschutz am Freitag der Öffentlichkeit vor. Je 40 Wände stehen auf den Ladeflächen der Laster im Hof der Autobahnmeisterei Kaarst nahe Düsseldorf. Sie sind etwas größer als Pingpong-Platten; in jedem Stahlrahmen, zwei Meter hoch, 2,50 Meter breit, ist eine dunkelgrüne Kunststoffplane gespannt. Solche Wände sind in den Niederlanden seit einiger Zeit im Einsatz. Nach einer Testphase liefert Nordrhein-Westfalen die Teile nun in zwölf Lastern an die Autobahnmeistereien des Bundeslandes. Sie sollen das 2200 Kilometer lange Autobahnnetz des Landes abdecken.
In Kaarst haben sie eine simulierte Unfallstelle aufgebaut. Ein Laster mit Stellwänden fährt vor, drei Männer in neonorangenen Anzügen bauen Stück für Stück die Wand auf. Die Stahlfüße, auf die Teilstücke aufgesteckt werden, kann ein Mann mit beiden Händen tragen, für die Wände selbst braucht es zwei Leute. Die grüne Fläche wächst, nach sieben Minuten haben die Männer 15 Wände aufgebaut: alles blickdicht.
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"Ein Stück Würde für die Opfer"
Kommen Polizisten an einen Unfallort, sollen sie entscheiden, ob die Wände nötig sind. Als Richtlinie soll gelten: Wenn der Einsatz länger als zwei Stunden dauern könnte, soll der Sichtschutz angefordert werden. Neben den Unfallstellen gilt dann Tempo 60, damit vorbeifahrende Autos keinen Geschwindigkeitssog erzeugen, der die Wände umwirft.
Das "Projekt Sichtschutz" ist nach Auffassung von Experten vor allem deshalb nötig geworden, weil viele Gaffer mit ihren Smartphones hantieren. Verkehrsminister Groschek sagt: "Die Wände sollen auch ein Spiegel sein für diejenigen, die denken, es gäbe ein Recht auf ein Selfie mit Unfallopfern. Wir geben den Opfern mit diesen Sichtschutzwänden ein Stück Würde zurück." Meist dürften die Planen nahe des Mittelstreifens stehen: "Bei jedem größeren Unfall haben wir einen zusätzlichen Stau auf der Gegenfahrbahn." Auch volkswirtschaftlich soll sich der Sichtschutz rechnen. Zwar kosteten die Wände 470 000 Euro - die der Bund bezahlt. Aber Staus, die von Gaffern verursacht werden, und daraus folgende Auffahrunfälle seien noch teurer.
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Gaffer - eine Belastung in Notsituationen
Es gibt aber auch Kritik an den Wänden: Sie schützen zum Beispiel nicht gegen die Blicke von LKW-Fahrern, die höher als zwei Meter sitzen. Und der Deutsche Journalisten-Verband mahnte schon an, die Polizei müsse sicherstellen, dass die Presse trotz Sichtschutz Unfallstellen einsehen könne.
Schon lange beklagten sich Einsatzkräfte über Sensationslust am Unfallort. Gaffer seien für alle Beteiligten eine psychische und logistische Belastung in Notsituationen. Das Gesetz kennt den Begriff "Gaffer" nicht, bisher ist das keine strafbare Handlung. Einige juristische Mittel gibt es zwar, mit Schaulustigen umzugehen. Sie hängen aber stark vom verfügbaren Personal ab. Die Polizei kann Platzverweise an einer Unfallstelle verteilen. Wer beim Fahren mit dem Handy einen Unfall fotografiert, kann ebenso bestraft werden wie derjenige, der ohne Freisprechanlage telefoniert: Das ist dann eine Ordnungswidrigkeit. Und wer auf der Autobahn extrem langsam fährt, um einen Unfall zu betrachten, wird nicht fürs Glotzen bestraft, sondern weil er den Verkehr behindert.