Mercedes SLS E-Cell: Erste Ausfahrt:Rasen mit S-Bahn-Sound

Der Smart Elektro war nur der Anfang. 2013 bringt Mercedes seinen Supersportwagen SLS als E-Cell in einer Kleinserie - mit rund 200 Kilometern Reichweite und S-Bahn-Sound.

Stefan Grundhoff

Es ist früher Nachmittag in Kristiansund, einem kleinen Nest in West-Norwegen. Die Sonne scheint, die roten Häuser verzücken den Blick genauso wie die Mischung aus grünen Hügeln und dem seicht plätschernden Atlantik.

In Kristiansund interessieren sich die Leute kaum für Autos - und schon gar nicht für Sportwagen. Am kleinen Flugfeld, von dem Monteure Tag für Tag mit blau-roten Sikorsky-Hubschraubern Richtung Bohrinseln zu ihren Montageschichten aufbrechen, stehen Toyota Camrys, Opel Astras oder 3er BMWs.

Einen Mercedes SLS hat hier noch nie jemand in Natura gesehen - schon gar nicht in neongelb. Die Anwohner haben sich an den Anblick dieses grellen Papagei schnell gewöhnt, doch das Aufsehen bleibt groß. Norwegen sieht sich zwar als Ökostaat und versorgt sich selbst gerne mit Ökostrom aus Wasserkraft, ist jedoch einer der größten Erdölexporteure und sichert sich damit seit Jahren seine wirtschaftliche Unabhängigkeit. Für die langen Distanzen und die großen Temperaturschwankungen eignet sich ein Elektroauto hier kaum, argwöhnt einer der neugierigen Zuschauer. Er hat nicht ganz unrecht.

Der grell-gelber Mercedes SLS passt hier ungefähr genauso gut hin wie eine Elefantenherde in einen norwegischen Fjord und vermutlich sind bis dato genau so viele SLS hier unterwegs gewesen. Man denkt im Grund nur an die fast völlig intakte Natur, an ein paar skandinavische Midsommartage und ein wenig auch an den nächsten Vollgasstoß.

Denn: Der Elektro-SLS gibt zwar kaum mehr als ein Surren von sich, springt aber sofort nach dem Start los und presst den Fahrer in den wenig stimmig kolorierten Sportsitz. Tempo 50, 100, 150 und schließlich 200 - die Tachonadel fliegt vorbei: Kurz fällt bei der elektrischen Vollgasorgie auf, dass im Armaturenbrett gar kein Tourenzähler arbeitet. Wo sonst rechts der Drehzahlmesser glänzt, zeigt nun eine Digitalinstrument Kraftfluss und Restkapazität des 450 Kilogramm schweren Akkupakets. Die nächste Beschleunigung, ab Tempo null. Unglaublich, wie der E-Cell loslegt. Ein leichtes Surren und dann gibt es auf dem Flugfeld kein Halten mehr.

Das elegant sportliche Cockpit des Mercedes SLS ist bei der E-Cell-Version kaum wiederzuerkennen. Es gibt keine Tachonadel, sondern eine Tachoscheibe, die sich dreht und den gewaltigen Vortrieb des über zwei Tonnen schweren Boliden visuell unterstreicht.

Eine Mittelkonsole wie ein iPad

Noch eindrucksvoller ist die Mittelkonsole, die von einem in iPad-Form gestalteten Großdisplay mit Touchscreen dominiert wird. Klimatisierung, Radio, Festplattenspieler oder Navigation, alles sieht perfekt aus und unterstreicht, dass der Mercedes SLS E-Cell an sich bereit für den Serienanlauf scheint. Auch außen sieht der Schwabensportler absehen von der polarisierenden Lackierung kaum anders als ein Serienfahrzeug aus. Die Heckschürze wird von keinen Endrohren gerahmt. Kein Wunder - kein Verbrenner - keine Abgase.

Doch Kai Marten aus dem AMG-Vorstand dämpft die Erwartungen, die nach jedem Kilometer größer werden. "Weil bei der Gesamtkonzeption des Fahrzeugs schon eine Elektroversion mitgedacht wurde, hatten wir einen Vorsprung. Doch es gibt in der nächsten Zeit für uns noch genug zu tun, ehe der SLS E-Cell serienreif ist."

Während Audi seinen Elektroflitzer e-tron bereits für 2012 angekündigt, will Mercedes 2013 seine Powerflunder in einer Kleinserie auf den Markt bringen. Mit dem Preis von 180.000 Euro für den gewöhnlichen SLS wird es dabei nicht getan sein. Der Preis dürfte sich für die ersten Modelle mindestens verdoppeln.

Vier Elektromotoren, nahe den einzelnen Rädern untergebracht, verleihen dem SLS E-Cell fast Flügel. Dabei kann der Prototyp aus Stuttgart sein mächtiges Eigengewicht von über zwei Tonnen nicht überspielen. In schnellen Kurven oder auch beim Spurt 0 auf Tempo 100 in unter fünf Sekunden macht sich das Leergewicht allemal bemerkbar. Schließlich bringt der E-Cell gut 300 Kilogramm mehr als der Benziner auf die Waage.

Die Lithium-Ionen-Akkus allein wiegen 450 Kilogramm und sind im Mitteltunnel, im Vorderwagen und hinter den Sitzen untergebracht. Sie werden von Kokam, einem Batteriespezialisten aus Korea zugeliefert.

Mit dem Sound einer beschleunigenden S-Bahn

Der elektrische Allradantrieb und der niedrige Schwerpunkt steigern die Fahrfreude immens. "Im Vergleich zum normalen SLS liegt der Schwerpunkt des E-Cell nochmals um 23 Millimeter tiefer", erklärt Jan Feustel, bei AMG für den elektrischen SLS zuständig. ABS, ESP und weitere Regelsysteme sind an Bord und funktionieren ebenso prächtig wie die neu konzipierte Vorderachse mit den Push-Rod-Dämpfern.

Die Vorgaben des benzinbetriebenen SLS sind mit 571 PS und 317 km/h Spitze hoch. Die vier Elektromodule des E-Cell leisten bereits 392 KW / 533 PS und stellen das gigantische Drehmoment von 880 Nm bereit. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 km/h. "Das erwarten die Kunden von AMG. Wir sind eine Performance-Marke. Daher soll der SLS E-Cell auch so schnell sein wie unsere anderen Modelle", sagt Kai Marten.

Wie sehr das hohe Tempo die avisierten 200 Kilometer Mindestreichweite angreift, muss sich nach Hochgeschwindigkeitsfahrten auf deutschen Autobahnen zeigen. Hier an der norwegischen Atlantikstraße kann der SLS E-Cell in jeder Form begeistern. Der Vortrieb ist in allen vier Fahrprogrammen mächtig - das Fahrverhalten exzellent.

Besonders in den Modi Sport Plus und Manuell gibt es kein Halten mehr, wenn die Maximalleistung abgerufen wird. In den Fahrprogrammen Comfort und Sport stellt der E-Cell 40 bis 60 Prozent seiner Leistung zur Verfügung. Nach über 80 Kilometern flotter bis schneller Fahrt auf der Landstraße zwischen Kristiansund und Bud zeigt der Bordcomputer noch knapp 50 Prozent Restkapazität für den Akkupack an. Bei längeren Abfahrten an Brücken oder hinunter zur Unterführung des südlichen Kristiansund-Fjords kann der Fahrer über die Schaltpaddel am Steuer aktiv einstellen, wie viel Energie er über die Bremsenergie-Rekuperation zurückgewinnen will.

Am Thema Ladezeit müssen die Entwickler von AMG noch arbeiten. "Ist der Akku leer, kann der Ladevorgang schon acht Stunden dauern", so Jan Feustel, "die ersten 60 Prozent gehen vergleichsweise schnell. Danach wird es zäh. Mit Starkstrom von 400 Volt funktioniert das Ganze natürlich deutlich flotter."

Zudem geht es um den Motorsound. "Das Einspielen von akustischem Motorsound kommt für uns nicht in Frage", wirft Kai Marten ein, "der Wagen muss auf jedem Fall elektronisch klingen." Momentan erinnert der gut gedämpfte Sound jedoch nach wie vor an eine beschleunigende S-Bahn.

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