Firmen ohne Gleisanschluss:Abgehängt vom Transport auf der Schiene

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Neufahrzeuge warten am Bahnhof des VW-Werks in Wolfsburg auf den Abtransport. 2017 lag der Anteil der Schiene im Güterverkehr bei lediglich 18,6 Prozent. (Foto: Jochen Lübke/dpa)

Der Güterverkehr soll weg von der Straße und hin auf die Gleise. Doch viele Firmen haben ihren eigenen Anschluss an die Bahnstrecken längst verloren.

Von Marco Völklein

Seit etwas mehr als sieben Jahren versucht Peter Heinke die Schienenanbindung seiner Firma zu verbessern. Und er scheitert regelmäßig daran. Der Leiter der Standortlogistik des Chemiekonzerns Dow in Schkopau bei Leipzig wollte eigentlich nur eine zusätzliche Anbindung des Werks an das neue Rangierzentrum der Deutschen Bahn (DB) in Halle realisieren, um die "Leistungsfähigkeit zu erhöhen", wie er sagt. Drei Weichen, etwas mehr als hundert Meter Gleis - eigentlich keine große Sache. Doch über viele Jahre kam das Projekt Nordanbindung kaum voran. Mittlerweile ist Heinke gemäßigt optimistisch: "Wenn alles klappt, dann haben wir im Jahr 2020 den zusätzlichen Anschluss."

Das, was Logistiker Heinke berichtet, sei kein Einzelfall, so der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Immer wieder versuchten Betriebe, Güter auf die Schiene zu verlagern und dazu einen eigenen Gleisanschluss zu errichten, der es ihnen ermöglicht, Güterwaggons vom Firmengelände ins öffentliche Schienennetz zu lenken. Und scheiterten dann an zahlreichen Hürden - seien es technische, juristische oder finanzielle. Und nicht nur der Bau neuer Gleisanschlüsse stockt; auch die Zahl bestehender Firmenanbindungen ging zuletzt stark zurück: Laut VDV existieren aktuell noch etwa 2000 Zugänge für Firmen zum Schienennetz, die Bundesnetzagentur listet 1600 auf.

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Eine VDV-Statistik aus dem Jahr 1997 kam damals auf bundesweit 10 000. Zwar werden die meisten Güter auf der Schiene heutzutage im Kombinierten Verkehr (KV) transportiert, also von Containerterminal zu Containerterminal, von wo aus die Weiterverteilung meist per Lkw stattfindet - dennoch würden viele Firmen auch gerne direkt auf ihrem Gelände auf die Bahn verladen, heißt es aus Branchenverbänden. Doch der Schwund bei den Gleisanschlüssen erschwere das. Die Gründe für den Schwund sind so vielfältig wie die Hürden, gegen die Logistiker wie Heinke beim Bau neuer Anlagen zu kämpfen haben. Da ist etwa der Preis- und Zeitdruck in der Transportbranche, der viele Firmen dazu bewog, Güter statt auf der Schiene auf der (oft günstigeren und meist flexibleren) Straße zu bewegen. Wo aber bestehende Anlagen kaum noch genutzt wurden, wurde deren Unterhalt unrentabel. Nach und nach wurden immer mehr Betriebe vom Gleisnetz abgehängt. Laut Branchenkennern kam so eine "Abwärtsspirale" in Gang, die bis heute anhält.

Der Chemikaliengroßhändler Häffner in Asperg bei Ludwigsburg ist so ein Fall. Dessen Ladegleis wurde seit den Zwanzigerjahren über ein kommunal betriebenes Industriegleis angefahren, über das auch benachbarte Firmen beliefert wurden. Während Häffner weiter Güter per Bahn bekam, verabschiedeten sich die Nachbarn nach und nach von der Schiene. Vor einigen Jahren dann, sagt Logistikleiter Ralf Nieß, forderten die Stadt und die Deutsche Bahn den Chemiehändler als nun einzigen verbliebenen Nutzer auf, für den Unterhalt der Anlagen aufzukommen - andernfalls werde man die Bedienung einstellen. Weil sich das für den Mittelständler nicht rechnete, starb der Gleisanschluss. Seither fahren etwa 1500 zusätzliche Lkw die Firma in Asperg über die Straße an.

Es sei daher höchste Zeit, sagt VDV-Vizepräsident Joachim Berends, die Abwärtsspirale zu stoppen: "Wir dürfen beim Güterverkehr nicht länger nur über Verlagerung von der Straße auf die Schiene reden, sondern müssen diese unter anderem durch mehr Gleisanschlüsse auch tatsächlich möglich machen." 2017 lag der Anteil der Schiene im Güterverkehr bei 18,6 Prozent, der des Lkw über 70 Prozent. Um die Relationen zu verändern, hatte kurz vor der Bundestagswahl 2017 der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) den "Masterplan Schienengüterverkehr" aufgelegt. Der sieht neben günstigeren Trassenpreisen für Güterzüge auch eine stärkere Förderung von Gleisanschlüssen vor. Doch mehr Geld alleine dürfte kaum helfen: Denn seit 2004 fördert der Bund den Bau finanziell. Doch von den 14 Millionen Euro, die der Bundestag pro Jahr zur Verfügung stellt, wurden 2017 nur 4,1 Millionen Euro abgerufen.

Weniger Bürokratie und mehr Investitionen ins Schienensystem

Das liege vor allem an der Bürokratie, die viele Bahn-affine Firmen abschrecke, sagen Praktiker. Dow-Logistiker Heinke etwa musste sich für seine Nordanbindung gleich mit mehreren Behörden ins Benehmen setzen, die zudem unterschiedliche technische Maßstäbe anlegten: Da war zum einen das Eisenbahnbundesamt für die Einbindung der neuen Gleise in das öffentliche Schienennetz zuständig, zum anderen eine Landesbehörde für den Anschluss an das werksseitige Netz. Zwischenzeitlich drohte das Projekt zu scheitern, weil die Kosten auch aufgrund der komplizierten Gemengelage von einst 470 000 Euro auf mehr als 1,7 Millionen Euro zu explodieren drohten. Erschwerend kam hinzu, und auch das berichten viele Praktiker, dass die Strukturen und Zuständigkeiten bei der DB nicht gerade transparent und nutzerfreundlich zu nennen sind.

"Bürokratie abbauen" steht daher weit oben auf einer Liste mit Verbesserungsvorschlägen, die der VDV mit anderen Wirtschaftsverbänden derzeit erarbeitet. Die "Gleisanschluss-Charta" soll im Frühjahr vorliegen und den politischen Druck weiter erhöhen. In ihr werden voraussichtlich weitere Maßnahmen gefordert, etwa geänderte Förderrichtlinien, um Firmen nicht nur beim Neubau, sondern auch beim Unterhalt bestehender Gleisanschlüsse zu helfen. Sinnvoll wäre aus Sicht der Verbände zudem, wenn Kommunen ihre Gleisanlagen erhalten würden, statt diese beispielsweise für den Wohnungsbau zu nutzen. Auch sollten Planer neue Gewerbeflächen von Anfang an ans Gleisnetz anbinden.

Und nicht zuletzt müsse mehr Geld ins Gesamtsystem Schiene fließen, also in zusätzliche Rangier-, Abstell- oder Überholgleise sowie in die Elektrifizierung und Reaktivierung von Zulaufstrecken. Da ist die Branche mittlerweile zuversichtlich: "Noch nie enthielt eine Koalitionsvereinbarung so viele schienenfreundliche Passagen wie die aktuelle", urteilt die "Allianz pro Schiene", in der sich unter anderem Verkehrsverbände und Eisenbahner-Gewerkschaften engagieren. Politik und Bahnbranche seien "im Machermodus". Selbst beim seit Jahren vom Netz abgehängten Chemiehändler Häffner will man mittlerweile ein Umdenken in vielen Köpfen ausgemacht haben. "Der Druck auf die Straßen hier im Großraum Stuttgart ist so immens", sagt Nieß, "heute würden alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, dass wir den Gleisanschluss behalten."

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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