Volvo galt lange als Kultmarke, war beliebt bei seinen Kunden, weil die Skandinavier für Korrektheit standen wie die deutschen Hersteller und doch oft sympathischer, weniger besserwisserisch wirkten. Saab für den anspruchsvollen Akademiker, Volvo für die anspruchsvolle Familie - so ging das über Jahrzehnte. Bis die Technologien in den Autos zu teuer wurden: Die Nischenmarke Saab konnte das nicht mehr stemmen, wurde abgewickelt. Volvo schien es genauso zu ergehen. Geely sprang ein und holte bald Samuelsson an die Volvo-Spitze, einen Mann, der zu dem Zeitpunkt selbst in einer Krise steckte.
In den Jahren zuvor hatte Samuelsson in München den Lastwagenbauer MAN aus der Lethargie geholt, das Geschäft verbessert, den Leuten ihren Stolz zurückgegeben und zeitweise sogar versucht, den Rivalen Scania zu übernehmen, für den er zuvor 23 Jahre lang gearbeitet hatte. Doch er konnte den Erfolg nicht lange feiern, die Übernahme scheiterte, Scania und MAN wurden stattdessen von VW übernommen. Und dann kam auch noch die Staatsanwaltschaft wegen eines Schmiergeldskandals im Vertrieb. Weil er es sich auch noch mit dem damaligen Patriarchen Ferdinand Piëch verscherzt hatte, musste Samuelsson gehen. Er war zu kantig damals. Die Wohnung in München behielt er übrigens noch lange. Er mag diese Stadt, hat Freunde hier, hat sich an Schweinebraten und Tatort-Schauen gewöhnt. Es schien damals sein Karriereende zu sein. Er hatte zwar noch ein paar Aufsichtsratsmandate, aber plötzlich viel Zeit, um Oldtimer zu fahren. Samuelsson zeigt ein Foto auf seinem Handy, ein gelber 1800er von 1967 steht da vor einem roten Sommerhaus. So schön das auch ist - der Ruhestand war nichts für ihn.
Der ganz besondere Blick: ein Volvo XC90 mit dem markanten, hammerförmigen Tagfahrlicht.
(Foto: Volvo)Nun hat er seinen Vertrag bei Volvo gerade für zwei weitere Jahre verlängert. Elektroautos überall, das ist der Plan, der in Göteborg einigermaßen absurd wirkt. Ungefähr alle in der Stadt fahren Volvos, die meisten offenbar mit Dieselmotoren an Bord, man riecht und hört es in diesen kühlen Tagen. Das ist wie in Stuttgart mit Mercedes. Und es ist ein Thema, bei dem der freundliche Herr Samuelsson ins Schlingern gerät. Der Manager, der trotz seiner hageren Erscheinung etwas Gemütliches hat, brummt dann zwischen den Sätzen noch lauter: Mhmmm. Mhhmmmm.
Aber man muss darüber reden: Auch Volvos sind auf der Straße mitunter weit schmutziger als am Prüfstand, sind in der Vergangenheit bei Abgastests negativ aufgefallen. "Wir haben immer und stets alle Gesetze eingehalten, da gibt es kein Zweifeln!", sagt Samuelsson. Aber, ja, er wolle nicht bestreiten, dass die alten Dieselmodelle nicht so gut waren. Die jetzigen seien besser. Aber nun sei Schluss: "Der Diesel wird sehr, sehr komplex, wenn er sehr sauber sein soll." Komplex heißt teuer. Zu teuer für Volvo, diesen kleinen Hersteller. Volvo hat gar keine andere Wahl, als die Entwicklung einer Antriebsart aufzugeben. 1,6 Milliarden US-Dollar hat das Unternehmen 2016 in Forschung und Entwicklung gesteckt. Bei BMW waren es fünf Milliarden Euro. Das ist der Grund, wieso sich die Schweden auf Hybrid-Wagen konzentrieren und auf Elektro. Jedenfalls sofern die Verbraucher mitziehen. Auch da scheint Samuelsson flexibel zu bleiben: "Wenn sich etwas ändert in der Neigung der Kunden, dann entwickeln und verkaufen wir auch weiterhin Diesel-Motoren. Wir werden nicht am Bedarf vorbeibauen!"
Als man die Fabrik besichtigt, baut Volvo gerade mal nichts. Die Produktionsanlage ist verwaist, kein Mensch zu sehen an den Bändern. Die Monitore mit den Produktionszielen leuchten rot: Ziel nicht erfüllt. In deutschen Fabriken wäre nun Großalarm. In Schweden ist man entspannter. Ein technischer Defekt, erklärt die Unternehmenssprecherin, deswegen geht es nicht weiter. Sie findet das nicht weiter tragisch, ist sowieso gleich Mittagspause. Gewöhnlich arbeiten hier 6500 Leute in drei Schichten. Aber noch nicht an rein elektrisch betriebenen Autos. Und doch will Samuelsson bis zum Jahr 2025 eine Million davon verkaufen.
War das Bekenntnis zum E-Auto am Ende nur ein PR-Coup? Und wie viel hat es damit zu tun, dass China die Hersteller nun zum Bau einer Mindestzahl von E-Autos verpflichtet? Der Chef und Gründer der Geely Gruppe, Li Shufu, gilt als gut vernetzt, ist einer der reichsten Männer Chinas, das als wichtigster Zukunftsmarkt für alternative Antriebe gilt. "Nein, das war Zufall", sagt Samuelsson, "für uns ist es eine strategische Entscheidung." Herr Li hat also nie um einen Elektro-Volvo gebeten, von denen Samuelsson bis 2021 sogar fünf bauen möchte? "Nein", sagt Samuelsson.
Der erste Volvo lief vor 90 Jahren vom Band. Im Unternehmen hängen Fotos von Menschen, die ihren Wagen eigenhändig in Göteborg abgeholt haben. Volvos bescheidene Art, sich selbst zu feiern. Und doch zeigt sich spätestens am Hafen, wem die Zukunft gehört. Nahe der Marina, wo schöne Segelboote für Ausfahrten in die Schären vertäut sind, haben sie Lagergebäude aus Backstein hergerichtet, an vielen steht "CEVT", China Euro Vehicle Technology.
Es ist die Gemeinschaftsunternehmung, in der Geely Technik für alle Tochterfirmen bündeln will. Auch Lynk & Co sitzt hier, eine Geely-Automarke, die man bald auch in Europa kaufen kann. Das ist dann die Fortführung der interkontinentalen Zusammenarbeit: Eine von CEVT gemeinsam entwickelte Plattform. Viel Technik von Volvo. Dazu ein eigenes Design. Gebaut wird das Ganze in China - und mit einem neuen Geschäftsmodell vertrieben: Die Lynk-Autos lassen sich per Flatrate im Internet mieten, ohne Autohaus. Mit Volvo muss Samuelsson jetzt nicht nur schnell ein paar Elektroautos entwickeln. Er hat auch andere Dinge versprochen, etwa, dass ab 2020 kein Mensch mehr in einem neuen Volvo ums Leben kommt. Auf Twitter hat der Volvo-Chef letzthin das Foto eines völlig gecrashten Autos gepostet: Ein brasilianischer Volvo-Besitzer habe mit seinem XC60 zwei Kühe erwischt. Der offenbar weitgehend unverletzte Fahrer wolle sich, schrieb Samuelsson weiter, sogleich einen neuen Volvo kaufen. Soll heißen: Ein solch sicheres Auto. Und ein so bequemes.
Skandinavier könnten sich schneller bewegen, schneller Dinge verändern
In Zukunft soll ein Volvo dem Fahrer sogar eine Woche Lebenszeit pro Jahr einsparen. Zum Beispiel, weil die Wagen angeblich von 2021 an selbst fahren können, zumindest auf Überlandstrecken, die in Schweden besonders lang und ruhig sind. 2021 - dann werde er wahrscheinlich Aufsichtsratsprotokolle im Auto lesen, sagt Samuelsson, und dabei Chain Smokers hören. Oder Coldplay. Für Abba hat der Schwede nichts übrig. Um dem Volvo das Selbstfahren beizubringen, haben sie ihn kürzlich nach Australien geschickt. In Schweden läuft einem höchstens mal ein Rentier vors Auto. Mit hüpfenden Kängurus hatte der Wagen dann auch Probleme. "Das ist eine ganz entscheidende Technologie: Objektidentifikation", sagt Samuelsson. "Wenn die Maschine noch nie ein Känguru gesehen hat, wird es schwierig." Neugierig sein und lernen sollen auch seine Leute. Er habe von den Deutschen gelernt, auf Details und Qualität zu achten. Von den Schweden hat er die Flexibilität. Skandinavier könnten sich schneller bewegen, schneller Dinge verändern: "Wenn wir miteinander reden, ist das weniger komplex." Das sei bei solch "interkontinentalen Angelegenheiten" vielleicht hilfreich. Er sei ein Chef, sagt Samuelsson, der seinen Mitarbeitern nichts vorschreiben, sondern sie überzeugen will im Sinne der schwedischen Konsensverliebtheit. Durchgreifen? "Völlige Zeitverschwendung", sagt er. "Wenn ich sagen würde: 'So wird es gemacht', hieße es später auf dem Korridor: 'Der ist doch verrückt'."
Dort auf den Korridor hängt Samuelsson jede Montag einen neuen Spruch auf. "Detail makes the difference" steht da gerade, eine Erinnerung an die deutsche Gründlichkeit. Vielleicht auch eine subtile Botschaft an die Mitarbeiter? Überzeugungsarbeit ist mühsam. Da fällt ihm gleich der Spruch für nächste Woche ein: "Never give up", niemals aufgeben.
Man darf annehmen, dass er auch einmal so etwas wie "Stur bleiben" aufhängt. Wenn die Zeit dafür wieder gekommen ist.