Elektromobilität:Die verspätete Revolution der deutschen Autoindustrie

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Porsche will 2019 einen Elektro-Sportler mit 600 PS Leistung, 500 Kilometer Reichweite und 15 Minuten Schnellladezeit auf den Markt bringen. (Foto: Porsche)

Elektrisch, vernetzt, autonom: Mercedes, Audi, Porsche und VW wollen das Auto neu erfinden. Geld verdient mit den Stromern aber bisher kein Hersteller.

Von Joachim Becker

Der Diesel war sein liebstes Kind. In seiner aktiven Zeit pilgerte Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch wöchentlich zu seinen hoch geschätzten Motorenentwicklern. Von Batterieautos wollte er nicht viel wissen, berichten Insider. Jetzt spekuliert sein Nachfolger an der Spitze des Volkswagen-Konzerns über das Ende des Selbstzünders und den Neustart mit digitalen, emissionsfreien Produkten: "Wichtig ist mir, dass wir in Zukunft nicht zu spät auf Themen aufspringen, sondern künftig die Nase wieder vorne haben", sagt Matthias Müller. Daimler-Chef Dieter Zetsche kündigte eine neue Submarke für Mercedes-Modelle mit Elektroantrieb an: "Daimler wird sich in den nächsten zehn Jahren radikal zu einem anderen Unternehmen entwickeln", sagte er diese Woche in Berlin. Kommt jetzt die deutsche Energiewende auf der Straße?

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Die Erfinder des Autos stellen ihr Allerheiligstes in Frage. Lange Zeit galt der Diesel als Allheilmittel für die Ertrags- und Umweltbilanz. Noch immer stecken die deutschen Hersteller mehr als die Hälfte ihrer Forschungs- und Entwicklungsausgaben (F&E) in Wärmekraftmaschinen. Bei Tesla fließen dagegen nur 30 Prozent des F&E-Etats in den Elektroantrieb, der Rest steht zum großen Teil für digitale Innovationen zur Verfügung. Doch in der alten Welt verkaufen sich Diesel weiterhin prächtig. Nur jedes 300. Auto in Deutschland fährt elektrisch. Nichts deutet darauf hin, dass sich das schlagartig ändern wird.

Trotzdem setzt der frühere Porsche-Chef Müller auf einen radikalen Kurswandel: "Wir bauen den Konzern zu einem führenden Anbieter von nachhaltiger Mobilität um." Bis 2025 will der Volkswagen-Konzern mehr als 30 vollelektrische Modelle auf den Markt bringen: "2025 werden wir zwischen zwei und drei Millionen Elektrofahrzeuge pro Jahr verkaufen", so Müller. Das ist ein Viertel des geplanten Gesamtabsatzes. Um die Komplexität zu reduzieren, wird die Zahl der Baukästen von zwölf auf vier im Konzern reduziert: Sportwagen, Luxusfahrzeuge, Volumenmodelle und Economy - also billige Einsteigerautos. Bis auf Letztere sind in allen Baukästen Elektro-Antriebsarchitekturen eingeplant, die jetzt vorrangig neu entwickelt werden. Bisher werden Elektroantriebe auf ein bestehendes Modell aufgepfropft. Der große Motorraum, der Mitteltunnel für die Abgasanlage und das ganze Crash-Konzept passen aber hinten und vorne nicht. Die Batterien werden zerstückelt und in jede freie Lücke gezwängt. Das ist ähnlich sinnvoll, als ob man Kraftstoff in 50 Terpentinflaschen über das Auto verteilen würde.

Das Tesla Model S und der BMW i3 haben vorgemacht, wie elektrisierend Stromer sein können, die von Grund auf neu entwickelt wurden. Doch das wirtschaftliche Risiko ist groß - siehe Teslas Batteriefabrik in Nevada oder die Karbonfertigung für den BMW i3 in Leipzig. "Niemand verdient heute mit Elektrofahrzeugen Geld - schon gar nicht der Hersteller, der uns immer als leuchtendes Vorbild genannt wird", so Thomas Weber mit einem Seitenhieb auf Tesla. Hohe Stückzahlen sollen dem Mercedes-Entwicklungsvorstand zufolge die Wende bringen. "Bis 2020 wird Elektromobilität bei Daimler sechsstellig", kündigt er an, "allein in den kommenden beiden Jahren investieren wir 5,4 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung grüner Pkw-Technologien." Bis 2025 soll die Flotte zu je einem Drittel rein elektrisch, plug-in-hybridisch und konventionell inklusive 48-Volt-System angetrieben werden.

Was allerdings passiert, wenn alte Modelle bloß grün getüncht werden, zeigt der Mercedes GLC F-Cell. Der Hoffnungsträger für das Wasserstoffzeitalter wird auf der IAA 2017 stehen. Erstmals passen die Brennstoffzellen (Fuel Cell oder kurz F-Cell) samt Elektromotor in den Motorraum. Doch für alternative Energieträger ist zu wenig Platz. In den engen Fahrzeugboden passen lediglich zwei relativ kleine Zylinder für vier Kilogramm Wasserstoff. Auf 500 Kilometer Reichweite kommt das 4,66 Meter lange Crossover-Modell nur mit Nachhilfe einer Lithium-Ionen-Batterie unter der Rückbank: Neun Kilowattstunden (kWh) bringen 50 zusätzliche Kilometer. Doch der zweite Energiespeicher treibt das Gewicht und die Kosten des Plug-in-Hybrids in die Höhe. Kein Wunder, dass Mercedes nur mit einem vierstelligen Gesamtabsatz für den GLC F-Cell rechnet: Eine Revolution sieht anders aus.

Auch nach 20 Jahren und Milliardeninvestitionen in die Entwicklung von Brennstoffzellen finden die Stuttgarter kein passendes Auto für ihren alternativen Antrieb. Erst eine komplett neue Plattform mit Flachbodenspeicher wird ab 2019 genug Bauraum für Batterien oder Wasserstoffflaschen schaffen. Mit 700 Kilometern Reichweite bei fünf Minuten Tankzeit kommt der emissionsfreie Antrieb damit auf Schlagdistanz zu den Verbrennern. Gravierende Handicaps bleiben die hohen Kosten für rund 40 Gramm Platin in den Brennstoffzellen und die fehlende Tankstellen-Infrastruktur. Reine Batteriefahrzeuge holen dagegen bei der Reichweite und beim Schnellladen auf. Tesla hat als Erster ein eigenes Netz von Superchargern installiert. Jetzt rollen die europäischen Hersteller das Combined Charging System (CCS) als neuen Industriestandard aus. Über 1000 Schnellladeplätze gibt es in Europa bereits. Bis 2017 sollen in Deutschland 400 neue CCS-Ladestationen an Autobahnen und in Metropolen hinzukommen.

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Derzeit werden die Schnellladesäulen mit einer Leistung von 50 kW betrieben. Damit dauert es 21 Minuten, um Energie für 100 Kilometer nachzuladen - langstreckentauglich ist das nicht. Der geplante Ausbau auf bis zu 350 kW Ladeleistung lässt die Tankzeit für diese Strecke auf vier Minuten schrumpfen. Theoretisch jedenfalls. Denn für dieses extreme Schnellladen ist dieselbe Anschlussleistung wie für ein eigenes Stadtviertel nötig - plus eine spezielle Leistungselektronik, um mehrere Ladestellen zu steuern. Außerdem müsste der Ladestecker gekühlt werden. Nur so lässt sich die volle Leistung dauerhaft übertragen, ohne die Pins thermisch zu überlasten. Im Auto liegt das Limit derzeit bei 200 kW Ladeleistung: "Das entspricht der Verlustleistung wie bei einer schnellen Autobahnfahrt, sonst wird die Batterie zu heiß", weiß Otmar Bitsche, Porsches Leiter Elektromobilität. Doch das extreme Schnellladen bleibt ein Elektroschock für die Batterie: Wenn irgendetwas schiefgeht, nimmt sie Schaden.

Wasserstoff als bessere Alternative?

Trotz der aktuellen Elektro-Euphorie ist noch nicht ausgemacht, ob Wasserstoff nicht die bessere Alternative für Langstrecken ist. Audi, BMW und Mercedes arbeiten intensiv am Thema Brennstoffzelle. Auch deshalb, weil das Warten auf eine echte Batterienrevolution weitergeht. Momentan verbessert sich die Leistungsdichte von Lithium-Ionen-Akkus um zehn bis 20 Prozent pro Jahr. Die Batteriefabriken können entsprechend mehr Output liefern und die Preise senken: "Die Herausforderung besteht darin, Elektrofahrzeuge kosteneffizienter zu machen als konventionelle Antriebe", sagt Geun-Chang Chung, Leiter der Auto-Batterieentwicklung bei LG Chem. Als einer der Weltmarktführer will das südkoreanische Chemieunternehmen den Preis für Lithium-Ionen-Zellen auf 100 Euro pro Kilowattstunde bis zum Jahr 2022 senken: "Das ist eine 40-Prozent-Verbesserung für unsere Firma gegenüber heute." Mitte des nächsten Jahrzehnts wird das Potenzial der Lithium-Ionen-Technologie voraussichtlich ausgereizt sein. "Neue Zelltechnologien brauchen länger, als es die meisten Menschen erwarten - mindestens zehn Jahre", warnte der Batteriespezialist kürzlich auf dem Kongress für Automobilelektronik in Ludwigsburg.

Aufholen heißt für die Stromer also noch lange nicht Überholen. Doch die Autohersteller haben keine andere Wahl: "Wir sind auf die Elektromobilität angewiesen, weil es mit Verbrennungsmotoren zunehmend teurer wird, die Grenzwerte zu erreichen", sagt Matthias Müller. Momentan liegen die durchschnittlichen Flottenemissionen in Europa bei 120 Gramm CO₂ pro Kilometer. In fünf Jahren müssen es 25 g/km weniger sein. Ohne eine schrittweise Elektrifizierung ist ein Normverbrauch von 4,1 Litern Benzin beziehungsweise 3,6 Litern Diesel pro 100 Kilometer nicht zu schaffen. Teuer werden auch die Partikelfilter für alle Benzindirekteinspritzer, die Mercedes und die Volkswagen-Konzernmarken für 2017 angekündigt haben. Von der immer aufwendigeren Abgasreinigung für Dieselmotoren gar nicht zu reden.

Der Spagat zwischen der alten und neuen Antriebswelt bindet also viel Kapital. Geld, das für die Neuerfindung des Autos an anderer Stelle gebraucht würde. Im Herbst will Mercedes als Vorbote seiner Modell-Offensive eine Studie mit 500 Kilometer elektrischer Reichweite auf der Automesse in Paris zeigen. Highlight ist das hoch automatisierte Fahren. Wer kann sich so ein Roboterauto von morgen schon mit dem Antrieb von gestern vorstellen?

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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