Öffentlicher Nahverkehr:Bitte helfen Sie mir

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Vorwärts mit dem Rollator rein, rückwärts wieder raus: Viele Verkehrsbetriebe, hier die KVB in Köln, bieten Kurse für Senioren an. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Wegen des demografischen Wandels werden künftig deutlich mehr Senioren in Bussen und Bahnen fahren als bislang. Die Anbieter müssen sich darauf vorbereiten - nicht nur mit anderen Fahrzeugen.

Von Marco Völklein

Natürlich hat der Hersteller in das Vorführfahrzeug alles eingebaut, was der Ausstattungskatalog so hergibt, auch die zahlreichen Smartphone-Ladebuchsen. Das ist zwar schön für die Fahrgäste, die nun überall im Bus ihre Handys laden können. Doch Hermann Koch wird bei seiner nächsten Busbestellung auf die Anschlüsse zumindest im vorderen Teil des Busses verzichten. "Dann setzen sich die Teenies nach hinten", hofft der Fuhrparkleiter des Busbetreibers Regionalverkehr Allgäu (RVA) in Füssen. "Und halten vorne die Plätze frei für die Älteren."

Denn Senioren finden dort, im vorderen Bereich des Busses, speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Plätze. Einige Sitze wurden auf Podeste gebaut, sodass sich der Fahrgast, wenn er sich setzen möchte, quasi mit dem Hintern nur ein wenig eindrehen muss. Und, wichtiger noch, das Aufstehen von diesem erhöhten Sitzplatz geht deutlich leichter vonstatten als von einem tiefer montierten Sessel. "Easy-Bus" nennt der Hersteller Iveco dieses Fahrzeug, das vor allem Senioren und Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, das Leben erleichtern soll.

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Wer den Bus betritt, dem fallen die breiten, gelben Markierungen am Boden auf. "Die erleichtern die Orientierung", sagt Fuhrparkleiter Koch. Sie leiten zu den Seniorensitzen und zu zwei speziell für Menschen mit Rollatoren ausgestatteten Plätzen. Dort können die ihre Gehhilfe relativ sicher parken - und sich dann auf ihren Rollator draufsetzen. "Tests haben gezeigt", sagt Koch, "dass die Leute sich gerne auf ihre Rollatoren setzen." Entwickelt wurde der Easy-Bus zusammen mit Wissenschaftlern des Hochschule Fresenius in Idstein im Taunus und der Regionalbustochter der Deutschen Bahn (DB), zu der auch der RVA-Betrieb in Füssen gehört.

Die Fresenius-Leute haben auch darauf geachtet, dass in der Mitte des Fahrzeugs, also auf Höhe der zweiten Tür, eine weitere, große Aufstellfläche eingeplant wurde, auf der Rollstühle oder elektrische Krankenfahrstühle (auch "Senioren-Scooter" genannt) abgestellt werden können. Der Raum ist zudem so groß, dass diese Scooter dort gut hineinrangiert werden können. An beiden Bustüren führen zudem ausklappbare Rampen nach draußen, die vordere Tür ist deutlich breiter als die in einem Standard-Überland-Linienbus. Und der Durchgang auf Höhe der vorderen Achse ist so breit, dass man auch dort mit einem Rollator problemlos durchpasst.

Zwei Easy-Busse hat Koch mittlerweile im Einsatz, vier weitere will er im kommenden Jahr beschaffen. Die sollen dann ältere Hochflur-Busse ersetzen, bei denen die Fahrgäste noch über Stufen ins Innere klettern müssen. "Die Gesellschaft wird älter", sagt Koch, "darauf müssen wir uns als Nahverkehrsbetreiber einstellen." Hinzu kommt, dass der Landkreis Ostallgäu, in dem seine Busse überwiegend unterwegs sind, die Belange von Bürgern mit Mobilitätseinschränkungen stärker in den Fokus rückt. So sind die Bauämter in der Region seit Kurzem bemüht, die Bushalte nach und nach mit sogenannten Hochborden auszustatten, sodass ein barrierefreier Zustieg möglich ist. Schaltet der Busfahrer dann noch beim Stopp die "Kneeling"-Funktion zu (das heißt, der Bus geht ein wenig in die Knie), "braucht man keine Rampe mehr", sagt Koch.

Aber nicht nur in Füssen stellt sich die Nahverkehrsbranche auf die Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft ein. Auch die Fahrzeugbeschaffer in anderen Regionen schauen mittlerweile, dass sie zumindest Busse und Bahnen bestellen, die mit größeren "Multifunktionsflächen" ausgestattet sind - also Flächen, auf denen Rollatoren und Rollstühle, aber auch Kinderwägen, E-Scooter oder Klappräder Platz finden. "Der Bedarf dafür steigt stetig", sagt Hartmut Reinberg-Schüller vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Mittlerweile werden in Deutschland mehr als zwei Millionen Rollatoren bewegt, schätzt der Verband. "Tendenz stark steigend."

Alles so gelb hier: Die farblich hervorgehobenen Leitstreifen sollen im "Easy-Bus" von Iveco bei der Orientierung helfen. (Foto: Marco Völklein)

Außerdem bieten die Verkehrsbetriebe in Berlin, Köln, München und vielen anderen Städten meist in Zusammenarbeit mit örtlichen Einrichtungen zur Seniorenbetreuung spezielle Schulungen an, um den Betroffenen den Umgang zum Beispiel mit Rollatoren zu erleichtern. "Vorwärts rein in den Bus, aber rückwärts wieder raus", sagt Reinberg-Schüller - das sei beispielsweise eine Regel, die Rollator-Nutzern in solchen Kursen vermittelt werde.

Ein weiterer Aspekt, der in den Seminaren ausführlich behandelt wird, ist das System öffentlicher Nahverkehr als solches. Denn viele Ältere, sagt Reinberg-Schüller, müssten sich erst neu darauf einstellen. Viele seien mit dem Auto groß geworden, jahrzehntelang nur mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs gewesen. "Die müssen das Fahren mit Bussen und Bahnen zum Teil völlig neu lernen." Allein die Tarifsysteme sind ja in vielen Regionen nicht gerade trivial. Zudem muss man sich das Netz erschließen: Wo ist die nächste Haltestelle? Gehe ich nur 200 Meter zur nächsten Bus- oder vielleicht doch 600 Meter zur nächsten U-Bahnhaltestelle - komme dafür aber ohne Umstieg zum Ziel? Und auf welchem Weg fahre ich wieder zurück? Diese ganz alltäglichen Fragen versuche man in den Seminaren möglichst praxisnah zu klären, sagt der VDV-Fachmann.

Zumal einige Kommunen mittlerweile vermehrt Angebote unterbreiten, um Senioren, aber auch Menschen, die noch im Berufsleben stehen, zum Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr zu bewegen. In Aachen, Hannover oder Dortmund etwa spendierten die Verwaltungen für eine gewisse Zeit (meist ein bis drei Monate) eine kostenlose Netzkarte, wenn man den Führerschein abgab - und damit aufs eigene Auto verzichtete. In den oberbayerischen Landkreisen Miesbach, Weilheim-Schongau und Garmisch-Partenkirchen fahren seit 1. Dezember "Auto-Abstinenzler" ab 60 sogar drei Jahre lang gratis öffentlich.

Kritiker bemängeln indes, dass ein günstiges oder gar kostenloses Nahverkehrsangebot nur dann bei vielen Umsteigewilligen zieht, wenn gleichzeitig die Busse und Bahnen deutlich öfter und in einem möglichst regelmäßigen Takt verkehren. Gerade in ländlich geprägten Räumen ist das aber (noch) nicht gegeben, dort fahren Busse und Bahnen oft nur unregelmäßig, an Wochenenden mitunter gar nicht.

Zudem stoßen Rollstuhl- und Rollatorennutzer nach wie vor an Hürden - beispielsweise an Bahnhöfen, wo Aufzüge oder Rampen zu den Bahnsteigen fehlen oder nicht funktionieren. So ist allein in Baden-Württemberg, das ergab kürzlich eine Erhebung, jeder zweite Bahnhof nicht barrierefrei. Die Landesregierung hat deshalb nun zusammen mit dem Bund, der Deutschen Bahn und den Kommunen ein Modernisierungsprogramm aufgelegt. Bis 2029 sollen 430 Millionen Euro in diverse Bauprojekte im Ländle fließen.

In Füssen unterdessen dreht Busfahrer Dominik Raiser weiter mit dem Easy-Bus seine Runden. Mittlerweile, erzählt der 31-Jährige, erkennen viele Fahrgäste das Fahrzeug schon von Weitem, sprechen ihn auch darauf an, zumal die RVA-Leute außen am Bus auffällige Signets und Schriften angebracht haben. Mitunter muss er einige Fahrgäste sogar einbremsen: Übereifrige legen dann gerne mal selbst Hand an und wollen die Rampe ausklappen, sobald sie sehen, dass ein Senior zusteigen will. "Es ist natürlich gut, dass die Fahrgäste helfen wollen", sagt Raiser, "aber an vielen Haltestellen ist das gar nicht nötig."

© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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