Eisenbahn:Tunnel im Tunnel

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So sieht die Baustelle am Petersbergtunnel in Rheinland-Pfalz aktuell aus. (Foto: Völklein)

An der Mosel testet die Bahn eine neue Methode, um alte Eisenbahnröhren zu sanieren. Der Vorteil: Während der Bauzeit kann die Strecke zumindest teilweise befahren werden.

Von Marco Völklein

Nein, sagt Bodo Tauch, der Projektleiter für die Erneuerung des Petersbergtunnels an der wichtigen Bahntrasse zwischen Koblenz und Trier, eine komplette Sperrung der Strecke lasse sich leider nicht verhindern. Wenn die Arbeiter im November die schützende Einhausung aus dem Tunnel und das temporär verlegte Gleis entfernen, anschließend die neuen Schienen und Schwellen samt Oberbau verlegen, dann geht das gar nicht anders als mit einer Totalsperrung. Und dennoch versuchen Tauch und seine Leute, den Zugverkehr auf der Strecke möglichst lange aufrecht zu erhalten. "Nur vier Wochen", sagt Tauch, werde die Vollsperrung dauern. Und er sagt es mit einem gewissen Stolz. Denn ansonsten fahren weiterhin Züge durch den Petersbergtunnel, während dieser aufwendig erneuert wird. Möglich macht es eine spezielle Form des Bauens: die Tunnel-im-Tunnel-Methode.

Der Petersbergtunnel wurde 1879 in Betrieb genommen, ist also 140 Jahre alt. Die Innenwände wurden damals mit 60 bis 70 Zentimeter dickem Mauerwerk ausgekleidet. Das hielt viele Jahrzehnte, doch nun muss die Bahn die zweigleisige Röhre erneuern. Und das bedeutet nicht nur, dass die Außenwände neu verkleidet werden. "Das Bauwerk verliert damit den Bestandsschutz", sagt Tauch. Und das heißt unter anderem: Auf den Tunnel muss nun auch das aktuelle Regelwerk der Bahn angewendet werden. Um zum Beispiel einen liegen gebliebenen Zug evakuieren zu können, müssen nun links und rechts der Gleise Gehsteige angelegt werden. In der alten, engen Röhre wäre das schlicht nicht machbar gewesen, die Ingenieure müssen den Tunnel daher aufweiten, also mehr Platz schaffen für zusätzliche Einbauten.

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Das Problem ist nur: Auf der Moselstrecke zwischen Trier und Koblenz rollen in der Regel täglich mehr als 170 Züge; viele Personenzüge im Nahverkehr, aber noch mehr Güterzüge, die zum Beispiel Erze aus Nordfrankreich und Luxemburg abfahren. Eine Vollsperrung des Tunnels während der gut knapp dreijährigen Bauzeit hätte nicht nur zur Folge, dass sich viele Fahrgäste in Ersatzbussen durch die engen Schleifen des Moseltals quälen müssten, auch die Güterzüge müssten weite Umleitungswege fahren. Deshalb versuchten es die Ingenieure der Deutschen Bahn (DB) mit der Tunnel-im-Tunnel-Methode.

140 Züge passieren täglich die Baustelle. Bei einer Vollsperrung würde überhaupt nichts fahren

Dabei werden zunächst die beiden Gleise aus dem bestehenden Tunnel entfernt und ein neues Gleis in der Mitte verlegt. Um dieses bauen die Arbeiter dann eine sogenannte Einhausung, eine Röhre in der Röhre quasi. Der Vorteil: Im Raum zwischen dieser Einhausung und der bestehenden Tunnelwand können die Arbeiter werkeln, also etwa mittels Druckluftmeißel oder Sprengungen den Querschnitt des bestehenden Tunnels aufweiten - und zwar völlig getrennt vom parallel dazu laufenden Bahnbetrieb. Und auch wenn der Zugverkehr im Tunnel so nur noch über ein Gleis und mit Tempo 60 statt 80 Kilometern pro Stunde läuft, wickelt die Bahn dennoch laut Tauch so 140 Züge täglich auf der Strecke ab. Bei einer Vollsperrung würde gar nichts mehr fahren.

Das Arbeiten im Tunnel allerdings, also in dem verbliebenen Spalt zwischen temporärer Einhausung und alter Tunnelwand, darf man sich keinesfalls als besonders kommod vorstellen. Auf engstem Raum mussten sich die Arbeiter dort bewegen und das alte Mauerwerk sowie das Gestein dahinter aus dem Berg brechen. Um zwei Meter auf jeder Seite wurde der Tunnel so verbreitert, die Wände mit Beton verkleidet. Mit schmalen Spezialfahrzeugen wurde das Material in die Röhre gefahren.

Zumal im Petersbergtunnel eine weitere Besonderheit herrscht: Denn die Strecke Trier-Koblenz wurde in den Siebzigerjahren elektrifiziert; die Oberleitung, auf der 15 000 Volt Spannung liegen, musste in die Einhausung integriert werden. Auch das keine einfache Aufgabe, denn die Tunnel-im-Tunnel-Methode wurde bislang nur auf Diesellokstrecken ohne Oberleitung angewandt. Deshalb fertigte eine Spezialfirma die Einhausung im Petersbergtunnel zum Beispiel in weiten Teilen aus Holz, um Erdungsprobleme möglichst auszuschließen. Das wiederum rief Brandschützer auf den Plan: Die setzten durch, dass die Holzkonstruktion mit einer speziellen Brandschutzfarbe bepinselt und eine Löschwasserleitung im Tunnel verlegt wurde. Zudem installierten Techniker nur für die Zeit der Baustelle mehrere Videokameras, um eine mögliche Rauchentwicklung frühzeitig entdecken zu können.

Doch trotz des ganzen Aufwands zieht Projektleiter Tauch nach gut zweieinhalb Jahren Bauzeit ein positives Zwischenfazit. Die Sache mit der Oberleitung habe man gut in den Griff bekommen, auch ansonsten sei die Baustelle weitgehend nach Plan gelaufen. Tauch ist sich sicher, dass die DB künftig die Tunnel-im-Tunnel-Methode auch bei anderen erneuerungsbedürftigen Tunneln mit Oberleitung anwenden wird. Und nicht nur sie: "Die Kollegen in Österreich und der Schweiz", so Tauch, "schauen gespannt auf unsere Baustelle und warten auf unsere Erkenntnisse."

Zumal es künftig wichtiger wird, Bahnbaustellen ohne größere Einschränkungen für die Fahrgäste und die Betreiber von Güterzügen abzuwickeln. Über viele Jahrzehnte wurde das Schienennetz auf Verschleiß gefahren, die Politik pumpte zu wenig Geld in den Erhalt der bestehenden Infrastruktur. Der "Sanierungsstau", sagen Fachleute, ist immens, überall im Land müssen alte Tunnel oder bröckelnde Brücken dringend saniert oder gar durch Neubauten ersetzt werden. Viele dieser Bauwerke stammen - so wie der Petersbergtunnel an der Mosel - oft noch aus der Anfangszeit der Eisenbahn. Die Bundesregierung hat mittlerweile das Problem erkannt und stellt mehr Geld zur Verfügung, wenngleich Bahn-Gewerkschafter kritisieren, dass das noch zu wenig sei. Die DB indes erklärt, aktuell laufe das "größte Modernisierungsprogramm der Bahngeschichte". Die Schattenseite ist, dass die Zahl der Schienenbaustellen steigt. Viele Betreiber von Personen- wie Güterzügen stöhnen über Einschränkungen und Belastungen. Frachtkunden könnten auf die Straße ausweichen, befürchten manche; auch Fahrgäste könnten, einmal durch Baustellen vergrault, nur schwer wieder vom Auto zurück aufs Gleis geholt werden. Branchenvertreter fordern daher auch, öfter mal auf eine Vollsperrung zu verzichten und beispielsweise eine Behelfsbrücke zu errichten, wenn an einer wichtigen Überführung gebaut wird. "Beim Autobahnbau ist das gängige Praxis", sagt Peter Westenberger vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), einem Zusammenschluss mehrerer Güterbahnbetreiber. Auf der Schiene hingegen seien solche Behelfskonstruktionen oft noch die Ausnahme.

Bei der Sanierung des Petersbergtunnels indes schwenken die Arbeiter langsam auf die Zielgerade ein. Aktuell werden noch die letzten Tunnelwände betoniert, im November sollen während der dann vierwöchigen Vollsperrung die Einhausung entfernt und die endgültigen Schienenstränge verlegen werden, zudem wird die neue Oberleitung installiert. Anschließend stehen noch Test- und Abnahmefahrten an. Am 9. Dezember 2019, exakt um vier Uhr in der Früh, soll der reguläre Bahnbetrieb wieder laufen. "Dieser Termin steht", sagt Tauch, er sei den Bahnunternehmen, die auf der Strecke fahren, zugesagt. "Und wir werden ihn halten."

© SZ vom 27.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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