Hybridfahrzeug:Vom Seil auf die Straße

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Gondelkabine auf Fahrgestell: So stellt sich die Firma Leitner die Hybrid-Seilbahn ConnX vor. (Foto: Leitner)

Die Gondel wird zum autonomen Fahrzeug: Ein Südtiroler Unternehmen entwickelt einen Hybrid, der schweben und rollen kann - und will damit Verkehrsprobleme in Ballungszentren lösen.

Von Johanna Pfund

Einen Schönheitspreis wird dieses Gefährt vermutlich nicht gewinnen: Auf einem Gestell mit vier grobstolligen Rädern thront eine Gondelkabine, was dem Ganzen irgendwie die Anmutung eines alpinen Mars-Rovers verleiht. Aber wer weiß, vielleicht gewinnt das Ding ja mal einen Zukunftspreis. Denn das von der Südtiroler Seilbahn-Firma Leitner entwickelte Hybridfahrzeug "ConnX" will die Vorteile einer Seilbahn mit denen eines elektrisch betriebenen, autonomen Fahrzeugs verbinden - und auf diese Weise dabei helfen, urbane Verkehrsprobleme zu lösen. Irgendwann einmal. Denn derzeit, das geben auch die Entwickler bei Leitner zu, ist das alles noch Zukunftsmusik.

Vorerst ist nur der Prototyp unterwegs - auf dem abgeschlossenen Produktionsgelände des Unternehmens in Sterzing, was den Probelauf natürlich sehr erleichtert. Eine Genehmigung ist auf dem firmeneigenen Terrain nicht notwendig - auch wenn parallel zur Entwicklung die für eine Genehmigung nötigen Schritte unternommen werden, wie Firmensprecher Maurizio Todesco erläutert. Denn das Fahrzeug soll natürlich nicht nur auf dem Firmengelände unterwegs sein, sondern irgendwann im öffentlichen Raum funktionieren. Die Mission ist klar: "Wir wollen das Problem der letzten Meile angehen", sagt Todesco.

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Wie gelangen die Passagiere zur Talstation?

Das Problem der letzten Meile kennen die Seilbahnbauer zur Genüge - gleich, ob die Seilbahn wie in Europa vorrangig touristisch genutzt wird, oder, wie in Süd- und Mittelamerika, als effizientes Mittel für den öffentlichen Nahverkehr. Dort stellt sich stets eine Frage: Wie gelangen die Passagiere zur Talstation der Seilbahn? In den Alpen meist mit dem Auto. Könnten die Fahrgäste aber direkt zum Beispiel von einem Bahnhof zur Seilbahnstation gelangen, ohne umzusteigen, ja, dann könnte man umweltschonend und bequem von A nach B gelangen.

Die Seilbahn selbst hat enorme Vorteile als Universal-Verkehrsmittel: Sie ist vergleichsweise schnell aufgebaut, sie ist um ein bis zwei Drittel kostengünstiger als vergleichbar lange U-Bahnen oder Straßen, wie die beiden großen Seilbahnunternehmen der Welt - Leitner aus Südtirol sowie Doppelmayr aus Vorarlberg - auf ihren Webseiten vorrechnen. Und die Seilbahn hat im Gegensatz zum Autoverkehr einen geringeren CO₂-Ausstoß, benötigt wenig Platz und ist naturgemäß nicht stauanfällig. Ihre Stärke kann die Seilbahn vor allem dann ausspielen, wenn steile Hänge oder weite Flusstäler überwunden werden müssen. In Europa, wo Seilbahnen vor allem Skifahrer und Erholungssuchende auf Berge befördern, fällt dies weniger auf. In Süd- und Mittelamerika hingegen, wo Leitner und Doppelmayr schon zahlreiche urbane Seilbahnnetze aufgebaut haben, ist die Seilbahn oft das Verkehrsmittel der Wahl.

Doch in einigen Fällen stößt das Verkehrsmittel an seine Grenzen: Kurven etwa können nur mit Hilfe einer Station bewältigt werden, und Gondelverkehr über Wohngebieten wird vor allem in Europa kritisch gesehen. Oft liegen auch zwischen der Endstation der Seilbahn und dem nächsten Bahnhof einige Kilometer - die dann wieder per Auto oder Bus bewältigt werden müssen. So ist es kein Wunder, dass die beiden Seilbahnanbieter Zukunftsprojekte aushecken: Doppelmayr arbeitet seit einigen Jahren am Projekt "Wälderbahn", das mit einer Kombination aus Hochbahn und Seilbahn den Bahnhof Dornbirn über das Hochälpele direkt mit dem Bregenzerwald verbinden soll. Die Leute von Leitner hingegen wollen eben die letzte Meile mit dem schienengebundenen, autonom fahrenden ConnX bewältigen.

Für die Passagiere ist ConnX der reine Luxus

Die Idee klingt logisch und simpel: Die Kabine wird in der Endstation vom Seil abgekuppelt und auf der Plattform eines vierrädrigen, schienengebundenen Elektro-Fahrzeugs fixiert, das das slowenische Unternehmen Elaphe nach den Vorgaben der Südtiroler als mobile Plattform entwickelt hat. Bis zu 40 Kilometer pro Stunde könnte das Gefährt erreichen. Auf einer eigenen Fahrspur soll ConnX dann zum nächsten Verkehrsknoten fahren - sei es ein Bahnhof oder die Talstation einer weiteren Seilbahn. Für die Passagiere ist ConnX dabei wahrer Luxus: Sie müssten nicht umsteigen und könnten so zum Beispiel direkt vom Berggipfel zum Bahnhof gelangen oder von einer Talstation zur nächsten.

Die Gondel kann vom Fahrgestell genommen und an die Seilbahn gekuppelt werden - umgekehrt geht es genauso. (Foto: Leitner)

An den Details jedoch gibt es noch viel zu feilen. Wie lässt sich die Gondel sicher abkuppeln und auf dem Fahrzeug fixieren? Und das bei jedem Wetter, auch bei Sturm und Regen, bei Hitze wie Kälte? Und ist es günstiger, das Fahrzeug mit Stromabnehmern auf der Schiene zu betreiben, oder sind doch Batterien die bessere Wahl? Wenn all diese Fragen gelöst sind, bleibt noch die Frage nach dem Platz im öffentlichen Verkehr: Eine drei bis vier Meter breite Trasse würde das Fahrzeug benötigen, erläutert Todesco: "Etwa die Breite einer einspurigen Straße." Damit ist das Hybridfahrzeug zwar weniger flexibel als ein Bus, dafür würde es aber auch nicht im Stau stecken bleiben. Langfristig verfolgt Leitner laut Todesco sogar das Ziel, ein autonomes Gefährt ohne Schiene einzusetzen.

In Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf könnte ConnX zum Einsatz kommen. (Foto: Leitner)

Gleich, wie die Lösung letztendlich aussieht: Die Seilbahnbauer haben sich schon ein paar Einsatzgebiete für ConnX überlegt. Berlin kommt ihnen da in den Sinn. Vor fünf Jahren hat Leitner dort im Bezirk Marzahn-Hellersdorf für die Internationale Gartenausstellung 2017 eine Seilbahn gebaut, mit drei Stationen. Sie ist bis heute in Betrieb, auf die Einbindung ins Tarifsystem des öffentlichen Nahverkehrs müssen die Nutzer noch warten. In Südtirols Landeshauptstadt Bozen könnte man mit dem Hybridfahrzeug Bahnhof und Rittner-Seilbahn verbinden, so die Idee der Firma.

Wird die Idee in New York umgesetzt?

Ähnliche Chancen sehen die Ingenieure in der Stadt, in der der Legende nach die Zukunft gemacht wird - New York. Hier könnte man die Roosevelt Island Tramway, eine Seilbahn, die Manhattan mit Roosevelt Island, einer Insel im East River, verbindet, mit ConnX anbinden an die Privatuniversität Cornell Tech. Und von dort ginge es weiter zum Franklin Delano Roosevelt Four Freedoms Park. Staufrei und weitgehend umweltfreundlich.

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