100 Jahre Alter Elbtunnel in Hamburg:Alt, aber gebraucht

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Der Alte Elbtunnel in Hamburg feiert 100. Geburtstag - und gehört bis heute zu den wichtigsten Verkehrswegen der Stadt

Ralf Wiegand

Wie eine Eins steht Heinfried Schrage an der Zufahrt zum Elbtunnel. Meistens verschränkt er die Hände hinter dem Rücken oder vor dem Bauch. Ein Mann wie eine Bügelfalte.

100 Jahre Alter Elbtunnel
:Verführung zur Langsamkeit

Der Alte Elbtunnel in Hamburg feiert 100. Geburtstag - und gehört bis heute zu den wichtigsten Verkehrswegen der Stadt.

Die Bilder.

Herr Schrage hat zwar ein paar Minuten Zeit für ein kurzes Gespräch, aber aus den Augenwinkeln beobachtet er ganz genau, ob alles seine Richtigkeit hat. Ob die Autos heranfahren, der Fahrer aussteigt, am Automat ein Ticket für zwei Euro zieht, wieder einsteigt, das Ticket vorzeigt und sich den richtigen Aufzugkorb zuweisen lässt, dann vorsichtig einfährt, das Licht an seinem Fahrzeug löscht und den Motor ausmacht.

Schrage sieht trotz aller Plauderei auch, wie die Kabinentür fast lautlos hinuntergleitet, der Korb nun fahrbereit ist und sein Kollege schließlich den Knopf drückt für die Fahrt nach unten. "Es ist ein sauberer Job", sagt Heinfried Schrage - und sieht dabei sehr zufrieden aus.

Schrage ist Tunnelaufseher im alten Hamburger Elbtunnel. Es ist ein Beruf, den es schon vor 100 Jahren gab, als das Bauwerk am 7. September 1911 eröffnet wurde. Moderne Tunnelaufseher - oder besser: Aufseher in modernen Tunnels - sitzen heute vor Schaltpulten und Monitorwänden in klimatisierten Kommandozentralen, sie überwachen Verkehrsflüsse oder Höhenkontrollen, schalten Röhren frei oder sperren die Durchfahrt vollautomatisch. Tunnelaufseher im Alten Elbtunnel begrüßen die Passanten noch persönlich.

Am kommenden Wochenende wird das einzigartige Bauwerk mit einem großen Fest geehrt. Vor 100 Jahren wurde der Hamburger Elbtunnel seiner Bestimmung übergeben, die da lautete, Pferdekutschen und Fußgänger trockenen Fußes von einer Seite der Elbe auf die andere zu bringen. Seit der Eröffnung des Autobahntunnels 1975 heißt dieser hier, der von St. Pauli nach Steinwerder führt, Alter Elbtunnel. Alt sollte man dabei liebevoll betonen, es ist ein Ehrentitel.

Zur Zeit seiner Erbauung von 1907 bis 1911 war der Tunnel die Antwort auf immer größere Verkehrsströme. Der Hamburger Hafen zog Massen von Arbeitern an, die seit kurzem über zwei Elbbrücken den großen Strom passierten. Die lagen allerdings am Rande des Hafengebiets.

Der Tunnel mitten in der Stadt war eine notwendige Infrastrukturmaßnahme - eine, die in eine Zeit des technischen Aufbruchs fiel. Ingenieure übertrafen sich im ausgehenden 19. Jahrhundert fast täglich, der Mensch verschob die Grenzen des Machbaren mit großer Lust.

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Der Elbtunnel, für dessen Bau der Hamburger Senat seinerzeit fast elf Millionen Goldmark bewilligte, sollte nicht einfach nur ein Gang unter dem Wasser werden. Er sollte auch ein Ausdruck stolzer Ingenieurskunst sein, weshalb der Kuppelbau bei den Landungsbrücken liebevoll verspielt und monumental zugleich geraten ist. "Sehen Sie hier", sagt Heinfried Schrage, "da sind drei Gesteinsarten übereinander zu sehen - Granit, Tuff und Basalt."

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Die Tunnelaufseher und Aufzugführer, wie sie offiziell heißen, sind nicht nur dafür verantwortlich, dass der Verkehr unter der Elbe reibungslos verläuft; die Männer und Frauen der Hamburg Port Authority, die das Bauwerk betreibt, sind längst auch Fremdenführer.

Heinfried Schrage, gelernter Schlosser und Landmaschinentechniker, ist seit elf Jahren im Tunnel. "Bin hängengeblieben", sagt er, aber er hat seinen Arbeitsplatz längst lieben gelernt. Ein bisschen nervös, mit gespielter Routine, spult er die Daten und Fakten zum Tunnelbau herunter, lenkt das Auge des Besuchers mit mechanischer Präzision seiner umherfliegenden Arme auf Säulen, Lampen, Kuppeldach. "Ich bin noch dabei, das zu lernen", sagt er.

Der Tunnel hat genug Geschichte, die erzählt werden will. Die Einzigartigkeit bezieht das Bauwerk zum einen aus der Tatsache, dass weltweit kein Tunnel dieser Art mehr in Betrieb ist. Denn anders als moderne Unterführungen hat dieser keine Ein- oder Ausfahrt, sondern eben jeweils zwei große Aufzüge. Die befördern Fahrräder, Motorräder und Autos samt ihrer Passagiere erst in die Tiefe, wo sich dann die hölzerne Kabinentür öffnet wie der Vorhang eines unterirdischen Theaters. Und nach der Durchquerung geht es wieder hinauf.

Daraus ergibt sich das Erlebnis Elbtunnel: die Verführung zur Langsamkeit. Tunnelaufseher Schrage, seine Kolleginnen und Kollegen achten sehr genau darauf, dass in ihren Röhren nicht gerast wird. Doch wer drückt schon aufs Gaspedal, wenn er auf Zeitreise ist in einem Bauwerk, dessen Durchfahrtshöhe einst von der aufgestellten Peitsche auf einem Kutschbock vorgegeben wurde?

Und zur Langsamkeit kommt die Bescheidenheit, denn die dicksten der SUVs passen einfach nicht durch die engen Röhren. "Mit einem Cayenne", lächelt Schrage, "kommen Sie hier nicht durch."

Zu Fuß und mit dem Fahrrad indes schon. Es ist ein Spaziergang unter einem Himmel aus weißen Kacheln, und am Horizont ist kein Licht. Dieses typischste aller Tunnelerlebnisse, das Licht am Ende, bietet der Alte Elbtunnel wegen seiner Bauweise nicht, dafür aber einen faszinierenden Eindruck räumlicher Tiefe.

Kerzengerade schieben sich die 426,5 Meter langen Gänge unter der Elbe hindurch. Ideal zum Beispiel, um den längsten Modelleisenbahnzug der Welt aufzustellen - geschehen im Alten Elbtunnel vor sechs Jahren. Der Gang mit seiner schummrigen Beleuchtung wird auch als Film- und Fernsehkulisse gebucht, sogar Modenschauen gab es hier schon.

Es gab schon Überlegungen, die Anlage für den Verkehr zu schließen und als Museumstunnel nur noch für Führungen zu öffnen. Doch der Elbtunnel, der in seiner Einfachheit trotz nachgerüsteter Sicherheitsmechanismen seinen Charme behalten hat, hat seinen Zweck nie verloren.

Der Hafen ist wie ein atmender Organismus, der mal mehr, mal weniger Verkehr erzeugt. Wenn es auch die meisten Packer mit ihren von der Arbeit schwieligen Händen in der heutigen Hafenwelt nicht mehr gibt, so sind es jetzt zum Beispiel Studenten, die den Tunnel als kürzeste Verbindung zwischen den Elbufern benutzen.

Die Stadt hat die andere Seite der Elbe als Erweiterungsgebiet entdeckt, sie nennt die neuen Quartiere, die dort entstehen, "Sprung über die Elbe". Dadurch bekommt auch der Alte Elbtunnel wieder neues Leben: 105.000 Radfahrer, 300.000 Autos und 800.000 Fußgänger benutzten die historische Unterwasserstraße im vergangenen Jahr. Tendenz steigend.

Und Heinfried Schrage schleust sie mit seinen Kollegen alle durch, im Schichtdienst entweder von 5.15 Uhr bis 13.03 Uhr oder von 13.03 Uhr bis 20.15 Uhr. "Es ist ein langlebiger Arbeitsplatz", sagt Schrage. Die Versuche, die Durchfahrt mit Ampeln zu automatisieren und so die Wärter zu ersetzen, hat es gegeben. Sie sind kläglich gescheitert, weil Passanten vergaßen, den Motor abzustellen oder das Licht auszuschalten - was nötig ist, um Radfahrer oder Fußgänger nicht zu blenden.

Den Tunnel ohne sein Personal kann sich niemand mehr vorstellen. "Dieses Bauwerk", sagt Heinfried Schrage, "braucht den Menschen." Heute wie vor hundert Jahren.

© SZ vom 05.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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