Überwachung an Bahnhöfen:Kontrollwahn ohne Sicherheit

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Bahnhof in Shanghai: Wer in China mit dem Zug reisen will, braucht Geduld. (Foto: REUTERS)

Soll man nach dem vereitelten Anschlag im Thalys-Schnellzug nun auch Passagiere an Bahnhöfen schärfer kontrollieren? Ein Blick nach China zeigt, wohin das führen kann.

Von Christoph Behrens

Wer mit Chinas hochmodernen Bullet Trains fahren will, braucht Zeit. Bei Reisegeschwindigkeiten von mehr als 300 Kilometern pro Stunde gilt das nicht unbedingt für die Strecke selbst. Geduld ist eher am Bahnhof gefragt. Chinas Bahnhöfe haben mit europäischen nur den Namen gemein. Ansonsten sind sie wie Flughafenterminals, nur größer. Die weißen Hallen wölben sich wie Ufos auf mehreren Etagen über die Bahngleise, die zu Dutzenden darunter liegen. Nicht nur für die Wege durch die unfassbar großen Hallen plant man besser eine halbe Stunde länger ein als anderswo, man sollte auch Zeit für die Sicherheitskontrollen reservieren. China ist eines der sehr wenigen Länder, die vor Zugreisen ähnlich scharfe Kontrollen vorsehen wie vor Flügen.

Nach dem vereitelten Anschlag in einem Thalys-Schnellzug zwischen Amsterdam und Paris könnte man in Europa ebenfalls auf die Idee kommen, die Kontrollen für Zugreisende zu verschärfen. Doch das Beispiel China sollte zur Vorsicht mahnen. Chinesische Bahnhofshallen betritt man nicht einfach, man checkt in sie ein. Das Gepäck wandert über ein Band, um durchleuchtet zu werden, Reisende treten durch einen Metalldetektor. Dahinter warten Sicherheitskräfte mit Handdetektoren. Selbst wenn man diese Kontrollen hinter sich hat, darf man nicht einfach aufs Bahngleis spazieren und in den nächsten Zug springen - hierfür gibt es gesonderte Gates, nicht selten 40 Stück pro Bahnhof. Diese Ausgänge werden kurz vor der Ankunft des Zugs geöffnet, natürlich nur für den, der das korrekte Ticket dabei hat. Auf diese Weise spart sich die chinesische Eisenbahngesellschaft auch die Schaffner im Zug, denn wer es dort hinein geschafft hat, wurde garantiert schon zwei Mal kontrolliert.

Vorspiegelung von Sicherheit

Dieses Sicherheitsregime dürfte zuverlässig verhindern, dass jemand mit einer Kalaschnikow im Handgepäck wie in Amsterdam in den Zug springt und Passagiere bedroht. Andererseits eröffnet es der chinesischen Regierung eine enorme Kontrolle des Reiseverkehrs - und der Reisenden. Zehn Millionen Menschen, so einige Schätzungen, sind in China zu jeder Minute in Zügen unterwegs. Da die Tickets mit dem Personalausweis verknüpft sind, wissen die Behörden sehr genau, wer wohin reist. Auch Ausländer müssen sich beim Abholen der Tickets ausweisen. Für Personen, die unter Beobachtung stehen, wie bis vor kurzem der regimekritische Künstler Ai Weiwei, kann die Reisefreiheit dadurch leicht beschnitten werden. Mittlerweile experimentieren chinesische Bahnhöfe auch mit Gesichtserkennungs-Technologie. Besonders in der als unruhig geltenden Provinz Xinjiang wird die Technik erprobt. Als Argumente werden Gefahren durch uigurische Terroristen genannt, die so schon frühzeitig aufgehalten werden sollen.

Chinas moderne Hochgeschwindigkeitszüge erreichen Geschwindigkeiten von über 300 km/h (Foto: REUTERS)

Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das System dagegen häufig als reines Theater, als Vorspiegelung von Sicherheit. So wird auch in den U-Bahnen kontrolliert, an jedem Eingang jeder Pekinger Station warten: vier Sicherheitskräfte, Metalldetektoren, Gepäckband und Scanner. Doch die Mitarbeiter starren häufig stundenlang auf die Bildschirme, auf denen die Gepäckstücke vorbeiziehen; wer mit dem Metalldetektor wedelt, hat meist keine Ausbildung. Die Securities winken mit ihren Geräten oft aus einem Meter Entfernung; was sie damit aufspüren wollen, bleibt rätselhaft.

Teilweise lenkt eine solch extreme Sicherheitskultur sogar von größeren Gefahren ab. Noch im abgelegensten Tal in China wird man Schilder finden, die davor warnen, die "wilden Berge" zu besteigen, während unmittelbar daneben Giftmüll in einem Teich lagert und eine viel größere Gefahr darstellt. Jeder Wohnblock in den größeren Städten ist bewacht, die Gebäude jedoch häufig marode. Auch nach dem ersten Brand in der Hafenstadt Tianjin warteten hunderte Feuerwehrmänner auf ihren Einsatz - was sie genau löschen sollten, sagte ihnen niemand. Da viele Chemikalien mit Wasser zu explosionsfähigen Gemischen reagieren, löste dieser Einsatz am Ende vermutlich eine viel größere Katastrophe aus.

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