Klimawandel:Die Lösung des Methan-Puzzles

Fracking in Pennsylvania

Gasförderung per Fracking, hier im US-Bundesstaat Pennsylvania, wird von Umweltschützern heftig kritisiert.

(Foto: dpa)
  • Etwa ein Fünftel der Erderwärmung geht auf das Konto von Methan.
  • Lange wussten Wissenschaftler nicht, woher das Treibhausgas stammt.
  • Eine neue Arbeit hat nun die Erdgasförderung per Fracking als eine der Hauptquellen ausgemacht.

Von Toralf Staud

Das Rätsel beschäftigte Klimaforscher jahrelang: Woher bloß kommt das viele Methan? Sein Anteil an der Erdatmosphäre begann vor gut zehn Jahren plötzlich stark zu steigen. Und die Erklärungen, die Wissenschaftler dafür vorbrachten, widersprachen sich. Nun hat ein Forscherteam der Nasa das Rätsel gelöst und einen verbreiteten Verdacht bestätigt: Die Erdgasförderung per Fracking ist wohl eine der größten Quellen - und daher ein erhebliches Klimaproblem.

Methan ist das zweitwichtigste menschengemachte Treibhausgas, etwa ein Fünftel der bisherigen Erwärmung der Erde geht auf sein Konto. Die jährlich freigesetzten Mengen sind zwar viel kleiner als bei Kohlendioxid, auf das sich die Klimadebatte meist konzentriert. Doch jedes Methanmolekül hat ein Vielfaches der Treibhauswirkung von CO₂ - je nachdem, welchen Zeitraum man betrachtet, schädigt eine Tonne Methan das Klima 28- bis 84-mal so stark wie eine Tonne Kohlendioxid. Seit Beginn der Industrialisierung hat sich die Konzentration von Methan in der Atmosphäre mehr als verdoppelt - von Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 2000 war sie von etwa 720 Teilchen pro Milliarde (ppb) Luftmoleküle auf mehr als 1750 ppb gestiegen.

Im Jahr 2007 registrierten Atmosphärenforscher eine Überraschung: Nach einigen ruhigen Jahren verstärkte sich die Zuwachsrate plötzlich. Bis heute ist die Konzentration bereits auf etwa 1850 ppb gestiegen. Besorgt machten sich Wissenschaftler auf die Suche nach der Ursache - eine Detektivarbeit, denn Methan entsteht bei sehr vielen Prozessen.

Messflugzeuge erschnüffelten über amerikanischen Anlagen drastisch erhöhte Werte

Waldbrände als Ursache für den Methananstieg schlossen die Forscher schnell aus, weil - so zeigten Satellitenaufnahmen - die weltweit verbrannten Flächen seit Mitte der 2000er-Jahre gesunken waren. Auch andere mögliche Quellen wurden geprüft und verworfen, etwa brennende Torfböden in Indonesien oder tauende Permafrostgebiete wie etwa in Sibirien.

2016 präsentierte ein Forscherteam um den Neuseeländer Hinrich Schaefer eine überzeugende Erklärung: Sogenannte biogene Quellen müssten die Ursache sein, also Methan aus Fäulnisprozessen von Biomasse, schrieben sie im Magazin Science. Dieses Methan zeige nämlich eine charakteristische Verteilung verschiedener Kohlenstoff-Isotope, die sie in der Atmosphäre wiedergefunden hätten. Konkret machte das Team die Landwirtschaft verantwortlich, etwa den in Asien weitverbreiteten Anbau von Reis auf leicht überschwemmten Äckern und die weltweit gigantischen Herden von Rindern, aus deren Mägen ständig Methan entweicht.

Praktisch zeitgleich präsentierten andere Wissenschaftler jedoch - mit ebenso plausiblen Argumenten - einen anderen Hauptschuldigen: die Energiebranche. Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas, Lecks an Bohrlöchern und Pipelines sind ein bekanntes Problem. Mitte der 2000er- Jahre hatte in den USA ein Boom der Öl- und Gasförderung mittels Fracking eingesetzt. Bei dieser unkonventionellen Fördermethode wird unterirdisches Gestein unter hohem Druck aufgesprengt - und Kritiker wiesen früh darauf hin, dass dabei viel Methan unkontrolliert frei werde.

Diese Spur verfolgte unter anderem Ralf Sussmann, gemeinsam mit Kollegen betreibt er auf dem Gipfel der Zugspitze ein Labor des Karlsruhe Institute of Technology (KIT). Bei wolkenlosem Himmel wird dort Sonnenlicht aufgefangen und mit einem Spektrometer analysiert. Weil jedes Spurengas in der Atmosphäre die Lichtwellen einer ganz bestimmten Frequenz filtert, kann aus zerlegten Sonnenstrahlen herausgelesen werden, wie hoch die Konzentration jedes Gases in der Atmosphäre ist. Das Team um Sussmann maß aber nicht direkt Methan, sondern Ethan, das ebenfalls bei der Erdgasförderung frei wird. Die Spektralmessungen von der Zugspitze belegten, dass auch Ethan von Mitte der 2000er-Jahre an in der Atmosphäre stark zunahm. Daraus schlossen die Forscher, dass mindestens 40 Prozent, wahrscheinlich sogar viel mehr des seit 2007 zusätzlich frei gewordenen Methans, aus der Öl- und Gasförderung stammen müssten.

Die Verblüffung war groß, denn beide Erklärungen gleichzeitig konnten nicht stimmen. Addierte man nämlich die zwei Quellen - biogenes Methan und solches aus der Öl- und Gasförderung - sowie alle anderen bekannten, dann ergab sich ein Wert, der die tatsächliche Methanmenge in der Atmosphäre überstieg. Es seien wohl noch "wissenschaftliche Durchbrüche nötig", resümierte ein Editorial in den Environmental Research Letters frustriert.

Die Widersprüche befeuerten den Streit, der seit Jahren zwischen Anhängern und Gegnern des Fracking tobt: Erstere verweisen darauf, dass Erdgaskraftwerke viel weniger CO₂ ausstoßen als Kohleblöcke, und dass billiges Erdgas aus Fracking beim Kohleausstieg helfen könne. Letztere warnen vor den großen Methan-Leckagen der Fördermethode, die den Klimavorteil von Gaskraftwerken zunichte machten. Seit etwa 2010 erschienen immer mehr Studien, die diese Warnungen stützten. So erschnüffelten Messflugzeuge über US-Fracking-Gebieten drastisch erhöhte Methanwerte. Doch Befürworter der Technologie konnten kritische Befunde als falsch oder als Einzelfälle zurückweisen - die globale Methan-Bilanz ging ja nicht auf, die Forschung zum Thema wirkte unverlässlich.

Wenn nicht alles täuscht, hat ein Team um den Atmosphärenphysiker John Worden vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa im kalifornischen Pasadena das Methan-Rätsel nun gelöst. Es hatte sich noch mal die Emissionen aus Waldbränden vorgenommen, vermaß nicht nur mit Satelliten die weltweit abgebrannten Flächen, sondern untersuchte auch die Atmosphäre. So wie Ralf Sussmann auf der Zugspitze Ethan als Stellvertreter-Maß für Methan aus der Erdgasförderung nahm, nutzte Worden einen Indikator für Methan aus Waldbränden: Kohlenmonoxid, das ebenfalls bei Waldbränden entsteht. "Eine hervorragende Studie", sagt Sussmann über die Arbeit, die jüngst in Nature Communications erschien.

Vorherige Untersuchungen hatten den Rückgang der Methanemissionen aus Waldbränden stark unterschätzt. Seit 2007 ist aus dieser Quelle nur etwa halb so viel des Gases frei geworden wie bislang gedacht. Korrigiert man nun diesen Posten nach unten, bleibt genug Raum in der globalen Methan-Bilanz für hohe Emissionen aus Landwirtschaft und Energiebranche. Das Methan-Puzzle geht auf. Für die Wissenschaft ist das eine gute Nachricht - aber eine schlechte fürs Klima und für die Anhänger des Fracking.

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