Nullzinsen:Mehrheit des EZB-Rats hinter Draghi:"Niemand möchte ihn hängen lassen"

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Bei der EZB-Ratssitzung stimmte kaum jemand mit "nein" - trotzdem stehen längst nicht alle Mitglieder hinter Mario Draghi. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)
  • Nicht alle EZB-Ratsmitglieder stehen hinter der Zinspolitik von Mario Draghi.
  • Trotzdem diskutieren sie nicht ernsthaft darüber - denn eine Kehrtwende ist schlicht und einfach nicht vorgesehen.

Von Markus Zydra

Mario Draghi lächelte plötzlich. Man ahnte schon, dass ihm eine ganz gute Idee gekommen sein musste, um den Nörglern eine mitzugeben. "Stellen Sie sich vor, die EZB hätte vor zwei Jahren diesen 'Nein-zu-allem-Kurs' eingeschlagen und nichts getan. Europa würde jetzt in einer desaströsen Deflation stecken."

Das saß. Der Präsident der Europäischen Zentralbank rechtfertigte seine Geldpolitik mit einem verbalen Hieb gegen seine Kritiker in Deutschland. Das kommt auch nicht häufig vor. Außerdem hat Draghi in der Pressekonferenz etwas getan, das er anderen nicht durchgehen lässt: die Frage nach dem Was-wäre-wenn zu stellen. Draghi wirkte wie einer, der sich rechtfertigen will.

Es war überhaupt eine bemerkenswerte Pressekonferenz, die Draghi nach der EZB-Ratssitzung am Donnerstag abgehalten hat. Nicht nur, weil sein Schlips frappierende Ähnlichkeit mit der Krawatte aufwies, die er im Sommer 2012 bei seiner berühmten Rede in London trug. Damals versprach er, die EZB werde alles zu tun, um den Euro zu retten.

Draghi ist nicht mehr der Finanzmarkt-Magier von einst

Draghi galt seit diesen Worten, mit denen er den Spekulanten das Handwerk legte, als Magier, der die Finanzmärkte beherrscht. Nun sieht es so aus, als ob die Märkte wieder machen, was sie wollen. Draghis Maßnahmenpaket führte zu sinkenden Aktienkursen und einem stärkeren Euro-Kurs. Die EZB möchte das Gegenteil erreichen.

Die EZB wagt geldpolitisch ein Experiment ohne Vorbild. Sie kauft Anleihen im Wert von 1,7 Billionen Euro, macht Geld so billig wie nie und bestraft den Besitz von Geld mit einem Negativzins.

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Doch die Effekte sind kaum spürbar. Die Inflation kommt nicht in Gang. Die Preise sinken sogar. Die volkswirtschaftliche Abteilung der EZB versucht händeringend die Effektivität der Maßnahmen statistisch zu untermauern, doch es finden sich kaum Belege, die man einer breiten Öffentlichkeit wirklich nachvollziehbar präsentieren könnte. Draghi dreht trotzdem oder gerade deshalb ein immer größeres Rad. Ob es hilft?

Diese Frage hing unausgesprochen in der Luft, als sich die 25 EZB-Ratsmitglieder am Donnerstag im 41. Stock des Euro-Towers zu ihrer Sitzung trafen. Bei Draghis Kollegen im Rat wachsen die Zweifel. EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger und der niederländische Notenbankchef Klaas Knot haben gegen Draghis Maßnahmenpaket gestimmt. Die beiden anderen Gegner, Bundesbankchef Jens Weidmann und der estnische Notenbankchef Ardo Hansson waren wegen des Rotationsprinzips im Rat an diesem Tag nicht stimmberechtigt.

Draghi hängen zu lassen ist keine Option

Draghi sprach von einer "überwältigenden Mehrheit". Doch der Italiener kann sich kaum darauf berufen, dass alle, die ihm die Stimme gaben, wirklich von den Maßnahmen überzeugt sind. So waren einige gegen die Verschärfung des Strafzinses, dennoch nickten sie das Gesamtpaket ab. "Niemand möchte Draghi bloßstellen, deshalb gibt es eine große Mehrheit für seine Vorschläge", sagt ein Notenbanker. In der EZB geht es um Korpsgeist und Geschlossenheit. Die Reputation der gesamten Institution wäre in Gefahr, wenn man den routinierten und mitunter genialen Frontmann Draghi hängen ließe. Draghis Vertrag läuft noch bis 2019, und er hat deutlich gemacht, dass er die laxe Geldpolitik so lange fortsetzt, bis die Inflation bei der Zielmarke von zwei Prozent liegt. Das Unbehagen wächst, weil die Maßnahmen nicht so wirken wie geplant.

Eigentlich sollte man erwarten, dass die Grundsatzfrage, ob die EZB auf dem falschen Weg ist, im Rat ernsthaft diskutiert wird. Doch das geschieht nicht. Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen. Ein Zurück ist nicht vorgesehen, auch weil man befürchtet, ein Stopp der billigen Geldflut würde in schwachen Euro-Staaten eine neue Finanzkrise auslösen.

Trotzdem wachsen im EZB-Rat die Zweifel

Draghi ist eine starke Führungspersönlichkeit: sicher im Auftreten, schnell im Kopf. Doch sein Führungsanspruch verärgert manche Kollegen im EZB-Rat. Immer wieder hat der EZB-Chef mögliche Maßnahmen öffentlich präsentiert, bevor das Thema im Gremium besprochen und entschieden wurde. Weil die Ankündigungen Draghis meistens sofort positive Wirkung an den Finanzmärkten entfalten, gerät der EZB-Rat unter Druck, die Maßnahmen dann auch zu beschließen. Niemand möchte durch ein "Nein" einen Kursrutsch an den Börsen auslösen.

Draghi betont immer, er werde alle Instrumente nutzen, die es gebe. Der Ankauf von Aktien wäre noch eine Option. Sogar den Einsatz von "Helikoptergeld" schließt Draghi nicht aus: "Es ist ein sehr interessantes Konzept." Die Metapher "Helikoptergeld" wird dem Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman zugeschrieben. Eine Notenbank müsse im Notfall aus dem Helikopter Geldscheine abwerfen. Die EZB könnte den Bürgern Geld überweisen.

Draghi kennt die Gegenargumente, doch er ist anderer Meinung. "Nehmen Sie an, wir würden aufgeben. Dann bekämen wir eine Deflation", sagte Draghi, um dann den Satz zu sagen, der je nach Zuhörer als hoffnungsfroh oder selbstzweiflerisch interpretiert werden kann. "Wir geben nicht auf."

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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