Luftverschmutzung:EU macht ehrgeizige Pläne für saubere Luft

Verkehr auf der Donnersbergerbrücke in München, 2014

Die Münchner Donnersbergerbrücke ist eine der meistbefahrenen Straßen Deutschlands. Wenn die Luft reiner werden soll, muss auch hier der Verkehr weniger werden.

(Foto: Florian Peljak)
  • In der EU gelten künftig härtere Richtlinien für Schadstoffe, die die Luft verschmutzen.
  • Erstmals werden in dem EU-Plan auch klare Ziele für die Feinstaubbelastung aufgeführt.
  • Die eigentlichen Ziele gelten jedoch erst ab 2030 - und selbst die hält die Bundesregierung für nicht realistisch.

Von Markus Balser und Thomas Kirchner, Brüssel

Alle, die in diesen Tagen an der europäischen Zusammenarbeit zweifeln, sollten einen Blick auf die Umweltgesetzgebung der EU werfen. Seit den 1970er-Jahren sitzt Brüssel den Mitgliedstaaten mit immer neuen, schärferen Höchstwerten im Nacken, um die Gesundheit der Bürger zu schützen und die natürlichen Lebensräume zu erhalten.

Schadstoffe kennen keine Grenzen, schon deshalb ist die EU ein besserer Zuchtmeister, als wenn jeder vor sich hin regulieren würde. Wobei Brüssel nicht allein reguliert, denn die Staaten reden mit. Das übliche Prozedere ist so: Die Kommission macht einen ehrgeizigen Vorschlag, die Regierungen schwächen ihn ab und einigen sich schließlich mit dem umweltbewussten Europäischen Parlament auf einen Mittelweg.

Genau so lief es nun bei dem Plan, die Luft in der EU zu verbessern und dafür die so genannte NEC-Richtlinie aus dem Jahr 2001 zu verschärfen. Sie gibt Höchstwerte für vier Luftschadstoffe vor: Schwefeldioxid, das bei Heizungen und der Stromerzeugung austritt; Stickstoffoxid (NOx), das Autos und Kraftwerke in die Luft blasen; Ammoniak, das durch Dünger in die Welt kommt, und flüchtige organische Verbindungen, die in der Industrie auftreten. Für jedes Land formuliert die Richtlinie unterschiedlich hohe Reduktionsziele.

85 Prozent der Städter in Europa haben eine schädliche Feinstaubbelastung

Am Mittwoch stimmte das EU-Parlament mit großer Mehrheit einem Kompromiss zu, den der Rat, das Gremium der Staaten, nur noch formal billigen muss. Erstmals sind nun Ziele für kleinste Partikel, den Feinstaub, enthalten, der im Straßenverkehr oder bei der Verbrennung von Kohle und Holz entsteht. Das Ergebnis sei nicht perfekt, sagte die britische Berichterstatterin Julie Girling. Aber es lasse die Dringlichkeit erkennen, die das Thema angesichts des Volkswagen-Skandals um manipulierte Abgastests bei Dieselautos erhalten habe. Vor lauter Konzentration auf die CO₂-Emissionen sei die Luftverschmutzung offenbar aus dem Blickfeld geraten.

Dabei ist sie die umweltbedingte Todesursache Nummer eins in der EU. Jährlich sterben gemäß einer neuen Studie der Europäischen Umweltagentur in Kopenhagen fast 470 000 Menschen vorzeitig durch den Dreck in der Luft. Feinstaubpartikel zum Beispiel können Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Lungenkrebs verursachen oder verschlimmern. Zuletzt mussten dem Papier zufolge 85 Prozent der Städter in Europa eine Feinstaubbelastung hinnehmen, die laut Weltgesundheitsorganisation schädlich ist. Gemessen an den EU-Grenzwerten für die Luftqualität, waren 17 Prozent der Bürger zu hohen Konzentrationen ausgesetzt. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission belaufen sich die wirtschaftlichen Kosten der schlechten Luft auf 330 bis 940 Milliarden Euro im Jahr.

Ziele sind laut Bundesregierung nicht realistisch

Laut Girling könnten durch die neuen Ziele die gesundheitlichen Folgen der schmutzigen Luft um die Hälfte verringert werden. Die EU-Staaten sollen ihre Verpflichtungen nun nach und nach von 2020 an erfüllen. Von 2030 an gelten etwa für Deutschland Minderungsziele im Vergleich zu 2005 von 65 Prozent beim Stickstoffoxid und 43 Prozent beim Feinstaub. Ähnlich ehrgeizig sind die EU-weiten Ziele. Die Bundesregierung hat die Änderungen zwar im Grundsatz unterstützt, aber auf "realistische" Ziele und einen längeren Zeithorizont gedrängt.

Die vom Parlament verlangten verbindlichen Zwischenziele für 2025 wurden in den Verhandlungen dementsprechend gestrichen; außerdem wurde, zum Ärger der Grünen, das in der Landwirtschaft massenhaft anfallende Methan nicht in die neu gefasste Richtlinie aufgenommen. Diese regelt die nationalen Emissions-Obergrenzen, also den Ausstoß direkt an den Quellen wie etwa Lastwagen, Heizungen oder Fabriken.

Der Hauptschuldige schluckt Diesel

Für die Frage, wie viele Schadstoffe in der Luft einer bestimmten Region oder Großstadt maximal vorkommen dürfen, ist eine andere Norm zuständig, die sogenannte Luftqualitäts-Richtlinie aus dem Jahr 2008. Deren Grenzwerte betreffen neben Feinstaub auch Blei, Kohlenmonoxid und Ozon. Deutschland tut sich außerordentlich schwer damit, sie einzuhalten, oder genauer: Viele Großstädte schaffen es nicht, die Luftreinhalte- und Aktionspläne zu erfüllen, mit denen die EU-Richtlinie national umgesetzt wurde. Wegen diverser Verstöße laufen derzeit zwei Vertragsverletzungsverfahren, die die EU-Kommission gegen Deutschland angestrengt hat. Sie könnten in hohe Geldstrafen münden.

Dass die Emissionen in mehreren Bereichen nun drastisch gesenkt werden sollen, erhöht den Druck auf die nationalen Regierungen, mehr gegen Luftverschmutzung zu tun. Auch auf die deutsche, die weiß, wer hauptverantwortlich ist für die Emissionen in den Städten: der Verkehr, bei Stickoxid allen voran Dieselfahrzeuge. Deshalb wird Berlin angesichts der neuen Vorgaben nicht umhin kommen, entschieden zu handeln - auch gegen die Interessen der einflussreichen Autoindustrie.

Pläne zur "blauen Plakette" kommen nicht voran

Immer mehr Kommunen diskutieren bereits über Fahrverbote für Dieselautos, um die Luftreinhaltepläne einigermaßen einhalten zu können. Damit die Städte ihre Luftqualität schnell verbessern können, obwohl sich Autohersteller mit Tricksereien um die Grenzwerte mogeln, hatte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) im Sommer eine "blaue Plakette" ins Gespräch gebracht. Wer sie nicht hat, dürfte in bestimmte stark NOx-belastete Stadtteile nicht mehr hineinfahren. Doch der Plan ist in der Koalition umstritten und kommt nicht voran.

Bei den Emissionen im Verkehr müsse es einen "großen Sprung nach vorn geben", um die neuen Vorgaben zu erfüllen, sagt der EU-Abgeordnete Jo Leinen (SPD). Das alles sei aber machbar. "Ich hoffe, dass uns die Technik hilft." Wichtig wäre aber auch, dass die EU die Einhaltung bestehender Grenzwerte genauer überwacht.

Das wurde am Mittwoch deutlich, als die Deutsche Umwelthilfe Testergebnisse zur Abgasaffäre vorstellte. Die Prüfer kamen zu dem Resultat, dass Modelle von Fiat und Renault die zulässigen Höchstwerte für Stickoxide um das 17- und 16-Fache überschreiten. Mercedes liege um das 13-Fache darüber, warnte die Umweltorganisation. Es sei erschreckend, welche Autos die Hersteller im Jahr 2016 noch verkauften.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: