Finanzexperte Michael Greenberger:"Romney sagt, was die Banken hören wollen"

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Wenn Mitt Romney siegt, will er die Finanzmarktregulierungen Obamas sofort rückgängig machen. Ein Fehler, wie Experte Greenberger im SZ-Gespräch meint. Nur durch strikte Auflagen könne die Weltwirtschaft geschützt werden. Doch die Wall Street wehrt sich.

Jannis Brühl

Wenn amerikanische Demokraten das Chaos an den Finanzmärkten verstehen wollen, fragen sie Michael Greenberger. Der Jura-Professor unterrichtet an der Maryland University in Baltimore. Er sagte in den Senatsanhörungen aus, in denen die Finanzkrise aufgearbeitet wurde, und wirbt dafür, den Dodd-Frank Act, Obamas Gesetzespaket zur Finanzmarktregulierung, in möglichst strikter Form umzusetzen.

Greenberger erlebte in der Ära der Liberalisierung mit, wie machtlos Regulierungsbehörden gegen die Ideologie waren, Finanzhändler weitgehend sich selbst zu überlassen. Von 1997 bis 1999 leitete er die Abteilung Handel und Märkte bei der Commodities and Futures Trading Commission (CFTC). Diese Behörde soll Derivate überwachen und kontrollieren - jene komplexen Finanzprodukte, die sich in der Krise als besonders gefährlich erwiesen haben.

Prof. Greenberger unterrichtet an der Maryland Universität in Baltimore. (Foto: N/A)

SZ.de: Professor Greenberger, vor vier Jahren kam Barack Obama ins Amt, kurz nach dem Höhepunkt der Finanzkrise. Vor zwei Jahren verabschiedete er den Dodd-Frank Act, mit dem Wall Street von weiteren Dummheiten abgehalten werden sollte. Was ist daraus geworden?

Greenberger: Insgesamt bin ich zufrieden. Hunderte Regeln mussten umgesetzt werden, das ist sehr kompliziert. Sie müssen eine Regel vorschlagen, dann können Interessengruppen sie kommentieren. Die CFTC hat über 20 000 Kommentare erhalten. Ende des Jahres sollten alle Regeln umgesetzt sein. Wie sie konkret aussehen, ist hart umkämpft. Die Umsetzung ist aber überraschend gut angesichts der Tatsache, dass die großen Banken Dutzende Millionen Dollar ausgegeben haben. Während des Prozesses hat die Wall Street gemerkt, wie sehr das Gesetz ihr wehtut - sie wollten den Markt intransparent und unterbesichert lassen.

Wie viel hat die Wall Street ausgegeben?

Es wurde sehr viel Geld eingesetzt, um das Gesetz zu schwächen. Aber es ist schwer, an konkrete Zahlen zu kommen. Die Handelskammer allein soll zwischen 125 Millionen und 150 Millionen ausgegeben haben, um gegen Dodd-Frank zu kämpfen. Ich wäre überrascht, wenn ihre Gegner, die Reformer, mehr als drei Millionen ausgegeben hätten.

Wie haben die Wall-Street-Manager das Gesetz bekämpft?

Sie haben vor allem drei Dinge getan: Erstens haben sie das Recht, die Regeln zu kommentieren, bevor sie in Kraft treten, und so Einfluss auf die letztendliche Ausformulierung zu nehmen. Das haben sie entschlossen genutzt. Nachdem das Gesetz schon erlassen war, haben sie praktisch eine zweite Chance bekommen, die Regulierungsbehörden dazu zu bringen, die Regeln nicht so umzusetzen, wie der Kongress es sich vorgestellt hatte. Das hat die Wall Street nicht nur schriftlich gemacht, sondern auch durch ständige persönliche Treffen mit Behördenmitarbeitern.

Zweitens haben sie sich von den Republikanern im Kongress flankieren lassen: Die Behörde CFTC ist zuständig für einen Markt von 300 Billionen Dollar. Aber sie geben ihr nicht genug Geld, um ihre Arbeit zu machen. Unter Dodd-Frank sollte sie mindestens 1100 Mitarbeiter haben. Die Republikaner haben es aber geschafft, ihr Budget so zu begrenzen, dass es bei 700 bleibt. Obama hat schon sein Veto angedroht.

Der Chef der CFTC hat es öffentlich gesagt: Seine Behörde hat genug Mitarbeiter, um die Regeln zu schreiben, aber nicht genug, um Clearing-Stellen für Derivate zu installieren (diese Institutionen sollen die Solidität komplexer Finanzprodukte garantieren und sollen auch in Europa eingeführt werden, Anm. d. Red.). Sie kann so auch nicht die Anti-Betrugs- und Anti-Manipulationsarbeit zu machen, die Dodd-Frank in diesem bisher größtenteils unregulierten Markt für sie vorgesehen hat. Die Republikaner legen quasi ihr Veto ein, indem sie einfach kein Geld zur Verfügung stellen. Das können sie tun, weil die Mehrheit im Kongress das Budgetrecht hat.

Obama und die Demokraten können nichts tun?

Was zusätzlich lähmend wirkt, ist, dass Gerichte, Parlamentarier - und zu einem gewissen Grad der Präsident selbst - durchgesetzt haben, dass in einem komplizierten algorithmischen Test nachgewiesen wird, dass die Kosten der Regeln nicht die Vorteile übertreffen dürfen. Das klingt so gut, dass auch viele Demokraten, die offenbar nicht nachgedacht haben, das unterstützen. Es führt dazu, dass Regeln nicht umgesetzt werden, weil der Nutzen viel schwerer zu berechnen ist als die Kosten. Ein Gericht hat schon eine neue Regel der SEC gekippt, nicht weil sie falsch wäre, sondern weil keine richtige Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt wurde.

Sind Demokraten nicht weniger anfällig für den Einfluss der Wall Street?

Vergessen Sie nicht: Es ist auch Wahlkampf. Der Oberste Gerichtshof hat praktisch unbegrenzte Spenden erlaubt. Vieles von diesem Geld kommt von Banken. Unglücklicherweise wurden so auch einige Demokraten "umgedreht". Wahlkampfatmosphäre ist schlecht für Dodd-Frank.

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Obama hat vor vier Jahren versprochen, dass der amerikanische Steuerzahler nie wieder für die Fehler der Wall Street zahlen müsse. Hat er das geschafft?

Wenn es ermöglicht wird, dieses Regime umzusetzen: Ja, dann wäre der Steuerzahler geschützt. Nehmen Sie den Fall des London Whale, des Händlers, der bei JP Morgan Milliarden verzockt hat: Ich glaube, eine korrekt interpretierte Volcker Rule (Teil von Dodd-Frank, der Banken verbietet, mit eigenem Geld zu spekulieren, Anm. d. Red.) hätte es JP Morgan nicht erlaubt, an dieser Art Handel teilzunehmen. Die Bank sagt, dass das nur Hedging war - also unproblematische Absicherung anderer Geschäfte. Aber so ziemlich jeder objektive Beobachter sieht, dass das exzessive Spekulation ist. JP Morgan hat wohl etwa acht Milliarden Dollar verloren. Sie sagen: Keine Angst, wir haben die Kapitalreserven, wir sind eine Festung aus Kapital. Toll für JP Morgan!

Die Bank macht schon wieder Gewinn.

Viele kleinere Banken haben diese Reserven nicht. Aktionen wie die des "Wals" können also uns wieder in eine Situation bringen, in der wir im September 2008 waren. Die Volcker-Regel würde solche Geschäfte verhindern. Diese Deals waren private, bilaterale Transaktionen. Unter Dodd-Frank wären sie transparent und abgesichert. Jamie Dimon, der Chef von JP Morgan, konnte nicht herausfinden, was seine eigene Bank tat. Wenn Dodd-Frank einmal funktioniert, werden Kontrolleure der Regierung solche unverantwortlichen Deals sehen und unterbinden können. Das Gesetz wird nicht nur die US-Wirtschaft, sondern die Weltwirtschaft schützen.

Glauben Sie, dass unter Investmentbankern ein Kulturwandel eingesetzt hat? Die Männer von JP Morgan galten als vorbildlich, als die weniger Gierigen - die Finanzkrise haben sie ohne großen Schaden überstanden.

Gut, die sollten die smarteren Jungs sein. Nicht gierig zu sein, haben sie nie behauptet. Im Fernsehen hieß es neulich, sie hätten wirklich begriffen, wie diese CDS funktionieren, sie würden also keine Dummheiten machen - und eine Woche später kommt der "Wal"-Skandal heraus. Ich glaube aber, die Kultur ändert sich.

Es besteht die Chance, dass es ein besseres Verständnis gibt, was waghalsige Spekulation anrichten kann. Ich glaube, die Banken wollen so nicht mehr ihre Hauptprofite machen. Sogar Goldman Sachs setzt wieder mehr auf Kredite an reiche Privatkunden. Der Durchschnittsbürger hat die Nase voll. Einmal im Monat wacht er auf mit einem Libor-Skandal oder Milliardenverlust. Ob diese Veränderung aber genug ist, um uns langfristig zu schützen, weiß ich nicht.

Sehen Sie andere Dinge, die uns gefährlich werden können?

Vor allem die alten. Ein kleines Problem von Dodd-Frank ist, dass nur Handel, die nach Verabschiedung der Regeln abgeschlossen wurden, betroffen sind. Bei Swaps vor dem Gesetz mussten Banken keine Sicherheit hinterlegen, das Triple-A-Rating war die Sicherheit. Jetzt müssen sie Hunderte Millionen Dollar hinterlegen.

Was wäre von einem Wahlsieg der Republikaner und Mitt Romney zu erwarten?

Sie sind entschlossen, Dodd-Frank wieder aufzuheben, wenn sie beide Häuser und das Weiße Haus gewinnen. Mitt Romney hat das klar gesagt.

Also hat Romney nichts aus der Finanzkrise 2008 gelernt?

Er sagt den Banken: Ihr werdet wieder so arbeiten können wie 2008. Das hören sie gerne. Sie denken sich: Ein paar hundert Millionen Dollar sind ein geringer Preis, um aus diesem Albtraum herauszukommen. Selbst wenn Romney Dodd-Frank nicht rückgängig machen sollte, bleibt die Frage: Gibt es genug Personal, um die Märkte zu überwachen? Er wird die Behörden nicht dazu anhalten, wegen Betrugs oder Manipulation zu ermitteln. Wenn die Regeln da sind, aber es weder Personal noch Technik gibt, sie umzusetzen, ist Regulierung nur ein Potemkinsches Dorf.

© SZ vom 06.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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