Griechenland-Krise:Diesmal ist Berlin richtig zornig

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Alexis Tsipras am Samstag im Parlament in Athen (Foto: AP)

Sogar Vizekanzler Gabriel zeigt sich nach dem Eklat "entsetzt" über Tsipras. Hollande und Merkel sollen Griechenland Investitionen von mehr als 35 Milliarden Euro angeboten haben.

Von Stefan Braun, Guido Bohsem, Nico Fried und Cerstin Gammelin, Berlin

Martin Schulz mag einfach nicht aufgeben. Der Präsident des Europäischen Parlaments will nicht die letzte Hoffnung in den Wind schießen. Also erklärt der leidenschaftliche EU-Verteidiger, es gebe ja noch die Chance, dass das griechische Volk zu den letzten Vorschlägen der EU Ja sage. Was Schulz nicht sagt, aber wohl ausdrücken möchte: Vielleicht stimmt Griechenland dann gegen die eigene Regierung - und schafft damit, was die EU nicht erreicht hat: Alexis Tsipras doch noch zum Einlenken zu bewegen.

Eine Hoffnung ist das, der man in Berlin nach dem schwarzen Samstag von Brüssel ziemlich häufig begegnet. Bis hinein ins Kanzleramt gibt es in Union und SPD viele, die sich wünschen, über diesen Umweg den ganz großen Schlamassel doch noch abzuwenden. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass am Sonntag, zwischen SPD-Schaltkonferenzen und schwarz-roten Koalitionstelefonaten, bekannt wird, mit welchem Angebot Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande noch am Freitag Griechenlands Regierungschef umstimmen wollten.

Von einer neuerlichen Umschuldung ist da die Rede, mit der man Griechenland durch eine nochmalige Verlängerung der ohnehin langen Laufzeiten helfen wollte. Außerdem heißt es, Merkel und Hollande hätten Wirtschaftsinvestitionen von 35 Milliarden Euro angeboten. Doch Tsipras habe das, so heißt es in Regierungskreisen weiter, nicht nur abgelehnt. Er habe das Angebot sogar unerwähnt gelassen, als er in der Nacht auf Samstag vor dem Parlament seinen Plan verteidigte, ein Referendum abzuhalten, das ein Nein zu den Forderungen der Gläubiger stützen soll.

Dass die letzten Vorschläge des deutsch-französischen Duos nun bekannt werden, zeigt den Zorn, der in Berlin vorherrscht; dass sich Vizekanzler Sigmar Gabriel sogar "entsetzt" zeigt über Athens Verhalten, soll diesen Ärger noch unterstreichen. Sein Hinweis, dass es nach einem Referendum kein besseres Angebot geben werde, lässt sich indes auch als Wink an Griechenlands Bevölkerung lesen. Als Botschaft, was alles möglich sein könnte, wenn sie Tsipras die Unterstützung verweigern sollte.

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In der Unionsfraktion hat Schäuble starken Rückhalt

Und doch gibt sich kaum jemand in der Berliner Regierung dem Glauben hin, dass am Ende doch alles gut gehen werde. Nachdem Finanzminister Wolfgang Schäuble die Kanzlerin und sehr ausführlich auch den Vizekanzler über die Umstände des Scheiterns informiert hat, macht sich in Union wie SPD das Gefühl breit, dass es diesmal ernst ist. In der Unionsfraktion dürfte das zu einer fast hundertprozentigen Zustimmung führen.

Schäubles klare wie harte Haltung entspricht dort seit Langem der Grundüberzeugung einer übergroßen Mehrheit. Zu stark war zuletzt der Eindruck, die griechische Seite trete Gemeinschaftssinn und Loyalität unter EU-Partnern mit Füßen. "Bei uns wird Erleichterung und Genugtuung vorherrschen", erzählt einer, der schon sehr lange dabei ist. Das hänge allerdings auch mit veränderten Rahmenbedingungen zusammen.

Vor vier, fünf Jahren hätte man bei einer Pleite Griechenlands noch schwerste Turbulenzen befürchten müssen. Das sei heute anders. "Wir fürchten den Domino-Effekt nicht mehr, der noch 2011/2012 drohte." Nur hinter vorgehaltener Hand wird in der Union eingeräumt, dass ein gescheitertes Griechenland schnell ganz andere Hilfen der EU benötigen könnte. Dazu heißt es nur, man sei vorbereitet. Ansonsten will man über einen Plan B eines: schweigen.

Selbst Athen-Kritiker drängen auf einen Sondergipfel

Beim Vizekanzler und seinen Sozialdemokraten ist der Ärger über Tsipras ähnlich und die Lage doch ungleich schwerer. Nicht ohne Grund hat der SPD-Vorsitzende am Sonntag drei Stunden vor Abflug eine lange geplante Israel-Reise abgesagt. In der vergangenen Woche musste Gabriel durch seinen als harsch wahrgenommenen Kommentar gegen die griechische Linie im Schuldenstreit viel interne Kritik einstecken.

Umso wichtiger erscheint es ihm jetzt, in Berlin zu sein, wenn an diesem Montag die Partei und am Dienstag die Bundestagsfraktion über einen Konflikt berät, in dem die SPD lange Zeit deutlich lauter als der Koalitionspartner für mehr Solidarität mit Athen eintrat. Da kann es nicht überraschen, dass selbst ein Athen-Kritiker wie Fraktionsvize Carsten Schneider Merkel zu einem EU-Sondergipfel drängt. "Wir müssen eine politische Lösung versuchen, solange noch Zeit ist."

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Für die Opposition von Grünen und Linken ist das das Mindeste, was nun geschehen müsste. Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Linken, warnt schon mal vor dem Zerfall der gesamten Euro-Zone. Deshalb brauche man viel mehr Geduld mit einer Athener Regierung, die gerade mal 200 Tage im Amt sei. "Es ist haarsträubend, mit welcher Härte die Euro-Zone seit den Wahlen mit Griechenland umgeht." Von einer "außergewöhnlich dramatischen Situation" spricht auch der Sozialdemokrat Axel Schäfer. Von Schulzuweisungen à la Riexinger hält er dennoch wenig. "Niemand kann eine fertige Lösung haben", so Schäfer. Deshalb müsse man jetzt das Denkbare und noch mehr tun. Klingt nach: Auch das Undenkbare muss jetzt möglich werden.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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